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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Diese Teams verhandeln die Ampel 50 Milliarden Euro pro Jahr – Wo soll das Geld herkommen?
Die Koalitionsverhandlungen sind offiziell gestartet. In 22 Arbeitsgruppen ringen SPD, Grüne und FDP um die Zukunft Deutschlands – und ihre jeweils eigene politische Agenda. t-online zeigt, wo es knallen könnte.
Das Vorhaben könnte kaum ambitionierter sein: Drei Parteien, 300 Politiker, 22 Arbeitsgruppen und eine selbst auferlegte Deadline bis Ende November. Dann soll der Koalitionsvertrag der Ampel stehen und wenig später Olaf Scholz (SPD) zum Kanzler gewählt werden.
Klingt utopisch?
Wer den Bundestagswahlkampf noch vor Augen hat, würde sagen: ja. Monate, in denen die Parteien gestichelt, beleidigt und geschwindelt haben, wo vergleichsweise kleine Verfehlungen wochenlang ausgeschlachtet und hässliche Kampagnenvideos über die Gegenseite erstellt wurden.
Aber der Wahlkampf ist vorbei. Nun wollen SPD, Grüne und FDP schnell und geräuschlos die nächste Regierungskoalition aushandeln. Bei den Sondierungen bewies das Zweckbündnis tatsächlich, dass es sich zusammenraufen kann. Doch nun geht es ans Eingemachte.
Tatsächlich sind viele Punkte noch offen. In einigen der 22 Arbeitsgruppen, in die Rot-Grün-Gelb je zwischen vier- und sechsköpfige Verhandlungsteams schickt, ist Streit vorprogrammiert – zu verschieden sind die Interessen.
Habeck oder Lindner: Wer wird König der Kassen?
1,5-Grad-Ziel, Klimawende, Digitalisierung, öffentlicher Wohnungsbau, stabile Renten, ein moderner Staat, dabei keine Steuererhöhungen und kein Aufweichen der Schuldenbremse: SPD, Grüne und FDP haben im Sondierungspapier eine Reihe von Maßnahmen versprochen, die noch auf ihre Finanzierung warten. Die Grünen rechnen mit einem zusätzlichen Bedarf von 50 Milliarden Euro – pro Jahr.
Verstehen muss die finanzpolitische Ampel-Alchemie vor allem ein Mann (eine Frau wird es wohl nicht werden): der künftige Finanzminister. Die Parteichefs der Grünen und FDP, Robert Habeck und Christian Lindner, beanspruchen beide das Ressort für sich.
Formell führt die finanzpolitische Sprecherin Lisa Paus die Verhandlungen für die Ökopartei in der Arbeitsgruppe 22 "Finanzen und Haushalt". Doch Habeck gibt als grüner Hauptverhandler die groben Linien vor, in der Hoffnung, am Ende doch noch ins Finanzministerium einziehen zu können.
Unter Habecks Kontrolle würde das Ressort zur Schaltzentrale der Energiewende, die den Weg in die Klimaneutralität mitfinanziert. Der Grüne fordert schon lange einen aktivierenden Staat, der in zukunftsorientierte Branchen investiert, saubere Technologien fördert und dadurch Wachstum ankurbelt. Das Geld, das dafür nötig ist, soll durch Kredite kommen.
Christian Lindners Aufgabe wird es sein, seine Truppen so zu organisieren, dass Habeck damit nicht durchkommt. Habecks Konzept eines aktivierenden Staates widerstrebt dem FDP-Chef, der vor allem privates Kapital als Innovationstreiber sieht. Die Grünen-Pläne sind für den Liberalen eher eine Zumutung.
Doch Christian Lindner hat bereits eine Lösung für dieses Problem, sie heißt: Christian Lindner. Erringt der FDP-Chef das Finanzministerium in den Verhandlungen, sind die grünen Planspiele mit einem Schlag passé. Lindner hätte das letzte Wort bei Budgetplänen anderer Ressortchefs und könnte allzu ambitionierte Minister aushungern.
Auch der FDP-Chef ist offiziell nicht der Verhandlungsführer der Arbeitsgruppe, sondern Christian Dürr, Fraktionsvize im Bundestag. Die Arbeitsgruppen sind so designt, dass sie Konflikte selbstständig lösen. Doch auch hier ist zu erwarten, dass Lindner die Linie vorgibt und eingreift, wenn seine Karrierepläne auf dem Spiel stehen.
Für die SPD geht Doris Ahnen als Verhandlungsführerin ins Rennen. Die rheinland-pfälzische Finanzministerin sitzt schon seit 2014 mit Grünen und Liberalen am Kabinettstisch, kann also ihre Ampel-Erfahrungen mit einbringen. Die Sozialdemokraten haben allerdings nicht viel zu gewinnen bei dem Thema: Die steuer- und haushaltspolitischen Leitplanken wird der künftige Finanzminister definieren – und der wird ziemlich sicher kein SPD-Parteibuch haben.
