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Entführungsopfer erzählen | "Meine Tränen kriegt ihr nicht"


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Entführungsopfer erzählen
"Meine Tränen kriegt ihr nicht"

Das Interview führten A. Buhrfeind und M. Fallet

Aktualisiert am 30.06.2018Lesedauer: 11 Min.
Gabriele von Lutzau und Johann Scheerer: In Gespräch erzählen sie, wie sie mit ihrer dramatischen Vergangenheit umgegangen sind.Vergrößern des Bildes
Gabriele von Lutzau und Johann Scheerer: In Gespräch erzählen sie, wie sie mit ihrer dramatischen Vergangenheit umgegangen sind. (Quelle: Katrin Binner)
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Diese Entführungen sind deutsche Geschichte: Johann Scheerer bangte 1996 um seinen Vater Jan Philipp Reemtsma, Gabriele von Lutzau 1977 an Bord der „Landshut“ um ihr Leben. Beide sprechen darüber, wie sie die dramatischen Tage und Wochen erlebt haben, wie sie mit Schmerz und der Erinnerung heute umgehen, und wie die Entführungen ihr Leben beeinflusst haben.

Ihr Leben lag in den Händen von anderen: Gabriele von Lutzau war Stewardess an Bord der "Landshut", die 1977 von Terroristen entführt wurde. Johann Scheerer war Teenager, als sein Vater, der Multimillionär Jan Philipp Reemtsma, gekidnappt wird. 33 Tage bangt er 1996 um seinen Vater. Für dieses Gespräch kommen beide zusammen. Sie wurde als "Engel von Mogadischu" mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt und arbeitet mittlerweile als Bildhauerin. Er wurde als Musikproduzent bekannt und wirft mit seinem Buch "Wir sind dann wohl die Angehörigen" einen ungewöhnlichen Blick auf die Geschichte einer Entführung.

Ihr ältester Sohn ist 13, Herr Scheerer, so alt waren Sie, als Ihr Vater entführt wurde.

Johann Scheerer: Ein interessantes, aber auch seltsames Alter. Ich bin häufig gefragt worden: Wie hat diese Entführung damals Ihr Leben verändert? Weiß ich nicht. Kann ich nicht wissen. Gerade nicht, wenn man Teenager ist, wenn es passiert.

Gabriele von Lutzau: Solche Fragen stellt man mir auch. Wären Sie Bildhauerin geworden, wenn Sie das nicht erlebt hätten? Das weiß ich doch nicht!

Gabriele von Lutzau (63) war 23 Jahre alt und Stewardess an Bord der „Landshut“, als das Flugzeug 1977 von einem palästinensischen Terrorkommando entführt wurde. Nach sechs Tagen befreite die GSG 9 die Geiseln. Gabriele Dillmann, wie sie damals hieß, wurde als „Engel von Mogadischu“ gefeiert. Heute ist sie Künstlerin und lebt mit ihrem Mann in Michelstadt im Odenwald. Sie hat zwei erwachsene Kinder.

Scheerer: Menschen mögen einfache Storys. Sie wollen hören: Sie verarbeiten Ihr ganzes Leid in Ihrer Kunst. Mich fragen sie: Wären Sie auch Musikproduzent geworden, hätten Sie damals in den Wochen der Entführung keine Musik gehört? Aber so einfache Schlüsse zu ziehen ist natürlich Nonsens.

von Lutzau: Man hat viele Leidenschaften, wenn man jung ist. Aber es kann natürlich sein, dass es tröstlich für Sie war, sich in die Musik hineinzudenken.

Scheerer: Nee. Ich kann froh sein, dass mir diese Zeit die Musik nicht verleidet hat. Mein Vater hatte mich während der Entführung in Briefen dazu aufgefordert, Die Ärzte zu hören, speziell das Lied "Langweilig". Wo doch sowieso alles zäh und zehrend war. Das war mir kaum möglich. In den Fragen heute schwebt immer diese kurz gedachte Vorstellung mit, man hat was Schlimmes erlebt und macht daraus etwas Tolles. Aber man kann diese Zeit kaum produktiv nutzen und endlich mal lesen, Gitarre spielen oder Kunst machen.

Johann Scheerer (35) war 13 Jahre alt, als sein Vater Jan Philipp Reemtsma 1996 entführt wurde. Der kam nach 33 Tagen und mehreren gescheiterten Geldübergabeversuchen gegen ein Lösegeld von 30 Millionen Mark frei. Jetzt hat Johann Scheerer ein Buch darüber geschrieben: „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ (Piper-Verlag). Er ist Musiker und Musikproduzent, lebt mit seiner Familie in Hamburg.

von Lutzau: Noch schlimmer: Wenn die Leute sagen, das mache man als Therapie. Das entwertet die Kunst. Ich bin seit 40 Jahren Bildhauerin. Und trotzdem werde ich immer in diese Schublade gesteckt.

