Proteste in Dresden Pegidas Frontfrau
Sie macht auf seriös, wettert aber gegen die vermeintliche "Asylindustrie". Sie gibt Interviews und poltert hinterher gegen die Presse. Kathrin Oertel wird zum Gesicht von Pegida in Dresden. Wer ist die Frau?
Männer sind in der Mehrheit an diesem Montagabend in Dresden - das sieht jeder, der sich unter den 18.000 Pegida-Teilnehmern umschaut. Auf der Bühne jedoch schnappt sich eine junge blonde Frau das Mikrofon und setzt zur Rede an. Sie ist eine Ausnahme bei dieser Kundgebung, doch Kathrin Oertel wird vielleicht gerade deshalb zum neuen Gesicht der Protestbewegung.
Dass Pegida dadurch rhetorisch abrüstet, sachlicher, weiblicher wird, kann man jedoch nicht behaupten: Die Proteste in Dresden wachsen, damit wächst auch das Selbstbewusstsein: "Wir laden den Ministerpräsidenten von Sachsen, Stanislaw Tillich, ein, hier auf der Demo zu reden", ruft Oertel, und schiebt generös hinterher: "Er hat die Chance, hier frei zu sprechen."
Über Kathrin Oertel ist bisher wenig bekannt. Obwohl sie seit einigen Wochen Sprecherin der Pegida ist, äußert sie sich selten. Schon gar nicht gegenüber der Presse, da gibt sie sich wählerisch: "Von 'Spiegel Online'? Dann nicht!", so lehnt Oertel die persönliche Anfrage bei der Demonstration ab und dreht sich weg, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Oertel, 36, mit ihren langen blonden Locken schon von weither gut zu sehen, organisiert mit Lutz Bachmann und zehn anderen die Pegida-Kundgebungen. Auf der Bühne begrüßt sie ihre Mitstreiter mit Wangenkuss und Umarmung. Im schwarzen Mantel dirigiert Oertel die Helfer: "Das Licht nicht dahin", "stellt euch da rüber". Sie übernimmt Aufgaben des Pegida-Chefs Lutz Bachmann, der am Montag nur kurz auftaucht, sich ein Küsschen abholt, aber nicht spricht. Seit die Medien über Bachmanns Vorstrafen berichtet haben, rückt die energische Blondine nach.
"Unser Recht auf Meinungsfreiheit wird beschränkt"
Oertel liest am Montagabend ihre Ansprache vom Blatt ab. Schon früh ist sie auf die Cockerwiese gekommen: Sie beugt sich über ihr Manuskript auf dem Rednerpult, ändert immer wieder Passagen. Später wird sie Kanzlerin Angela Merkel für deren Neujahrskritik an Pegida massiv angreifen: "Mein Unverständnis für den Umgang mit uns schlägt langsam in Wut um", ruft sie. "Unser Recht auf Meinungsfreiheit wird beschränkt."
Das will die Menge hören. "Buh", "Pfui" und "Volksverräter, Volksverräter" schallt es, Oertel lächelt. Sie setzt nach: "An erster Stelle sollten nationale Interessen stehen." Lauter Beifall.
Anders als die meisten Pegida-Organisatoren wagt sie sich wenigstens ab und zu vor Kameras. Dem Mitteldeutschen Rundfunk gab sie eines der seltenen Interviews - nicht allein, an ihrer Seite ist Mitorganisator René Jahn. Mit schmal nachgezeichneten Augenbrauen und Leopardenmuster-Jacke sitzt sie mit ihm im Studio und sagt Sätze wie diesen: "In Südfrankreich gibt es inzwischen mehr Moscheen als Kirchen." Gegen den MDR giftet sie später auf einer Pegida-Kundgebung, dieser sei ein "DDR-Medium".
Oertel und ihre Mitstreiter kritisieren immer wieder die Asylpolitik der Regierung und die vermeintliche Islamisierung. Die "Süddeutsche Zeitung" konfrontierte sie deshalb im Dezember mit der geringen Anzahl von Muslimen in Sachsen. Oertel antwortete darauf:
Schatzmeisterin des Pegida-Vereins
Sie ist wie Bachmann in der Kleinstadt Coswig nordwestlich von Dresden zur Schule gegangen. Noch heute lebt sie dort. Wenn sie spricht, hört man ihren breiten sächsischen Zungenschlag. Die Pegida-Organisatoren kennen sich seit Jahren, sind befreundet. Nicht nur nach außen in Interviews und Reden ist Oertel eine immer wichtigere Figur für die Pegida-Szene in Sachsen: Sie verwaltet auch das Vermögen des Vereins, der hinter Pegida steht. Wie die "Bild"-Zeitung berichtete, arbeitet Oertel als Wirtschaftsberaterin.
Pegida ist mittlerweile ein Verein, Oertel fungiert als Schatzmeisterin, bei der Gründung am 19. Dezember wurde sie - wie Bachmann und Jahn, die als Vorsitzender und Vize fungieren - einstimmig mit zehn von zehn Stimmen gewählt.
Wie alle Pegida-Anhänger bemüht Oertel gerne einen Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-dürfen-Nimbus: Auf Facebook gefallen ihr die Seiten "Mut zur Wahrheit", "Thilo Sarrazin", "Nato Austritt" und "Gegen Asylmissbrauch". Mit öffentlich zugänglichen Posts hält sie sich allerdings anders als Bachmann zurück.
Ihre Stimme kippte fast
Dafür äußert sie sich umso deutlicher auf den Kundgebungen. Am Montag spricht sie von einer "Asylindustrie", bei der es der Politik nur ums Geld gehe. Das kommt bei den Pegida-Anhängern gut an.
Doch wird Oertel an diesem Abend auch bewusst, wie schwer es ist, die wütenden Tausenden noch unter Kontrolle zu behalten. Ihre Stimme kippt fast, als sie zum Mikrofon greift und eine Gruppe von rund 150 Hooligans von einem Angriff abhalten will: "Bitte, bitte kommt wieder. Ihr gefährdet unsere Bewegung." Die jungen Männer wollen Richtung Zentrum vorstoßen, wo die Gegendemonstranten sich versammelt haben, und müssen von der Polizei aufgehalten werden.
Oertel versucht die Demonstranten einzuschwören, appelliert: "Das ist eine gewaltfreie Veranstaltung. Das gilt für jeden, der auf dem Platz steht." Es gibt Applaus, doch der fällt schwächer aus als sonst. Lauter wird der Beifall erst, als Oertel verspricht: "Wir werden nächstes Mal wieder ins Zentrum gehen."