Gespräche nach Chemnitz Theologe: "Sie reden von 'Rechten' und meinen nicht sich selbst"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wenn Holocaustleugner mit Hass auf Ausländer von "den Rechten" reden und nicht sich meinen: t-online.de dokumentiert, was ein Theologe nach einer "Pro Chemnitz"-Demo im Zug erlebte.
Harald Lamprecht wurde am Montagabend unfreiwillig Zeuge von Gesprächen, "die es in sich hatten", wie er sagt. Nach einem bewegten Tag für Chemnitz und einem langen Tag für ihn saß er im Zug in Richtung Dresden. Lamprecht ist Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens für Weltanschauungs- und Sektenfragen. Der Theologe forscht zu diversen Glaubensgemeinschaften, aber auch zu Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien. Hier beschreibt er, wie er unfreiwillig Anschauungsmaterial bekommen hat.
Zitate aus privaten Gespächen
Darf man so etwas veröffentlichen? Lamprecht und t-online.de haben sich diese Frage gestellt. Was hier steht, sind private Gespräche und von ihren Urhebern nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Was sie sagen, ist zum Teil sehr verletzend für Menschen, die zum Teil mit Namen genannt werden. Andererseits: Das alles wurde in einen öffentlichen Raum gesprochen und zum Teil auch lautstark. Für Lamprecht geht es auch darum: "Man muss sich fragen: Was könnte aus unserem Land werden, wenn solche Denkweisen möglicherweise an die Regierung kommen?"
"Der Zug kommt aus Chemnitz. Hinter mir sitzen einige Männer und Frauen mittleren Alters, offenbar auf der Rückfahrt von ihrer Beteiligung an den Kundgebungen von AfD und Pro Chemnitz. Aktueller Anlass ihrer Teilnahme am Demonstrationstourismus waren die Mobilisierungen rechtsnationaler Gruppen nach dem Tod eines jungen Mannes in Chemnitz bei einer Messerstecherei. Für die Veranstalter genügt, dass Ausländer daran beteiligt sind.
Einen kleinen Ausschnitt aus dem Denken dieser Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmer musste ich mit anhören. Inwieweit es typisch oder repräsentativ für weitere Demonstranten ist, kann ich nicht sagen. Aber authentisch war es – leider.
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Das Gespräch führt von einer Beurteilung der aktuellen und früheren sächsischen Ministerpräsidenten zu Äußerungen von Gewaltphantasien gegen die Grünen-Politikerin Claudia Roth. Sie sollte nur in Strapsen ins Flüchtlingsheim geschickt werden, irgend ein „Notgeiler“ werde sich schon finden.
Der Gedanke, sie lieber 16 Stunden täglich im Altersheim arbeiten zu lassen, wird aus Rücksicht auf „unsere armen Alten“ verworfen. Später im Gespräch wird vorgeschlagen, ein paar Viehanhänger zusammenzustellen, „dort alles rein, die Merkel auch“….
Zehn Benzinkanister und früherer Pegida-Funktionär
Was sie genau damit vor hatten, verschluckt gnädigerweise der Zuglautsprecher mit der nächsten Stationsansage ebenso wie den Plan, mit zehn Benzinkanistern etwas anzustellen. Das bezog sich aber auf eine Person, der früher Mitorganisator von Pegida war, nun aber „das Dreckschwein, der Jude“ ist, dem man „gleich aufs Maul hauen“ sollte.
Eine Frau will wissen, ob und von wem die offenbar für den nächsten Tag erneut geplante Demo angemeldet ist, ob AfD oder Pro Chemnitz und ob sie „genehmigt“ wurde, denn sie möchte nicht in den Polizeikessel geraten. Den Männern scheint das eher egal zu sein, sie sind sich aber bezüglich der Anmeldung sicher und kennen sich auch mit Spontananmeldungen politischer Kundgebungen aus. Auch bei Legida waren die Mitreisenden schon mit dabei und können Erfahrungen vom dortigen Ausbruch aus einem Polizeikessel beisteuern.
Das Gespräch springt von Baumängeln bei Schornsteinen über die Gedankenbrücke der Vergasung nach Auschwitz, wo die die dortige systematische Judenvernichtung aufgrund angeblicher Details der Verbrennungsöfen in Zweifel gezogen wird. Ein Mitreisender empfiehlt den anderen die Lektüre des „Leuchter-Reports“ – ein Klassiker der Holocaustleugnung. Offenbar kennt er sich da aus.