Kühnerts Bewährungsprobe
Die Mieten steigen immer weiter, bezahlbarer Wohnraum ist schon jetzt knappe Ressource, vor allem in Großstädten. Das Problem ist in den vergangenen Jahren zu einem der drängendsten sozialpolitischen Themen geworden, auch, weil Wohnungsnot längst nicht mehr nur untere Einkommensklassen betrifft.
Die Sozialdemokraten haben Parteivize Kevin Kühnert zum Verhandlungsführer der Arbeitsgruppe 11 "Bauen und Wohnen" gemacht, ausgerechnet: Der SPD-Linke hatte 2019 noch offen über die Verstaatlichung privater Unternehmen etwa in der Automobilindustrie nachgedacht. Sozialismus bedeute im "Optimalfall" auch, dass es keine privaten Vermietungen mehr gebe, sagte Kühnert damals. "Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten."
Für so manchen FDPler ist der SPD-Linksaußen daher eine Reizfigur. Nicht unbedingt besser gemacht hat es Kühnerts Wahlkampfvolte gegen den Chef der Liberalen: Kühnert hatte Lindner als "Luftikus" bezeichnet, wegen dessen angeblich nicht gegenfinanzierten Steuerplänen.
Doch seit Kühnert im SPD-Vorstand sitzt, hat er rhetorisch abgerüstet. So hat sich der ehemalige Jungsozialist vergangenen September deutlich gegen das Berliner Volksbegehren ausgesprochen, das große Wohnungskonzerne verstaatlichen will.
Dennoch könnte es in der Arbeitsgruppe 11 ungemütlich werden. Kühnert fordert mit seinen Sozialdemokraten einen bundesweiten Mietenstopp in angespannten Wohnlagen. Bei den Grünen rennt er damit offene Türen ein, war es doch deren Berliner Landesverband, der in der Hauptstadt mit SPD und Linken den (später vom Bundesverfassungsgericht kassierten) Mietendeckel einführte. Der grüne Verhandlungsführer Chris Kühn wird Kühnert nicht in die Quere kommen.
Für Konfliktpotenzial könnte eher das Verhandlungsteam der Liberalen sorgen. Es führt der scheidende Chef des bayerischen Landesverbands, Daniel Föst. Die Haltung der FDP zu wohnungspolitischen Fragen ist wie in anderen Politikbereichen: Markt sticht Staat. Statt für behördliche Eingriffe wie einen Mietenstopp oder gar Verstaatlichung plädieren die Liberalen für schnelleren Wohnungsbau, einfachere Genehmigungsverfahren und Maßnahmen zur Vergünstigung von Bauland. Für einen Kompromiss braucht es hier viel Fantasie.
Außenpolitische Tretminen: Nord Stream 2 und Heiko Maas
Im Wahlkampf war die Außenpolitik nur ein Randthema. Dabei gibt es zwischen SPD, Grünen und FDP in ganz unterschiedlichen Bereichen enorme Meinungsverschiedenheiten.
Die SPD schickt Außenminister Heiko Maas federführend in die Gespräche, der das außenpolitische Programm der Sozialdemokraten maßgeblich mit ausgearbeitet hat. Der Elefant im Raum der Arbeitsgruppe 20 (“Außen, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte”) heißt Nord Stream 2 und dürfte mit ziemlicher Sicherheit zu einem Konflikt führen.
Für die SPD ist die umstrittene Ostsee-Pipeline ein Prestigeprojekt. Maas hat sich stets hinter Nord Stream 2 gestellt und erst vor Kurzem, nach harten Verhandlungen, eine Einigung mit den USA errungen. Für die Sozialdemokraten, die sich auch durch den deutlichen Wahlsieg von Landeschefin Manuela Schwesig im Pipeline-Bundesland Mecklenburg-Vorpommern bestätigt sehen, ist die deutsch-russische Pipeline kaum verhandelbar.
Doch Nord Stream 2 ist zur außenpolitischen Tretmine geworden. Vor allem die Grünen machen seit Monaten dagegen mobil und wollen die Pipeline sogar jetzt noch verhindern, obwohl sie mittlerweile fertiggestellt ist. Zu den Kritikern zählt auch Omid Nouripour, der für seine Partei federführend in die außenpolitische Verhandlungsrunde geht.
Der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag kritisiert vor allem die Zusammenarbeit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aus menschenrechtlicher Perspektive. Außerdem hält er die Pipeline für klimaschädlich. Ein Stopp sei die einzige Sprache, die der Kreml verstehe.