Scheerer: Es gibt diese Annahme, dass sich alles in Ihrem Leben auf diesen kurzen Moment zurückführen lässt.

von Lutzau: Und das stimmt ja nicht. Es ist nicht einfach, 60 zu werden. Es ist nicht einfach, 40 Jahre verheiratet zu sein. Es ist nicht einfach, Brustkrebs zu überstehen. Das ganze Leben ist eine Reihe von Steinen, die auf dem Lebensweg liegen. Spektakulär war die Entführung. Aber Brustkrebs zu haben ist auch existenziell.

Scheerer: Etwas Ähnliches hat mal Ringo Starr gesagt: dass es ihn wahnsinnig nervt, dass er immer nach seiner Beatles-Zeit gefragt wird. Weil es nur zehn Jahre waren.

von Lutzau: Danach kam aber nicht mehr viel.

Scheerer: Das würde Ringo Starr wahrscheinlich anders sehen. Er hat sicher ein paar Platten gemacht, die er aus heutiger Perspektive viel besser findet. Aber die Beatles waren eben spektakulär. Dabei ist er auch noch er selbst und nicht nur Teil dieser Gruppe. Und Sie sind ja auch noch Sie selbst und nicht nur Teil dieser kurzen Story.

Diese Geschichte erscheint in Kooperation mit dem Magazin "chrismon". Die Zeitschrift der evangelischen Kirche liegt jeden Monat mit 1,6 Millionen Exemplaren in großen Tages- und Wochenzeitungen bei – unter anderem "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Die Welt", "Welt kompakt", "Welt am Sonntag" (Norddeutschland), "FAZ" (Frankfurt, Rhein-Main), "Leipziger Volkszeitung" und "Dresdner Neueste Nachrichten". Die erweiterte Ausgabe "chrismon plus" ist im Abonnement sowie im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel erhältlich. Mehr auf: www.chrismon.de

Sie beide sagen: Es sei nicht Ihr Leben, diese fünf Wochen oder diese sechs Tage. Aber Sie, Herr Scheerer, haben ein Buch darüber geschrieben, und nun reden Sie viel über diese Zeit.

Scheerer: Natürlich habe ich mich gefragt, ob es eine gute Idee ist, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber die Geschichte war ja schon draußen. Ich musste das für mich selber machen, um die Deutungshoheit darüber zu bekommen. Es ist vorher viel über mich erzählt worden. Und nie war ich Teil der Unterhaltung. Inzwischen habe ich mit vielen Leuten gesprochen, die ähnliche Traumata erlitten und auch sehr lange geschwiegen haben, weil die meisten dieser Geschichten keinen Raum hatten. Es hängt damit zusammen, dass sich niemand von außen traut, einen anzusprechen, aus Angst vor der Reaktion. Und weil es immer schwierig ist, die eigene Geschichte anzubringen – in welchem Kontext sollte man das auch machen?

von Lutzau: Ja. Und manche Leute tun das dann aus reiner Sensationslust, und das nervt mich: "Ich habe Sie im Fernsehen gesehen, da sahen Sie ganz anders aus. Erzählen Sie doch mal! Wie war das so? Ist ja gut ausgegangen!"

Scheerer: Aber wieso gehen Sie dann ins Fernsehen?

Entführung der „Landshut“: Am 13. Oktober 1977 wurde die Lufthansa-Maschine „Landshut“ von vier palästinensischen Terroristen entführt. Die Maschine sollte von Palma de Mallorca nach Frankfurt fliegen. An Bord der LH 181 befanden sich 86 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder. Nach mehreren Zwischenstopps in Rom, Dubai und Aden landete die Landshut nach der Ermordung des Kapitäns in Somalia. Die Terroristen forderten die Freilassung von RAF-Terroristen und 15 Millionen Euro Lösegeld. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen übergossen sie die Geiseln mit Benzin und machten Sprengkörper in der Maschine scharf. Nach sechs Tagen stürmte ein Spezialkommando der deutschen Polizei die Maschine und befreite die Geisel. Drei der vier Geiselnehmer starben.

von Lutzau: Ich gehe nur ins Fernsehen als Zeitzeugin. Wenn ich in einem privaten Umfeld bin und einen netten Abend habe – und dann kommt jemand und holt meine Vergangenheit von vor 40 Jahren hervor und will Blut, Schweiß und Tränen sehen, kriegt er sie nicht. Mittlerweile ist es auch nicht mehr so schrecklich. Aber die Reduzierung auf den Schmerz nervt schon. Bei Ihnen ist es vielleicht auch die Reduzierung auf den Schmerz Ihres Vaters.