Von Hess über Bin Laden zur italienischen Brücke
Dies bildete den Auftakt für einen fröhlichen Ritt durch eine verschwörungsmythische Betrachtung der Zeitgeschichte: Nazigröße Rudolf Hess sei im Spandauer Gefängnis umgebracht worden, weil er der letzte Überlebende war, der hätte aussagen können.
Osama Bin Laden hingegen sei noch am Leben, da gebe es ein Foto vom April 2018. Es wird über diverse Theorien zu 9/11 diskutiert und plötzlich in analoger Manier der NSU-Prozess zerpflückt. Unter Bezugnahme auf Informationen des russischen Senders RT wird der Selbstmord von Böhnhardt und Mundlos bezweifelt. Letztlich sei Zschäpe „ohne Beweise“ nur eingesperrt worden, damit sie die Fresse hält. „Das Ding ist gefaket“ ist sich einer der Mitreisenden sicher. Genauso wie der Überfall im Olympia-Zentrum in München.
Und auch die Brücke in Italien sei nicht einfach so zusammengebrochen, sondern eine Sprengung gewesen. Ungerecht finden sie auch das harte Urteil gegen die Terrorgruppe in Freital. Dabei hätten die doch nichts anderes gemacht „als die Linksfaschisten“. Oder der „angebliche“ Bombenanschlag auf die türkische Moschee in Dresden-Cotta, das könne doch auch alles nicht stimmen. Am Ende sei es die Frau des Imam selbst gewesen.
Geschäfte unterm Ladentisch
Einer der Männer berichtet bewegend, wie er versucht habe, im Koran zu lesen, aber massive körperliche Abwehrreaktionen aufgrund seiner Abneigung ihn daran gehindert hätten, die sich erst dadurch überwinden ließen, dass er Frontcover und Titelblatt des Buches abgerissen und verbrannt hatte. Er könne es nicht erklären, aber so sei es gewesen.
Zustimmung erntet aber auch eine der Frauen, die Papst Franziskus als Kinderschänder bezeichnet („der Drecksack“). Dennoch sind die Männer keine primitiven Hooligans, sondern haben einen durchaus intellektuellen Anstrich. Einer hat ein Buch dabei. „Das bekommst du aber nicht im öffentlichen Handel!“ „Nee, hab ich bei Kubitschek gekauft, mir von Antaios schicken lassen.“ Dass es die Geschäfte unterm Ladentisch noch gibt, wird mit DDR-Nostalgie in der Stimme resümiert.
Jubel über Berichte zur Teilnehmerzahl
Immer mal wieder wird das Gespräch von Meldungen unterbrochen, die aus dem Internet oder über Social-Media-Kanäle hereinkommen und sich auf das Geschehen in Chemnitz beziehen. Die Frauen jubeln, dass eine Zeitung schreibt, Chemnitz sei erst der Anfang und noch mehr über eine Meldung (vielleicht auf Facebook), dass 10.000 Teilnehmer bei der rechten Demo gewesen seien. Das halten die Männer für übertrieben und gehen von 4000 aus, sind aber ebenso begeistert, wie viele dem Aufruf der Identitären Bewegung und anderer gefolgt sind.
Sie wissen auch, was an der Zentralhaltestelle passiert ist: „Da waren welche [Ausländer] auf der Straße, die haben nur gegrinst. Das war der Reizpunkt, wo sie mal gejagt haben, denn die haben ganz frech gegrinst. Mit solchen kannst du nicht vernünftig reden. Da gibt es nur eine Sprache, die sie wirklich verstehen: Aufs Maul, aufs Maul, aufs Maul.“
Diejenigen, die das sagten, waren keine Glatzköpfe in Springer-Stiefeln und trugen auch keine Thor-Steinar-Klamotten. Es waren äußerlich besehen normale sächsische Bürger. Sie würden sich vermutlich nicht selbst als Neo-Nazis verstehen, nur weil sie etwas den Holocaust bezweifeln und an ein Einsitzer-Volksflugzeug erinnern.
Sie reden von „den Rechten“ und meinen nicht sich selbst. Bei Pegida sind sie allerdings ganz vorn mit dabei, wie zu hören war. Und sie wollen wieder zusammenkommen und demonstrieren…"
Der Text ist zuerst auf confessio.de erschienen, t-online.de veröffentlicht ihn mit freundlicher Genehmigung von Harald Lamprecht.