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Hass & Mobbing auf LinkedIn: Unternehmensberater wird "Digital Streetworker"


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Krawall und Krawatte: Bei LinkedIn wird weggeschaut


07.01.2024Lesedauer: 6 Min.
Johnnes Ceh: Der Unternehmensbereater wurde Opfer von Angriffen auf LinkedIn und hat eine Hilfsorganisation für Betroffene initiiert.Vergrößern des Bildes
Johannes Ceh: Der Unternehmensberater wurde Opfer von Angriffen auf LinkedIn und hat eine Hilfsorganisation für Betroffene initiiert. (Quelle: Foto: Thomas Dashuber, Imao, Montage: H. Aßmann)
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Auf LinkedIn präsentieren viele Schlipsträger sich und ihre Arbeit im besten Licht – und manche auch Hass, Sexismus und Menschenverachtung. Nun macht dort auch ein Hilfsprojekt für Betroffene Karriere.

Mobbing und Hass im Netz – viele denken da an Facebook-Kommentare oder Tweets, an Videos bei YouTube oder TikTok, vielleicht an Telegram-Nachrichten, aber nicht an ein Businessnetzwerk, nicht an LinkedIn.

Doch auch dort, wo sich die Nutzer vornehmlich für Kunden und Arbeitgeber von der besten Seite zeigen wollen, gibt es all das, sagt jetzt einer, der es selbst erfahren hat. Johannes Ceh ist Unternehmensberater und wurde selbst zur Zielscheibe – bis er aus der eigenen Betroffenheit heraus eine Hilfsorganisation gegründet hat. "Seit Corona und dem Ukraine-Krieg explodieren Hass, Hetze, Sexismus und Cybermobbing auf LinkedIn", berichtet er. "Da konnte ich so nicht mehr zuschauen."

LinkedIn, der internationale Konkurrent zum deutschen Netzwerk Xing, hat rund 20 Millionen deutschsprachige Nutzer. Gut sieben Millionen waren nach jüngsten Zahlen mindestens einmal im Monat eingeloggt – das Netzwerk wird nicht zuletzt dank des immer raueren Tons im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) für viele Menschen immer relevanter.

Was den meisten dabei gar nicht bewusst sein dürfte: Auch auf LinkedIn tragen sich Dinge zu, die Menschen schwer zusetzen. Klarnamenpflicht würde hier nichts helfen, weil sich dort Nutzer nicht scheuen, mit Namen, Foto und Visitenkarte "digitale Gewalt" auszuüben, so Ceh. "Dass dann Menschen auch so agieren, kann sich kaum jemand vorstellen", meint er.

Ihm zeigten sich die Abgründe, als er einem Nutzer nach dessen antisemitischem Posting widersprach und sich auch durch dessen Drohungen nicht zum Schweigen bringen lassen wollte. Schließlich musste er erleben, dass auch seine Kunden kontaktiert wurden. Das war im Frühjahr 2020, ein "Reichsbürger" auf dem Portal habe über mehrere Wochen hinweg das Leben einer kleinen Gruppe von Nutzern bedroht. "Und ich war einer davon."

Selbst von "Reichsbürgern" bedroht worden

Er wollte dem etwas entgegensetzen und ist dafür vor Kurzem geehrt worden. Sein Projekt "Digital Streetworker" leistet "Erste Hilfe für digitale Gewalt im beruflichen Kontext". Das im Kern vierköpfige ehrenamtliche Team hilft LinkedIn-Nutzern in Krisensituationen wie sexualisierter Anmache und Stalking, Cybermobbing oder Hatespeech. Es hat nach seinen Angaben 2.000 Menschen beigestanden und kooperiert mit dem Projekt "Love-Storm – Gemeinsam gegen Hass im Netz" unter dem Dach des aus der Friedensbewegung hervorgegangenen Vereins "Bund für Soziale Verteidigung". Spenden decken den laufenden Betrieb und sollen vielleicht auch ermöglichen, jemanden anzustellen.