Scheerer: Was genau meinen Sie damit?

von Lutzau: Sie sind ein bedingtes Opfer. Ich bin das direkte Opfer. Selbst gefoltert zu werden ist etwas anderes, als darunter zu leiden, dass ein Angehöriger gefoltert wird.

Scheerer: Ich glaube, dass die Angehörigen der Menschen, die in dieser Maschine saßen, ein durchaus vergleichbares Trauma erlitten haben. Das Problem ist, dass das tatsächlich Erlebte sich so sehr unterscheidet. Dadurch ist es ganz schwierig, einen Anschluss herzustellen und darüber zu sprechen. Diese Sprachlosigkeit heilt aber nicht. Für den Teenager ist das erst mal ganz komfortabel, man versucht, es einfach wegzupacken. Aber natürlich kommt es irgendwann wieder.

von Lutzau: Haben Sie das als Erwachsener für sich nun geordnet, dadurch, dass Sie dieses Buch geschrieben haben?

Scheerer: Ja, was ich mir erhofft habe, ist einigermaßen gelungen: mit vielen Menschen aus der damaligen Zeit wieder ins Gespräch zu kommen. Und gemeinsam Dinge zu ordnen. Mit Leuten, die vor Ort gewesen sind. Auch mit der Polizei. Die haben sich allerdings als Einzige nicht geäußert.

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Und mit Ihrem Vater?

Scheerer: Ja, natürlich. Weil ich Dinge erzähle, die er nicht wusste. Ich habe mich auch mit meiner Mutter ausgetauscht, um meine Erinnerung zu verifizieren, natürlich entstanden da Gespräche, die wir vorher nicht so hatten führen können.

von Lutzau: Auch weil die Zeit wirklich Wunden heilt.

Scheerer: Ja? Ich hadere mit diesem Spruch.

von Lutzau: Der Schmerz ist noch da, aber nicht mehr so akut. Nach einer Weile kann man mit den Dingen besser umgehen.

Entführung von Jan Philipp Reemtsma: Am Abend des 25. März 1996 überwältigten die Entführer den Politologen und Multi-Millionär Jan Philipp Reemtsma auf seinem Grundstück in Hamburg-Blankenese. Sie hinterließen eine Handgranate und einen Brief – die Forderung: 20 Millionen D-Mark. Zwei Lösegeldübergaben scheiterten, sodass die Familie Reemtsma schließlich auf eigene Faust eine Geldübergabe organisierte – erfolgreich. Nach 33 Tagen Gefangenschaft wurde Reemtsma freigelassen. Seine Entführer mehrere Jahre später in Südamerika verhaftet und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.

Was half Ihnen in der Situation, während der Entführung? Sie, Frau von Lutzau, hatten Ihren Beruf.

von Lutzau: Ja klar. Ich habe als Stewardess funktioniert wie ein Uhrwerk. Bis heute fühle ich mich für die Passagiere verantwortlich.

Scheerer: Sie haben profimäßig Ihren Job weitergemacht. Im Grunde bis heute. Das ist Ihre Art, im Nachgang damit umzugehen. Sie bleiben in Ihrer Rolle.

von Lutzau: Es war ja nicht die schlechteste Rolle.

Scheerer: Überhaupt nicht.

von Lutzau: Ich bin ein Kümmerer, ich bin eine Glucke bei meinen Kindern. Aber ich weigere mich, immer die kleine Stewardess zu bleiben. Ich habe mich weiterentwickelt. Ich mache Bildhauerei mit Kettensäge und Feuer. Das ist schon was anders als: Möchten Sie Kaffee oder Tee? Aber in der Situation hilft es, eine Aufgabe zu haben. Ich bin – wie die Passagiere – von den Terroristen geschlagen worden, ich habe Scheinerschießungen erlebt, aber dazwischen konnte ich versuchen, nützlich zu sein. Das war in unserer Familie etwas ganz Wichtiges. Ich wurde nur gelobt, wenn ich Kartoffeln gestoppelt habe, wenn ich Kräuter gesammelt habe für den Haustee. Ich habe auch an Bord der Maschine versucht, etwas Gutes zu tun.

Für einen 13-Jährigen ist es sicher schwierig, seinen Platz in dem Chaos zu finden.

