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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-Vize Breher "Dann ist mein Sonntag mit den Kindern vorbei"
Wie erfindet sich eine Volkspartei neu? Ein Gespräch mit der CDU-Vizechefin Silvia Breher über Versäumnisse der Vergangenheit und die Frage, warum die Deutschen ihrer Regierung nur begrenzt trauen.
Silvia Breher ist so, wie sich jetzt viele in der CDU ihren Chef wünschen: Für eine Spitzenpolitikerin eher jung, weiblich, mit einem konservativ-liberalen Profil. Anschlussfähig an die Mitte, wird das in der Partei gern genannt.
Die 48-jährige Breher ist noch Vizevorsitzende der CDU – und könnte jetzt aufsteigen. Parteichef Armin Laschet hat seinen Rücktritt angekündigt, der Weg wäre frei. Doch Breher will nicht. Ein Gespräch über die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen bei den Christdemokraten und die Neuerfindung einer Volkspartei.
t-online: Frau Breher, nun will die CDU ihre Basis stärker einbinden. Haben Sie das bislang verschlafen und sind wegen der Wahlschlappe jetzt aufgewacht?
Silvia Breher: Dass wir alle Ebenen der CDU einbinden, ist ja nichts Neues. Das haben wir bei den Regionalkonferenzen 2018 gemacht, das haben wir bei den Kandidatenrunden 2020 gemacht und das haben wir über unsere Beteiligungskampagnen bei jedem Wahlprogramm der letzten Jahre gemacht. Aber besonders ist, dass die Partei jetzt etwas nachholen muss: Erst gab es die lange Ära Merkel, dann folgte die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und anschließend kam es zu einer langen Phase des Übergangs, bis wir jetzt die Bundestagswahl verloren. Da haben einfach zu wenige inhaltliche Debatten stattgefunden. Das ändern wir jetzt gemeinsam mit den Mitgliedern.
Die Kreisvorsitzenden entscheiden, ob es zu einem Mitgliederentscheid über den nächsten Parteichef kommt. Annegret Kramp-Karrenbauer hat der "Zeit" gesagt, sie sei dagegen. Was denken Sie?
Das stimmt nicht ganz. Die Frage, wie wir die Mitglieder einbinden, werden wir gemeinsam mit den Kreisvorsitzenden beraten. Dass wir die Kreisvorsitzenden jetzt einbinden, halte ich für sehr gut. Das wird jetzt unsere Aufgabe sein: Den durchaus berechtigten Wunsch der Parteibasis nach Beteiligung zu erfüllen, ohne unsere eigenen gewählten Gremien und damit auch die Prinzipien repräsentativer Demokratie zu schwächen. Übrigens: ein Mitgliederentscheid ist nicht allein der große Heilsbringer. Das zeigt sich an der SPD, die damit zweifelhafte Erfahrungen gemacht hat.
Die haben aber gerade die Wahl gewonnen.
Mit einem Kandidaten, der von der Parteispitze und unter Ausschluss von Basis und Öffentlichkeit erkoren wurde. Ob bei uns die Mitglieder abstimmen, wird sich zeigen. Unabhängig davon ist wichtig, dass die Partei zu mehr Einheit kommt.
Inwiefern?
Die beiden letzten Wahlen zum Parteivorsitz gingen immer sehr knapp aus.
Damit blieb immer ein großer Teil unzufriedener Christdemokraten zurück: Merz verlor zwei Mal, 2018 und 2020 – die Konservativen waren frustriert.
Das hat zu Gräben und Verletzungen geführt. Und das darf sich nicht wiederholen. Deshalb können wir bei der nächsten Wahl zum Vorsitzenden nicht einfach weitermachen wie bisher, und zwischen drei, vier, fünf – oder wie viel auch immer – Bewerbern entscheiden. Es braucht einen ganzheitlicheren Ansatz.
Also beispielsweise eine Doppelspitze?
Dafür sehe ich im Augenblick keine Mehrheit, aber auch das werden wir diskutieren. Ich bin da offen. Wichtig ist, dass die Union als Team sichtbar wird, das nicht nur aus Männern aus Nordrhein-Westfalen besteht – obwohl das alles kompetente und gute Kollegen sind.
Sie meinen die aktuellen Entscheider: Fraktionschef Ralph Brinkhaus, Gesundheitsminister Jens Spahn …
… es hat ja bislang keiner seine Kandidatur erklärt, aber die Medienspekulationen haben wir ja alle gelesen. So schön und groß dieses Bundesland sein mag: Nur Christdemokraten aus NRW werden nicht die Lösung sein. Es braucht jetzt ein Team.
