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Ukraine-Russland-Krieg: Ermittlungen gegen Varwick wegen Aufruf auf X


Nach Aufruf zu "Lena Berger"
Streit mit Ukraine-Unterstützern: Jetzt wird gegen Varwick ermittelt


Aktualisiert am 14.10.2024 - 19:34 UhrLesedauer: 6 Min.
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Johannes Varwick: Der Politikwissenschaftler provoziert Unterstützer der Ukraine nicht nur mit seiner Haltung gegen militärische Hilfe.Vergrößern des Bildes
Johannes Varwick: Der Politikwissenschaftler provoziert Unterstützer der Ukraine nicht nur mit seiner Haltung gegen militärische Hilfe. (Quelle: Thomas Bartilla/imago-images-bilder)

Ein Sicherheitsexperte mit Verständnis für russische Positionen fordert Informationen zu einem pro-ukrainischen Account, der ihn ständig kritisiert. Jetzt gibt es gegen Johannes Varwick deshalb ein Ermittlungsverfahren.

Ein Professor betont immer wieder die Interessen Russlands, gibt die Ukraine verloren und wird damit zur Zielscheibe von Ukraine-Unterstützern: Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick ärgerte sich so sehr über ständiges Kontra, dass er den Streit im Netz eskalieren ließ. Varwick wollte ermitteln, wer ihm auf der Plattform X unter dem Namen @lena4berger scharf widerspricht. Deshalb wird aber jetzt offenbar gegen ihn ermittelt. Mit dem Wüten gegen die pro-ukrainische Kritikerin könnte der Professor öffentlich zu Straftaten aufgerufen haben, so der Vorwurf in einer Akte der Staatsanwaltschaft.

Es geht in dem Fall vor allem darum, wie offen Menschen im Netz auftreten sollten. Nach der Lesart des Professors der Universität Halle/Saale nur dann mit einem Namen, wenn es auch der echte eigene Name ist. @lena4berger heißt nicht wirklich so. Das war für ihn der Auslöser, eine Art Feldzug gegen mögliche ominöse Praktiken von Geheimdiensten in sozialen Netzwerken zu beginnen. Dass er mehr über die Identität einer Nutzerin wissen wollte und in einem Tweet eine Zahlung für entsprechende Informationen in Aussicht stellte, löste einiges aus.

Tausende erklärten sich solidarisch mit "Lena Berger"

Die Gegenpole: Die erste Reaktion war eine Welle der Solidarisierung mit dem Account @lena4berger und ein Trend: Massenhaft schrieben Nutzer #IchbinLenaBerger. Varwick schrieb später davon, "einige Zehntausend" hätten sich geoutet. Auf X posteten das auch prominente Politiker wie CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter oder Marcus Faber (FDP), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses.

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Sie gehören zu den energischsten Fürsprechern einer möglichst umfangreichen Unterstützung der Ukraine. Sie halten das für nötig, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin erfolgreich einzuhegen und Verstöße gegen das Völkerrecht nicht als lohnenswert erscheinen zu lassen. Varwick ist ein Gegenpol. Er war auch Unterzeichner eines "Manifests für Frieden im Ukraine-Russland-Krieg" von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Die Unterschrift zog er zwar wieder zurück. Das tat der überzeugte AfD-Kritiker aber nur, weil er fehlende Abgrenzung kritisierte, nicht aus inhaltlichen Gründen. Seine Kritik an Lena Berger wurde aber auch von AfD-Politiker Maximilian Krah verbreitet.

Die Varwick-Haltung: Varwick hält es vereinfacht für kluge Realpolitik, die Ukraine sich selbst zu überlassen und Putin nicht zu dämonisieren. Zwar gibt es von russischer Seite keine Anzeichen für Verhandlungsbereitschaft ohne Maximalforderungen, die für die Ukraine völlig inakzeptabel sind. Dennoch drängt Varwick auf diplomatische Lösungen. Er verurteilt zwar Russlands Krieg – aber mit der Forderung, die Ukraine aufzugeben, bedient er zumindest russische Interessen.

Deshalb bringt ihm sein Auftreten regelmäßig auch zum Teil überzogene Kritik und Spott ein. Scharfen Widerspruch bekommt er häufig und deutlich auch von @lena4berger. Sie hat ihn schon einen "sich selbst bespiegelnden Quacksalber" genannt und spricht dem Mitherausgeber des Grundlagenwerks "Kursbuch Politikwissenschaft II" ab, ein seriöser Politikwissenschaftler zu sein – widerlegt ihn aber auch immer wieder begründet.