Es ist Engagement, das Ceh so nie angestrebt hatte. Ihn belastet es bis heute emotional sehr, wie wenig Resonanz es in solchen Situationen oft gibt, er kann mit seinen Erfahrungen sehr beharrlich auftreten. Damals habe ihm fast niemand geglaubt – eben weil LinkedIn als vorwiegend beruflich genutztes Netzwerk gilt, in dem sich Nutzer vermeintlich im besten Licht präsentieren wollen.

Deshalb hat auch das Bundesamt für Justiz als Aufsichtsbehörde für Netzwerke LinkedIn anders behandelt: Es wurde nicht als soziales Netzwerk eingestuft, es sei ja "Berufsplattform". Anders als bei Facebook oder X sah das Justizministerium keine "Empirie, dass von beruflichen Netzwerken besondere Gefahren für den öffentlichen Meinungsaustausch oder die öffentliche Sicherheit ausgehen würden". LinkedIn fiel so anders als Facebook, Instagram, YouTube & Co. nie unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). "Ein Systemfehler, der ein Gesetz zum Schutz von Menschen aushebelt", beklagt Ceh. Trotz der Beschwerden und Hinweise korrigierte das Amt seine Einschätzung nie.

Netzwerk-Gesetz galt für LinkedIn nicht

Das NetzDG sollte eigentlich Netzwerke stärker dazu zwingen, die Rechte angegriffener Nutzer zu beachten. Ein Ziel sollte die "Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit der Meldewege" sein. Bei LinkedIn wäre Bedarf gewesen – die "Zeit" beschrieb 2022, dass man dort nur mit einem Geheimtipp weiterkomme: "Man muss in die LinkedIn-Suche die Worte "LinkedIn Social Support Team" eintippen".

Das NetzDG bescherte etwa Facebook ein rechtskräftiges Bußgeld, Telegram Bußgeldbescheide und Twitter, heute X, mehrere Bußgeldverfahren; es hatte auch durchaus Einfluss auf die Netzwerke, die darunter fielen. Inzwischen ist allerdings klar, dass das nationale Gesetz EU-Regeln widerspricht. Das Bundesamt für Justiz hat seine laufenden Verfahren gegen Twitter einstellen müssen, wie t-online exklusiv berichtete. Aber die EU übernimmt das Thema mit dem Digital Services Act. LinkedIn fällt künftig auch darunter; Ceh hofft, dass sich künftig etwas bessert.

Fälle von Belästigungen explodiert

Dass es bei LinkedIn durchaus auch um strafrechtlich relevante Postings geht, demonstriert der Transparenzbericht. Bei einem Großteil der Nutzer ist die Identität offensichtlich. In 16 Fällen gab LinkedIn aber auch im ersten Halbjahr deutschen Ermittlungsbehörden Informationen zu Accountinhabern heraus. Die eigenen Zahlen des Netzwerks zu Beiträgen, die wegen Beleidigung oder Belästigung gelöscht wurden, zeigen eine Explosion: 15.635 im letzten Halbjahr 2019 vor Corona, 251.964 im ersten Halbjahr 2023. LinkedIn führt das auf "verbesserte Abwehrsysteme bei Nachrichten" zurück.

In der Vergangenheit hatte es auf das zu Microsoft gehörende Netzwerk kaum politischen Druck gegeben: Mitten in der Corona-Pandemie, als der Ton im Netz immer rauer wurde, hat LinkedIn rund 1.000 Mitarbeiter entlassen. Für Deutschland will das Netzwerk nach eigenen Angaben 20 Content-Moderatoren im Einsatz haben – viel zu wenig, finden Kritiker wie Ceh.

LinkedIn setzt vor allem auf automatisierte Prozesse. Doch die sind bei deutschsprachigen Postings so fehlerhaft wie sonst nirgendwo in der EU: Aus Überprüfung von Stichproben von automatisiert bearbeiteten Beschwerden rechnet LinkedIn im jüngsten Sicherheitsbericht hoch: 1,1 bis 4,5 Prozent falsche Entscheidungen nach Nutzerbeschwerden, weil Künstliche Intelligenz nicht erkennt, ob gemeldete Inhalte ein Verstoß gegen die Richtlinien sind oder nicht.