Ein Team? Wirklich? Der Erfolg von Laschets "Zukunftsteam", zu dem auch Sie gehören, war ja eher überschaubar. Und der seines "Klimateams" auch.
Der Gedanke dahinter war aber richtig. Wir brauchen ein Team, das unsere Breite abdeckt und langfristiger eine Wirkung erzielt: Ich fände es schön, wenn sich im künftigen Parteipräsidium unterschiedliche politische Ansätze widerspiegeln. Mal konservativ, mal liberal, mal christlich-sozial. Und zudem braucht es mehr engagierte Frauen ganz oben an der Spitze der Partei.
Jetzt gibt es da aktuell eine Vizevorsitzende mit Nachnamen Breher ...
... sehr schmeichelhaft. Aber das Amt des Parteichefs steht für mich aktuell nicht zur Diskussion.
Warum nicht?
Weil es in meine persönliche Lebensplanung nicht passt. Weil ich drei Kinder habe, weil ich nicht in Berlin wohne und vor allem: Weil meine Kinder mindestens ein Recht auf eine Mama haben.
Mit dieser Haltung dürften Sie nicht allein sein.
Das stimmt, und das ist teilweise auch das Problem der CDU. Wir hatten über Jahre oft Frauen in Spitzenpositionen, die eher keine Kinder hatten. Ursula von der Leyen war eine Ausnahme. Aber viele Frauen in der Partei haben komplett auf ihre Karriere gesetzt. Und es darf doch einfach nicht sein, dass man sich innerhalb der Partei entscheiden muss, ob man jetzt Karriere oder Kinder will.
Wann müssen Sie sich entscheiden?
Na, beispielsweise, wenn es eine spontane Einladung für ein Parteitreffen am Sonntagabend gibt: Dann ist mein Sonntag mit den Kindern vorbei – weil ich eben nicht in Berlin wohne. Ich muss nach dem Frühstück dann losfahren. Und das haben viele, die keine Verantwortung für die Kinder haben, nicht im Blick. Wir haben im letzten Jahr in der Struktur- und Satzungskommission viele gute Ansätze erarbeitet, wie wir unsere Partei familienfreundlicher machen können. Ich hoffe, dass wir diese nun auf dem nächsten Parteitag verabschieden und in die Tat umsetzen. Wir müssen uns aber auch generell inhaltlich neu aufstellen. Unabhängig von jedem Team und jedem Vorsitzenden.
Das müssen Sie konkretisieren.
Als CDU müssen wir uns nach dieser Wahl erst mal wieder klar positionieren. Wir haben viele inhaltliche Differenzen durch Formelkompromisse aufgelöst. Und dadurch entsteht der Eindruck, dass wir gar nicht genau wissen, wofür wir stehen. Das hat uns auch in das Dilemma geführt, in dem wir jetzt stecken. Zugespitzt könnte man sagen: Im Osten wählen sie die AfD, weil wir dort angeblich nicht rechts genug sind – im Westen werden wir nicht gewählt, weil wir angeblich nicht links genug sind. Dabei geht es – davon bin ich überzeugt – nicht um eine Frage von links oder rechts. Es ist uns nicht mehr gelungen zu zeigen, dass wir die Partei des "Unds" sind. Dass wir die Unternehmen stärken wollen und die Arbeitnehmer. Dass wir das Klima schützen wollen und die Arbeitsplätze. Dass wir Familien stärken wollen und modern sind. Unsere Konzepte dafür sind zu schwammig. Wir müssen erst mal wieder klar erklären, wofür die CDU eigentlich steht, sonst ist das brandgefährlich.
Können Sie mal drei Aspekte nennen?
Bleiben wir einmal bei den Familien: Wir brauchen mehr Stärkung beim Thema Familie – dafür interessiert sich die Medienöffentlichkeit oft kaum. Aber es sind nicht so wenige Menschen in Deutschland, die eine Familie haben – die Familie ist für alle angeblich so wichtig, aber öffentlich darüber wird kaum diskutiert.
Und Sie wollen das traditionelle Familienbild stärken?
