Einfluss des Kremls Spahn attackiert die AfD – "Das ist Verrat am eigenen Land"
Bei Markus Lanz verzettelt sich CDU-Vize Jens Spahn in einer Diskussion über Kulturkämpfe. Dann attackiert er die AfD – und nimmt deren Wähler in Schutz.
Es dauerte keine fünf Minuten, da war der Kulturkampf zwischen Markus Lanz und Jens Spahn (CDU) in vollem Gange. "Einer sagt 'Winnetou', die andere 'Zigeunerschnitzel' und alle gehen aufeinander los" – diese Diagnose der Journalistin Julia Löhr zur politischen Diskussionskultur brachte den erbitterten Streit zwischen dem Gastgeber und dem Unions-Fraktionsvize am Dienstagabend auf den Punkt.
Die Gäste
- Jens Spahn, CDU-Politiker
- Carlo Masala, Militärexperte
- Mojib Latif, Klimaforscher
- Julia Löhr, "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
"Es ist der Sound des amerikanischen Kulturkampfes", rückte Lanz bereits in der Einleitung Spahn in die Nähe des Populisten Donald Trump. Anlass war ein Interview, in dem der ehemalige Bundesgesundheitsminister der Bundesregierung einen "Kulturkampf" gegen einen Großteil der Bevölkerung vorgeworfen hatte. "Selbst die Ansicht, ein Mann hat einen Penis und eine Frau nicht, gilt inzwischen in Teilen der Ampel-Koalition als problematisch", hatte Spahn der "Welt am Sonntag" gesagt.
Spahn: Ampel macht Politik gegen Mehrheit
"Ich sehe schon mal gar nichts von Respekt gegenüber Millionen Lebensentwürfen, Lebensleistungen, Ansichten, die Menschen haben", legte der CDU-Politiker am Dienstagabend nach. "Wenn das nicht verstanden wird, in der Ampel, dass man auf Dauer keine Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung machen kann, dann wird es noch echt schwere Zeiten geben."
"Und Sie haben damit nichts zu tun – mit dieser Zuspitzung?", wollte Lanz von seinem Gast wissen. "Wir sind beim Gendersternchen, bei Winnetou", brachte er aus seiner Sicht das Niveau vieler politischer Debatten auf den Punkt. "Sie wollen doch eine Kraft der Mitte sein", mahnte Lanz den Christdemokraten. "Sie entscheiden doch maßgeblich darüber mit, ob Sie genau diesem Sound, der zu solchen Wahlergebnissen führt, befeuern", sagte er mit Blick auf die jüngsten Erfolge der AfD bei Umfragen und Wahlen und redete sich an anderer Stelle in Rage.
Lanz warf Spahn vor, mit schwammigen Aussagen Ängste zu schüren, ohne das mit konkreten Fakten zu untermauern. Der CDU-Politiker gab ihm gleich das nächste Beispiel. Er hatte der Ampelkoalition vorgeworfen, die Bürger beispielsweise mit Werbeverboten für bestimmte Lebensmittel zu gängeln (dabei verschwieg Spahn jedoch, dass er am 14. März 2023 bei "Maischberger" sogar ein Verbot von zu zuckerhaltigen Lebensmitteln, die sich speziell an Kinder richten, gefordert hatte).
Bei Lanz sagte Spahn nun: Der vermeintlich besserwisserische "Kulturkampf" der Ampel gehe "bis hin zu Grünen, die sagen, wir sollten keine Einfamilienhäuser mehr im Land haben. Dann ist das ist die Ansage an viele Menschen: Ihr lebt falsch", sagte der Politiker. Lanz wollte es aber genau wissen: "Welche Grünen sagen, ihr sollt keine Einfamilienhäuser mehr haben?"
Namen konnte Spahn spontan nicht liefern, verwies auf eine angebliche Beraterin des grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Der hatte allerdings bereits Anfang 2021 zu den nicht neuen Vorwürfen festgehalten: "Zu behaupten, wir wollen Einfamilienhäuser verbieten, ist einfach albern."
Spahn greift Lanz an
Spahn warf seinerseits Lanz vor, dass es doch der Moderator gewesen sei, der in der Talkshow ständig von Kulturkampf, Gendern oder Penissen gesprochen habe. "Sie schon wieder – merken Sie es?", meinte der CDU-Politiker, als der Moderator erneut ein Schlagwort in den Mund nahm. "Die Fixierung ist aber eher Ihre als meine."
Dann wurde es doch noch konkret, als Spahn über den Wahlsieg eines AfD-Kandidaten im thüringischen Landkreis Sonneberg sprach. Die Wahl am Sonntag hatte deutschlandweit für Entsetzen gesorgt. Es war das erste Mal, dass ein AfD-Politiker das wichtige Amt des Landrats in Deutschland erringen konnte. Spahn warnte dahingehend vor einer Spaltung der Republik und empfahl, "nicht gleich zuerst die Empörung in der Analyse zu haben", sondern die Frage zu stellen, wie und warum das habe passieren können.
Eine Erklärung für den AfD-Erfolg in Ostdeutschland lieferte er auch: "Offensichtlich haben ziemlich viele Menschen einen ziemlichen Frust".
"Das ist eigentlich auch Verrat am eigenen Land"
Der CDU-Vize mahnte jedoch, die Wähler der vom Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextremistisch eingestuften Partei nicht mit der Partei selbst gleichzusetzen. Viele in der AfD seien rassistisch, antisemitisch und schürten bewusst Ängste in der Bevölkerung, so der ehemalige Gesundheitsminister. Doch gelte das nicht automatisch auch für alle Wähler der Partei.
Eine deutliche Warnung bezüglich der Einflussnahme durch Russland schickte Spahn hinterher. So werde die AfD auch durch den russischen Machthaber Wladimir Putin protegiert. Ihre Politiker ließen sich "nach allem, was wir wissen, in Teilen von ihm finanzieren und reden ihm nach dem Mund. Das erleben wir im Bundestag jede Woche", sagte Spahn und fügte an: "Das ist eigentlich auch ein Stück Verrat am eigenen Land."
Dass sich der Kampf gegen den Klimawandel gerade dramatisch zuspitzt, machte der Ozeanograf Mojib Latif bei "Markus Lanz" deutlich. Im Atlantik nördlich des Äquators seien gerade die höchsten Temperaturen aller Zeiten gemessen worden. Diese Hitzewellen im Meer führten zu "unglaublichen" Schäden, etwa massenhaftem Fischsterben. Gleichzeitig werden die Ozeane laut dem Klimaexperten infolge des hohen CO2-Ausstoßes immer saurer. Gerade sei der pH-Wert dabei, auf einen kritischen Punkt zu sinken. "Dann kann man für nichts mehr garantieren", warnte Latif.
Keine Garantien gibt es nach Ansicht des Militärexperten Carlo Masala auch für den Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin. "Wie lange geben Sie dem noch?", wollte Lanz wissen. Zwar hat sich Prigoschin nach der gescheiterten Meuterei nach Belarus abgesetzt. Der Politologe von der Universität der Bundeswehr München warnte aber vor dem langen Arm des Kreml: "An Prigoschins Stelle würde ich nicht mehr ruhig schlafen – und zwar für die nächsten Jahre."
- "Markus Lanz" vom 27. Juni 2023
- zdf.de. "CDU-Politiker bei Lanz. Spahn zeigt Verständnis für AfD-Wähler"
- taz.de: "Russland und die AfD. Putins blaue Helfer"
- stuttgarter-nachrichten.de: "Kretschmann nennt Debatte um Einfamilienhäuser albern" (kostenpflichtig)