Varwick spricht von "Trollfarmen auf allen Seiten"

Der Aufruf: Am 8. September platzte dem Professor offenbar der Kragen. Er wollte endlich wissen, wer hinter dem Account @lena4berger steckt. Auf X forderte er auf: "Hinweise gerne hier als Kommentar." Sei Lena Berger eine reale Person, spende er 500 Euro für einen guten Zweck und entschuldige sich.

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Im anderen Fall, so Varwick, "gibt es hier ein Problem und man könnte den Fall pars pro toto nehmen, also stellvertretend, um die Funktionslogik sozialer Netzwerke zu charakterisieren". Trollfarmen, so schrieb Varwick, "gibt es offensichtlich in etlichen Varianten und auf allen Seiten". Belege dafür lieferte er nicht. Bewiesen ist, dass Russland seit dem Sommer 2022 koordiniert Zigtausende Fake-Accounts eingesetzt hat, um im Rahmen der "Doppelgänger-Kampagne" mit Links zu pro-russischen Texten auf nachgemachten Seiten renommierter Medien Stimmung zu machen.

Die Identität von Lena Berger: Kurz nach der Zuspitzung saß eine Frau mit deutscher Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Hamburg in der Kanzlei des Würzburger Rechtsanwalts Chan-Jo Jun. Der Jurist veröffentlicht viele Videos zu juristischen und tagesaktuellen Fragen und hat in der Vergangenheit schon einmal mit seiner anwaltlichen Schweigepflicht für die Öffentlichkeit die Identität eines anonym twitternden Arztes verifiziert, ohne dass der Name bekannt wurde.

Biografische Angaben im Profil "Lena Berger" stimmen

Nun konnte er bestätigen, dass die Angaben im Profil @lena4berger mit seinen fast 35.000 Abonnenten bis auf den Fantasienamen und das künstlerische Foto stimmen. Die Erstellung und Veröffentlichung des Videos seien in eigener Verantwortung und auf eigene Kosten der Kanzlei erfolgt, so Jun. Neben ihrem Personalausweis hatte die Frau Belege mitgebracht, dass sie in den USA und der Schweiz studiert und einen sehr guten Abschluss gemacht habe. Heute sei sie in der Privatwirtschaft tätig, "befasst mit globalstrategischen Fragestellungen auf einem hohen Niveau" und twittere privat ihre Meinung, so Jun. Seine Zusammenfassung: "plausibel".

Mit den Angaben lässt sich aber nicht sicher ausschließen, dass sie nicht vielleicht doch Geld erhält oder auch andere Personen unter diesem Namen twittern. Varwick ist deshalb auch nicht bereit, die ausgelobten 500 Euro zu spenden. Dafür haben etliche andere Nutzer statt seiner gespendet.

Die nicht erfolgte Anzeige: Varwicks Tweet mit der Bitte um Hinweise wurde vielfach als Doxing-Aufruf verstanden, also als Aufruf zur Veröffentlichung identifizierender Informationen über eine Person – auch von @lena4berger. Noch am selben Tag twitterte der Account: "Habe soeben eine Strafanzeige gegen @JohannesVarwick gestellt. Werde es nicht hinnehmen, dass meine persönliche Sicherheit durch Auslobung eines 'Kopfgeldes' gefährdet wird."

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Varwick schrieb seither mehrfach, er habe von der Anzeige nichts gehört. Aus seiner Sicht ist das ein Beleg, dass seine Vorwürfe stimmen. Wenn Lena Berger ihn anzeige, könnte er über Akteneinsicht ihren Namen bekommen. Tatsächlich hat das auch Lena Berger überlegt: "Um einen vollständigen Schutz meiner Identität gegenüber Varwick zu wahren, hätte sie nur anonym erfolgen können", schrieb sie t-online auf Anfrage. Sie habe die Anzeige verfasst, aber nicht abgeschickt. Bei ihr hätten sich mehrere Personen gemeldet mit der Absicht, Anzeige zu erstatten. Einer von ihnen: der X-Nutzer @NitnelavGS.