Das ist so ein Kampfbegriff, mit dem ich nichts anfangen kann. Die Extreme, die sich dahinter verbergen, sind doch: Die einen wollen Fremdbetreuung der Kinder, die anderen wollen, dass einer arbeitet – meist der Mann – und die andere zu Hause bleibt. Beides ist falsch! Was ich erlebe, ist: Die Frauen würden gern ein bisschen mehr arbeiten, und die Männer wollen oft ein wenig weniger arbeiten, aber können es nicht. Man kann oft nicht mal 5 bis 10 Stunden für zwei Jahre reduzieren. Da müssen wir ran. Und dann gibt es noch ganz praktische Fragen: Wenn man eine Jahreskarte für den Zoo oder auf einer Fähre kauft, dann ist die oft als "Familienkarte" ausgewiesen: Gemeint sind Vater, Mutter und zwei Kinder. Und was ist mit einem Elternteil und den drei Kindern? Da muss man dann oft ein zusätzliches Erwachsenen-Ticket lösen. Das kann ja wohl nicht sein. Ich wünsche mir eine Familienpolitik, die die tatsächlichen Belange von Familien in den Mittelpunkt stellt und weniger ideologisch ist. Und ich wünsche mir, dass wir daran arbeiten, die Vielfalt von Familie heute zu akzeptieren und zu unterstützen.
Und die zwei anderen Themen?
Natürlich die Wirtschaftskompetenz. Wir müssen klimaneutral werden und dabei trotzdem die Jobs retten. Und als dritten Aspekt finde ich die Sicherheitspolitik, die innen- und außenpolitisch geprägt ist, relevant. Darf ich mal ganz grundsätzlich was loswerden zur Ausrichtung meiner Partei?
Bitte.
Wir müssen den Fokus klar setzen. Es ist doch ganz klar: Ja, wir brauchen mehr Frauen. Und natürlich sollen gleichgeschlechtliche Paare auch Kinder adoptieren dürfen. Das ist wichtig, das ist richtig und ich bin dafür! Lasst uns das doch im positivsten Sinne "abhaken". Denn entscheidend für die Zukunft des Landes ist, dass wir unsere Wirtschaft erhalten und das gemeinsam mit einer starken EU. Davon hängt die Zukunft dieses Landes ab! Sonst sind wir weg und wir überlassen China und den USA den Markt.
Zum Schluss müssen wir noch über den Noch-Parteichef sprechen. Wäre Laschet vielleicht ein guter Kanzler gewesen, aber ist einfach kein guter Wahlkämpfer?
Also sicher ist nicht Armin Laschet allein am Wahlergebnis schuld. Es stimmt aber auch, dass wir seine Qualitäten in diesem Wahlkampf nicht ausreichend vermitteln konnten.
Wäre so ein Wahlkampf vor 30 Jahren noch erfolgreich gewesen, als es noch kein Twitter gab? Wo nicht jeder Lacher innerhalb von Sekunden verbreitet wird?
Das lässt sich so nicht pauschal sagen. Wir werden dieses Wahlergebnis als Partei analysieren. Für ein Ergebnis ist es noch zu früh. Aber sicher ist: Wir erleben gerade einen Wandel in der Gesellschaft. Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte kürzlich bei mir einen Vortrag gehalten, in der katholischen Akademie, zum Thema Demokratie. Und darin griff er auf: Die höchsten Zustimmungswerte für die Regierung gibt es in Ägypten und der Türkei. Während das größte Misstrauen gegenüber der Regierung unter anderem in Deutschland herrscht. Die Demokratie ist das Wertvollste, was wir haben! Und trotzdem vertrauen die Menschen diesem System weniger als einer autokratischen Regierung. Und deshalb gibt es jetzt eine Sehnsucht danach, jemanden zu haben, der mal auf den Tisch haut. Das machen Populisten. Als Union war es immer unser Anspruch, das Verbindende über das Trennende zu stellen. Das muss unser Anspruch bleiben. Wenn Sie so wollen, ist es das Gegenmodel zum Populismus. Da müssen wir extrem aufpassen, gerade als Volkspartei CDU.
Herr Altmaier wird den Bundestag verlassen, Frau Kramp-Karrenbauer geht – Wolfgang Schäuble will nicht erneut ins Parteipräsidium. Man hat den Eindruck: Die altgedienten Parteifunktionäre ziehen sich jetzt zurück. Wie finden Sie das eigentlich, dass Friedrich Merz solche Gedanken offenbar nicht hegt?
Friedrich Merz ist doch gerade erst seit knappen drei Jahren zurück in der Bundespolitik. Die Neuaufstellung der CDU hat nicht ausschließlich etwas mit jungen Politikern zu tun. Sondern mit Zukunft. Und wir sind eine sehr große Partei, da ist Platz für mehrere Köpfe.