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Auch die FDP sieht die Pipeline kritisch und steht auch in Menschenrechtsfragen gegenüber China und Russland nah bei den Grünen, die eine härtere Politik fordern. Für die Liberalen verhandelt federführend Alexander Graf Lambsdorff, der Nord Stream 2 als "Debakel" bezeichnete. Die FDP griff in der Vergangenheit auch Maas persönlich an. "Wie dringend bräuchten wir jetzt einen echten Außenminister", twitterte Marie-Agnes Strack-Zimmermann noch im Herbst 2020, die zu Lambsdorffs Verhandlungsteam gehört.
Doch das sind nicht die einzigen Streitthemen. So setzte sich Maas noch in diesem Sommer für einen neuen EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei ein. Auch das könnte mit Nouripour schwierig werden, der eine Aufkündigung des Deals mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan forderte.
Auch Nouripour und Lambsdorff haben ihre Differenzen: Ein Streitpunkt etwa ist, inwieweit die Bundesrepublik künftige Kampfflugzeuge mit Atomwaffen der USA bestücken können sollte. Die Grünen sind dagegen, die FDP dafür. In der Frage der atomaren Teilhabe wird die nächste Bundesregierung Farbe bekennen müssen, da die Tornados der Bundeswehr ersetzt werden müssen.
Der "Autopapst" und die Klimawende
Auch beim Oberthema "Klimaschutz in einer ökosozialen Marktwirtschaft", das in vier separaten Arbeitsgruppen verhandelt wird, könnte es hitzige Debatten geben: Die AG 8 "Klima, Energie, Transformation" ist nicht nur hochkarätig besetzt, sondern muss die Herkulesaufgabe der nächsten Regierung lösen: Wie schafft Deutschland die Klimawende?
In einer gerade erschienenen Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) ist von der "größten Transformation" in der Nachkriegszeit die Rede. Rund 860 Milliarden Euro sind demnach nötig, um die Klimaziele 2030 zu erreichen.
Dazu sind monumentale Anstrengungen nötig – und eine kluge, mutige Strategie. Um diese zu verhandeln, schickt die SPD ein sechsköpfiges Team unter Leitung von Matthias Miersch, Fraktionsvize im Bundestag. Die interessantere Personalie ist jedoch Stephan Weil.
Der niedersächsische Landeschef hatte sich in der Vergangenheit immer wieder für die deutsche Autoindustrie starkgemacht. Vorwürfe der niedersächsischen Grünen gegen Weil, er würde Klimaschutz zugunsten der Autolobby vernachlässigen, ließ er, der im Aufsichtsrat von VW sitzt, an sich abprallen: "Am Ende interessieren sich die Konservativen wenig für den Klimaschutz und die Grünen wenig für die Arbeitsplätze – die SPD vereint beides", so Weil 2018.
Auch SPD-intern ist der Ministerpräsident deswegen nicht unumstritten. Parteivize Kevin Kühnert nannte Weil in der jüngst erschienenen ARD-Doku den "Autopapst". Auch mit Brandenburgs Landeschef Dietmar Woidke, der sich noch im Juli gegen einen Kohleausstieg vor 2038 aussprach, entsendet die SPD eine Personalie, die für Unruhe sorgen könnte.
Als prominenter Gegenspieler könnte sich Jürgen Trittin behaupten. Er hat es zwar nur auf Rang fünf der Teamhierarchie geschafft (Hauptverhandler ist der grüne Fraktionsvize Oliver Krischer). Aber Trittin ist nicht gerade für seine Zurückhaltung bekannt.
Bei den Liberalen dürfte der Parteilinke nicht unbedingt für Freudensprünge gesorgt haben. Im Juli verärgerte Trittin die FDP mit einem satirischen Tweet, der sich auf eine Sendung der ZDF-Comedysendung "Die Anstalt" bezog:
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Auch werfen die FDP-Politiker dem früheren Bundesumweltminister ein Zitat um die Ohren, mit dem Trittin seinerzeit die EEG-Umlage rechtfertigte: Sie würde deutsche Durchschnittshaushalte monatlich nicht mehr kosten als "eine Kugel Eis", so Trittin damals. Bekanntermaßen blieb es nicht dabei. Die FDP schlachtet die schlecht gealterte Eis-Metapher seit ziemlich genau acht Jahren aus (der erste dokumentierte Fall ist der 17. Oktober 2013).
Zu hoffen bleibt, im Sinne rascher Verhandlungsergebnisse, dass die FDP, vertreten durch ihren klimapolitischen Sprecher Lukas Köhler, auf den moralischen Fingerzeig aufgrund vergangener Versäumnisse verzichtet und Trittin seinerseits auf unhaltbare Vergleiche.
Am besten erwähnt die Kugel Eis niemand mehr.
- Bild: "Darum ist Kühnert gegen Enteignung"
- Welt: Staatlicher Automobilbetrieb – Kühnerts Ideen zur Zukunft von BMW
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