Scheerer: Man hat nicht viele Möglichkeiten in so einer Situation. Durchdrehen oder nicht. Es gab eine stumme Verabredung zwischen meiner Mutter und mir, sich wechselseitig nicht zur Last zu fallen. Auch die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Anders wäre das gar nicht gegangen.

von Lutzau: Ich bin dankbar, dass ich etwas tun konnte. Hinzu kam bei mir aber die Angst. Ich war ganz nah an den Entführern dran. Was machen die mit mir, wenn ich weiß, wer die sind? Und dann die Frage: Wenn die jetzt die Passagiere freilassen – nehmen die mich mit? Komme ich in ein Foltergefängnis?

Scheerer: Ich dachte auch oft: Was, wenn die Entführer haben, was sie wollten? Was machen die dann mit meinem Vater? Bis dahin hält man es immer noch irgendwie aus. Haben Sie sich eigentlich den Film von Heinrich Breloer über die Entführung angeguckt, „Todesspiel“?

von Lutzau: Ja, da habe ich sogar als Assistentin und Beraterin mitgemacht, das war die beste Therapie, die ich bekommen konnte. Alles wurde nachgestellt, irgendwann sagte jemand: Cut! – und in meinem Kopf legen sich die Spielfilmszenen über die echten Bilder. Das ist gut, wie Psychodrama, man spielt es nach, es wird weder verdrängt noch aufgelöst, aber die Kanten und die Spitzen werden abgeschliffen. Der Schmerz ist immer noch ein Würfel, nur nicht mehr so scharfkantig.

Herr Scheerer, was hat Ihnen geholfen in der Zeit danach?

Scheerer: Der normale Umgang mit meinen Freunden. Ich wollte ja einfach zurück in mein altes Leben, raus aus den Medien, weg von der Stigmatisierung. Meine Freunde und ich haben einfach gemacht, was man macht mit 13 oder 14. Wir hatten zum Beispiel eine Band. Ich hatte zwischendurch Angst, dass ich sitzenbleibe, weil ich so lange nicht in die Schule konnte, und dann auch noch meine Freunde verliere. Das ist zum Glück nicht passiert. Insofern war die totale Normalität – auch wenn man jetzt sagen könnte, das ist die Blaupause für Verdrängung – sehr hilfreich.

Und später?

Scheerer: Später nicht mehr. Als ich mit 17, 18 angefangen habe, erfolgreicher in einer Band zu spielen, wurde mir klar, dass sich die Medien auf mich konzentrieren würden, weil es da eine Geschichte zu erzählen gibt. Die bei den Menschen Assoziationen auslöst mit Verbrechen und Geld.

von Lutzau: Ich würde immer an den Einbruch in die heile Welt denken, in die Familie. Das muss fürchterlich sein.

Scheerer: Das ist Ihre Assoziation, weil Sie so etwas erlebt haben. Ich bin konfrontiert worden mit dieser Sensationslust, was bei mir die Folge hatte, dass ich zehn Jahre einfach mit gar keinem darüber sprechen wollte. Dann irgendwann doch. Das war, als ich als Produzent mit dem Rockmusiker Pete Doherty gearbeitet habe, und mich ein Journalist anrief, Jörg Böckem. Er sagte: Ich weiß, wie man drauf ist, wenn man Heroin nimmt, kannst du mir was erzählen über die Entstehungsgeschichte dieses Albums? Ich habe ihm erklärt, dass bestimmte Sachen aber nicht an die Öffentlichkeit gehören, und da sagte er: Ganz klar, ich schreibe nur, was du freigibst. Und das war das erste Mal, dass ich mitbekommen habe, dass Journalismus auch so gut funktionieren kann.

von Lutzau: Es ist aufwühlend, darüber zu sprechen. Der Strudel des Schmerzes, des Erinnerns kommt bei mir immer wieder.

Scheerer: Haben Sie vorhin nicht gesagt, die Zeit heilt?

von Lutzau: Heilt? Die Zeit nimmt die Spitzen weg, aber Schmerz ist noch da, der Elefant ist noch im Raum. Geht Ihnen das nicht so, dass das Reden darüber aufwühlt?

Scheerer: Doch, absolut. Ich wollte nur wissen, ob das auch nach so langer Zeit noch so ist. Das Bild mit dem Würfel ist gut. Das kann ich mir vorstellen. Ich finde es gut, immer mal wieder darüber zu sprechen. Und bei den Gesprächen, die ich jetzt nach dem Erscheinen meines Buches führe, merke ich: Sie sind emotional aufwühlend, aber zwischendurch auch sehr lustig.