Den Wildwuchs bei LinkedIn hat sich auch kürzlich das Team von "ZDF Magazin Royal" des Satirikers Jan Böhmermann angeschaut – und Beiträge gemeldet: Bei drei klar den Holocaust verharmlosenden Inhalten war die Antwort jeweils, "dass der Beitrag unseren Community-Richtlinien entspricht". Nach einer Anfrage der Redaktion bei der Pressestelle wurden sie gelöscht.

"Betroffenen wird Würde zurückgegeben"

Johannes Ceh ist glücklich über solche Medienberichte, weil sie belegen, was er seit Jahren sagt, und Bewusstsein schaffen. "Wenn auf großer Bühne ein Systemversagen benannt wird, dieses hinterfragt wird und Betroffene gehört werden, wird ihnen ein Stück Würde zurückgegeben." In den Anfängen seines Engagements hätten selbst die Polizei und die gemeinnützige Organisation HateAid von Hass auf LinkedIn noch nicht gehört, sagt er. "Und verängstigte oder bedrohte Nutzer kannten digitale Gewalt gar nicht."

Ceh erlebte, dass auch mitlesende Nutzer sich ohnmächtig fühlten angesichts verbaler Attacken, gegen die niemand einschritt. "Mir wurde schnell bewusst, dass es bei Weitem kein Einzelfall war. Ich fand weitere Nutzer, die von üblen Kommentaren und ähnlichen Bedrohungen berichteten." Und sie organisierten sich. "Innerhalb unserer Bubbles machten wir nicht nur bekannt, dass es überhaupt Hassattacken auf LinkedIn gibt. Wir ermutigten Betroffene, sich zu zeigen, und andere Nutzer, sich solidarisch zu zeigen." So hätten sich immer wieder Menschenketten gebildet, die Anteil nahmen und Rat wussten.

"Wir haben dann auch den klaren und konstruktiven Austausch mit LinkedIn und Microsoft und mit dem Bundesamt für Justiz gesucht". Dem Bundesamt hat er eine Liste mit Fällen geliefert, in denen LinkedIn seiner Ansicht nach bei Nutzerbeschwerden versagt hat – aber das Amt ist ja nicht zuständig.

Inzwischen werden die ehrenamtlichen "Digital Streetworkers" anderen Nutzern von selbst als Anlaufstelle genannt, sie haben aber auf ihrer Seite ourjobtobedone.de auch ein Kontaktformular. Es geht dann um ein Erstgespräch zur Bestandsaufnahme und darum, das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein. Es geht aber auch um Strategien, wie vielleicht auch gemeinsam mit Personalverantwortlichen vorzugehen ist. Damit zog das Projekt in der Branche Aufmerksamkeit auf sich, bei der entsprechenden Messe Zukunft Personal 23 waren die "Digital Streetworker" einer der drei Finalisten für den erstmals vergebenen Preis "Sustainable HR".

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"Jeder, den wir stärken, ist ein kleines Wunder"

Manchmal sind im weiteren Prozess aber auch die Zugänge gefragt, die Ceh und Mitstreiter aufgebaut haben. Da geht es nicht nur um Seiten zum einfachen Erstatten von Anzeigen, sondern auch um priorisierte Übergabe von Betroffenen an professionell aufgestellte Organisationen wie HateAid für juristische Beratung. "Jeder Mensch, den wir stärken und für mögliche Gefahren sensibilisieren konnten, ist ein kleines Wunder. Auch für uns Engagierte. "

Das ist für ihn die Geschichte, die mindestens so wichtig sei. Er zitiert die Schriftstellerin Jagoda Marinic mit einem Appell, positive Beispiele stärker wahrzunehmen: "Wir hätten eine ganz andere Vorstellung vom friedlichen Zusammenleben, wenn wir die Menschheitsgeschichte nicht nur entlang der Kämpfe und Kriege erzählen würden"; es müssten die stärker in den Blick, die Menschlichkeit verteidigten und Gemeinschaft zusammenhielten. Ceh: "Jeder von uns kann etwas beitragen, wenn wir uns gemeinsam auf Menschen, Werte, Kompetenzen und Lösungen fokussieren."

Verwendete Quellen
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