"Gar keine Siegesperspektive" Precht stellt Sinn von Waffenlieferungen in Frage
Richard David Precht gehörte zu den schärfsten Kritikern von Waffenlieferungen an die Ukraine, ruderte dann zurück. Jetzt fordert der Philosoph erneut Friedensverhandlungen.
Für seine Positionen zum Ukraine-Krieg musste der Buchautor Richard David Precht voriges Jahr viel Kritik einstecken. So empfahl er dem angegriffenen Land zunächst, aufzugeben und so ein schnelles Ende des Krieges zu erreichen. Später forderte er in einem offenen Brief mit anderen Prominenten ein Ende der Waffenlieferungen an Kiew. Nach den Erfolgen im Herbst ruderte Precht dann zurück und lobte die Stärke der ukrainischen Armee. Doch jetzt scheint der Philosoph den Glauben an einen Sieg der Ukraine erneut verloren zu haben.
"Mit welcher Inbrunst will man einen Krieg weiterführen, der gar keine Siegesperspektive hat?", fragt Precht in der jüngsten Ausgabe des Podcasts "Lanz&Precht" mit ZDF-Moderator Markus Lanz. Die beiden führen die Unterhaltung vor dem Hintergrund der laufenden Offensive, die bislang nicht zu einem durchschlagenden Erfolg gegen die russischen Truppen geführt hat. Precht bezweifelt, dass die Lieferung deutscher Leopard-2-Panzer große Wirkung hatte: "Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Wehrexpertin der FDP, Anm. d. Red.), die mir erzählte, wie überlegen diese Waffe ist, und dass man damit relativ schnell zur Halbinsel Krim durchkommt", so Precht.
Atombombe über Kiew?
Die versprochene Wunderwaffe sei der Leopard aber nicht gewesen: "Und das werden auch die Kampfflugzeuge und der Marschflugkörper Taurus nicht sein. Wir verfügen nicht über 'Wunderwaffen', die der Ukraine zu einem schnellen Sieg verhelfen", so Precht. "Wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, wir könnten auf dem alten Weg weitermachen und immer noch mehr Waffen und noch mehr Waffen und noch mehr Waffen einsetzen und die Leidtragenden sind die Soldaten auf beiden Seiten."
Das sei keine Alternative zu Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau, die den gegenwärtigen Frontverlauf einfrieren und das Grauen des Krieges beenden würden, so Precht. Im weiteren Verlauf der Podcastfolge äußert er zudem die Sorge, dass Russland eine Atombombe über Kiew abwerfen könnte, falls die Ukraine den Krieg gewinnt. Precht forderte die Bundesregierung auf, stärker in eine Vermittlerrolle zwischen den verfeindeten Ländern zu gehen. Wie man Moskau zu Verhandlungen bewegen kann und ob einem Abkommen mit Kremlchef Putin überhaupt zu trauen wäre, ließ Precht offen.
"Wie man sich täuschen kann"
Zudem ist nicht ausgemacht, ob die militärischen Aussichten der Ukraine so düster sind, wie Precht annimmt. Ein Großteil der vom Westen gelieferten Panzerfahrzeuge ist bislang offenbar noch gar nicht zum Einsatz gekommen. Mit britischen und französischen Marschflugkörper gelingen immer wieder Fernschläge gegen wichtige russische Ziele. Dabei sind viele der versprochenen Geräte noch nicht einmal geliefert worden, es fehlen zum Beispiel Minenräumpanzer. Trotzdem haben sich die Ukrainer schon an mehreren Frontabschnitten durch die erste Linie der russischen Verteidigungsanlagen gekämpft.
Vielleicht können die Ukrainer Precht ja noch einmal überraschen. Nach seiner anfänglichen Skepsis sagte Precht bei einer Podiumsdiskussion im November 2022: "Wir wissen jetzt erst, wie unglaublich stark die ukrainische Armee von Anfang an gewesen ist, bevor die Waffenlieferungen kamen. Insofern bin ich natürlich von einer Fehlannahme ausgegangen, dass es sich nicht lohnt, sich zu verteidigen, wenn der Krieg in ein, zwei Wochen verloren ist. Man kann sehen, wie man sich täuschen kann."
- lanz-precht.podigee.io: Ausgabe 103
- faz.net: Precht gesteht "Fehlannahme" zum Ukrainekrieg ein