Was kann denn an solchen Gesprächen lustig sein?

von Lutzau: Für mich ist das der schwarze Humor. Ohne Humor wäre ich schon tot. Man schafft sich kleine Fluchtwege und weicht aus.

Scheerer: Das meinte ich nicht. Humor kann man ja therapeutisch nutzen. Wenn ich meinem Vater erzähle, dass es manchmal schwierig war, die angemessenen Gefühle zu haben. Zum Beispiel: Mein Vater ist frei, und ich muss mich eigentlich freuen. Ich bin aber 13, und den Vater zu umarmen und sich zu freuen, das ist für einen Teenager schwer. Natürlich bin ich erleichtert, aber ich denke sofort, na ja, aber umarmen müssen wir uns jetzt nicht. Das ist schon lustig. Und heilsam. Aber das kommt erst durch den Abstand. Ich musste erst mal selber darüber nachdenken: Warum war das nicht wie im Film? Warum sind wir uns nicht um den Hals gefallen?

von Lutzau: Weil das Leben eben nicht immer filmreif ist. Jede Familie hat eine eigene Dynamik. Meine hätte keine Chance gehabt. Ich hätte sie einfach geschnappt und abgeküsst.

Nun gibt es Gedenktage, einen öffentlichen Umgang mit den Geschichten. Wie ist das für Sie?

von Lutzau: Das ist mir nach 40 Jahren egal. Mehr stört mich, wenn ich mit zwei Freundinnen irgendwo sitze, und dann kommt einer mit dem Handy und sagt, „Sie sind doch die . . .“ Das ist ein Einbruch in meine Privatheit. Das andere ist Staatsbürgerpflicht, denn es war ein nationales Trauma. Und für die jungen Leute heute ist es eigentlich ein Krimi. Mit einem fast guten Ausgang. Fast.

Sie haben sich dafür eingesetzt, dass die „Landshut“ von einem brasilianischen Flugzeugfriedhof zurückgeholt wird. Warum?

von Lutzau: Die „Landshut“ wird die letzte Zeitzeugin sein. Es wird ein Museum daraus, ein Museum der RAF-Geschichte und dieser Zeit, Geschichte zum Anfassen, das finde ich sehr wichtig.

Scheerer: Ich habe meine Probleme mit der Idee, dieses Flugzeug hierherzuholen. Etwas daraus zu machen, was es vom Ding her eigentlich nicht sein kann. Ich sehe das so: Die Menschen wollen heute einfache Bilder haben. Die „Landshut“ als Symbol für den Sieg der Bundesrepublik Deutschland über den Terror. Das ist für mich eine grenzwertige Vereinfachung.

von Lutzau: Es ist ein Museum! Und es ist tröstlich für die Opfer des Terrors in Deutschland. Dass sie eben nicht weggerückt werden. Nach dem Motto: Stell dich nicht so an, ist doch schon so lange her.

Scheerer: Dieses Gefühl kann ich nachvollziehen. Ich befürchte aber, dass mit der Art, wie das gemacht wird, eine Sensationsgier befriedigt wird...

von Lutzau: Für mich war es ein Glück, dass diese Maschine nicht zu Cola-Dosen verarbeitet worden ist. Wenn ein Flugzeug verschrottet wird, und Kapitäne gucken zu – die heulen! Und diese „Landshut“ hat durchgehalten. Sie ist geflogen, obwohl Steine und Sand in den Triebwerken waren. Sie hat es geschafft. Und deshalb bin ich dieser Maschine dankbar.

Herr Scheerer, kämen Sie auf die Idee, sich den Keller anzugucken, in dem ihr Vater eingesperrt war?

Scheerer: Ich kenne diesen Keller. Wir sind da alle hin, weil mein Vater diesen Ort identifizieren musste. Ich glaube jedenfalls, dass ich damals mitgegangen bin. Kann aber auch sein, dass ich mich jetzt nur an Fernsehaufnahmen erinnere. Ich habe ein gespaltenes Verhältnis dazu, diese Orte abseits des Persönlichen so wichtig zu machen.

von Lutzau: Wenn ich in dieses Flugzeug gehe in Brasilien, in dieser Hitze, dann kriege ich einen Flash und bin wieder in der Situation. Dann macht einer die Tür auf, aus der ich geflohen bin, ich gehe raus, ich klettere auf den Flügel – das ist eine zweite Befreiung.

Lesen Sie hier wie Bastian Pastewka und Bärbel Schäfer über das Älterwerden sinnieren.

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