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Anzeige kommt von "Fellas 4 Europe"-Vorsitzendem

Die erstattete Anzeige: Für diesen Account-Namen @NitnelavGS hat der Rosenheimer Notar Valentin Spernath die Buchstaben seines Vornamens gedreht. Er ist auch Vorsitzender des im April 2023 gegründeten Vereins Fellas 4 Europe, der laut Eigendarstellung mit Spenden, Hilfstransporten und dem Kampf gegen Falsch- und Desinformationen die Ukraine unterstützt. "Fellas" ist die Selbstbezeichnung der Ukraine-Unterstützer im Netz, die auch als "Fellas" offen damit auftreten.

t-online sagte er, durch das Posting des Professors habe der Konflikt zwischen Varwick und Unterstützern der Ukraine eine neue Stufe erreicht. "Damit ist er zu weit gegangen, wenn man weiß, dass Ukraine-Unterstützer bedroht werden und gute Gründe haben, sich deshalb zu schützen." In der Anzeige erklärt er: Wenn Varwick inzwischen schreibe, Lena Berger könne "Intelligence Milieu mit staatlicher Beteiligung" sein, sei das absurd und verschleiere den wahren Kern: "Dass nämlich Herr Prof. Dr. Varwick unangenehme Stimmen durch eine Einschüchterungskampagne zum Schweigen bringen möchte."

Staatsanwaltschaft schickte Bestätigung

Lena Berger kennt er nach seiner Darstellung nur über das Internet, wo er sich schon länger auch mit ihr direkt über Direktnachrichten austausche. "Für mich bestehen keinerlei Zweifel, dass dahinter kein Gemeinschaftsaccount steckt, sondern eine reale Dame mittleren Alters aus Hamburg schreibt." Die Anzeige ging am 11. September an die Staatsanwaltschaft München I, die zu prüfenden möglichen Straftaten sind Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten, Nachstellung und öffentliche Aufforderung zu Straftaten – nämlich zu strafbaren Verstößen gegen das Datenschutzgesetz.

Die Staatsanwaltschaft: Die Münchner Behörde erklärt auf Anfrage von t-online, sie könne dazu aktuell noch nicht Stellung nehmen. Der Anzeigeerstatter hat aber Antwort bekommen mit einem Aktenzeichen. "Für mich ein gutes Zeichen", so Spernath, "Weil man manchmal auf eine Anzeige von der Staatsanwaltschaft nur eine unmittelbare Einstellungsverfügung bekommt."

Das Schreiben trägt die Überschrift "Ermittlungsverfahren gegen Johannes Varwick wegen Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten". Das Aktenzeichen könnte ein weiterer Hinweis sein – es ist ein JS-Aktenzeichen. "Das heißt in der Regel, dass es einen Anfangsverdacht gegen einen konkreten Beschuldigten gibt", erläutert der Berliner Anwalt Martin Rubbert, Mitglied im Ausschuss Strafrecht des Deutschen Anwaltsvereins. "Das sagt aber wenig über die Stichhaltigkeit aus."

Allerdings: Wenn Staatsanwaltschaften einen Anfangsverdacht erst noch prüfen und dann vielleicht ablehnen, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, können etwa in Bayern Anzeigen unter AR-Aktenzeichen geführt werden. Hier gibt es kein AR-Aktenzeichen. "Die Systematik der Vergabe: ist aber nicht klar. So etwas gibt es vor allem dann, wenn bei prominenten Personen bereits die Existenz eines Strafverfahrens große Wellen schlagen könnte, unabhängig vom Ausgang", so Experte Rubbert.

Warum die Staatsanwaltschaft dazu zunächst nichts sagen will: unklar. Möglicherweise will sie eine weitere Entscheidung abwarten, das könnte auch bereits eine Einstellung sein. Als unschuldig bis zu einem Urteil gilt eine betreffende Person aber ohnehin, auch wenn ein Anfangsverdacht bejaht und ein Ermittlungsverfahren eröffnet ist.

Varwick verwies auf Anfrage von t-online auf eine von ihm verbreitete Erklärung zum Vorgang um den X-Account @lena4berger, die allerdings auf die Strafanzeige nicht eingeht. Falls es Neuigkeiten gebe, werde er diese dort bekannt geben und vorab mit Journalisten teilen, "die in dieser Sache unvoreingenommen recherchieren". t-online warf er vor, mit Anwalt Jun in Kontakt gestanden zu haben.

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