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Jürgen Trittin (Grüne): "Dieses Politiker-Mikado funktioniert nicht mehr"


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Jürgen Trittin warnt
"Sonst wird es brandgefährlich"


13.10.2021Lesedauer: 5 Min.
Jürgen Trittin im Bundestag: "Jetzt verhandeln alle Parteien mit dem Willen, Teil einer Regierung zu werden."Vergrößern des Bildes
Jürgen Trittin im Bundestag: "Jetzt verhandeln alle Parteien mit dem Willen, Teil einer Regierung zu werden." (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)
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Er weiß, wie das geht: Regieren. Grünen-Politiker Jürgen Trittin war Minister unter Gerhard Schröder. Was hat sich seitdem verändert? Und was lernt er daraus für die Ampelverhandlungen?

Herr Trittin, wie läuft's bei den Sondierungen?

Gut. Man spricht miteinander, auch hart in der Sache. Aber man spricht nicht übereinander.

Offensichtlich auch nicht über die verhandelten Themen. Sie sind im erweiterten Sondierungsteam der Grünen und wissen mehr als wir. Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf?

Ja. Denn wir haben es geschafft, ergebnisorientierte Verhandlungen auf den Weg zu bringen. Das liegt vor allem an den beiden inhaltlichen Antipoden, also der FDP und den Grünen. Wir haben uns zusammengesetzt, weil wir wussten, dass es zwischen uns die größten Unterschiede gibt. Nur so können wir die Unterschiede auch auflösen.

Wie lange wird das Schweigegelübde denn noch halten? Die roten Linien der Parteien werden im Sondierungspapier stehen müssen, das bis Freitag beschlossen werden soll.

Ob Freitag oder später, wird man sehen. Die Kernforderungen sind bekannt: Die FDP will keine Steuererhöhungen. Die SPD setzt sich für einen Mindestlohn von 12 Euro ein. Und wir Grünen wollen eine Regierung, die das Land beim Klimaschutz auf den 1,5-Grad-Pfad bringt. Dafür müssen wir massiv investieren – und schauen, wo das Geld dafür herkommt. Sonst wird das nichts.

Woher es kommen könnte, verraten Sie uns jetzt aber natürlich nicht.

Sie haben es erraten.

Jürgen Trittin, 67 Jahre, ist seit 1998 Mitglied des Bundestages. In der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder arbeitete er als Umweltminister und war anschließend unter anderem Fraktionschef und mit Katrin Göring-Eckardt bei der Bundestagswahl 2013 Spitzenkandidat der Grünen.

An die Stelle der Inhalte tritt öffentlich gerade die Inszenierung. Wundern Sie sich manchmal selbst, was aus den Grünen geworden ist, wenn Sie die freudigen Fotos mit der FDP sehen?

Die Grünen bleiben die Grünen. Aber es gibt halt diesmal eine große Gemeinsamkeit mit der FDP: Wir sind beide gegen den Stillstand der großen Koalition anmarschiert, wenn auch aus unterschiedlichen Richtungen. Die Botschaft der Wähler war: Schluss mit dem Stillstand! Das fordern wir jetzt gemeinsam von der SPD ein.

Apropos Wandel statt Stillstand: Wir haben ein Zitat gefunden, das einmal nach Jamaika-Sondierungen von einem Grünen gesagt wurde: Die Wahrscheinlichkeit für eine Koalition mit Union und FDP liege "ungefähr im Bereich der Nachweisgrenze". Wann war das, und wer hat es gesagt?

Puh. 2017 hätte es nach den geplatzten Verhandlungen jeder sein können. Da waren sich ja alle einig.

Es war 2005, als sich die damaligen Grünen-Chefs Claudia Roth und Reinhard Bütikofer mit den Union-Chefs Angela Merkel und Edmund Stoiber trafen. Frau Roth lobte Stoibers hellblau-grüne Krawatte und fand das Gespräch immerhin angenehm, offen und ehrlich. Der ernüchterte Satz stammt von Herrn Bütikofer.

Ach, lange her.

Was hat sich in diesen gut 15 Jahren verändert?

Wir haben zwölf Jahre große Koalition gehabt – und 16 Jahre Angela Merkel. Das hat ein Politikmodell an die Grenze geführt, das sagt: Wir handeln erst, wenn es gar nicht anders geht. Dieses Politiker-Mikado nach dem Motto "Wer sich als erster bewegt, hat verloren" funktioniert nicht mehr.

Und was hat sich bei den Grünen verändert?

Wir sind deutlich stärker geworden und gehen nun vielleicht mit fast dem Dreifachen unseres Ergebnisses von 1998 in eine Regierung. Ob sich das auch in einer Verdreifachung der Ministerien widerspiegelt, würde ich zwar bezweifeln ...

... sollte es sich? Das könnten Sie jetzt exklusiv fordern.

Spaß beiseite: Das Ergebnis zeigt das veränderte gesellschaftliche Gewicht der Grünen. Mit dem Wachstum geht einher, dass wir in ganz anderen Milieus vertreten sind als damals. Es gibt völlig selbstverständlich grüne Polizisten, Soldaten, Gewerkschafter und Unternehmer.

Vor einer Regierung stehen aber noch die Koalitionsgespräche. Was kann man aus den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen von 2017 lernen?

Nicht so viel, wie manche denken.

Oh.

Aus einem einfachen Grund: Jetzt verhandeln alle Parteien mit dem Willen, Teil einer Regierung zu werden. 2017 wollten anderthalb der vier Parteien unter Angela Merkel nicht mehr regieren.

CSU und FDP?

Genau. Und dann ist der Charakter von Sondierungen ein ganz anderer. Bei kritischen Punkten wird blockiert, statt eine Lösung zu suchen.

Und die FDP will jetzt die Ampel?

Das habe ich nicht gesagt. Aber die FDP will regieren. Deshalb betreiben alle diese Sondierungen gerade mit dem ernsthaften Interesse, sie zu einem Erfolg zu machen. Niemand will einfach nur den Laden in die Luft sprengen. Das ist der Unterschied zu 2017.

Und was ist der Unterschied zu den rot-grünen Gesprächen 1998?

Wir verhandeln aus einer viel stärkeren Position. Was auch damit zu tun hat, dass diesmal zwei kleinere Koalitionspartner zusammen mehr Sitze im Bundestag haben als der größere. Und die Konsens-Dissens-Linien sind komplexer.

Das klingt fast schon philosophisch.

Ist aber sehr praktische Politik: SPD und Grüne wollen eher mehr investieren, die FDP eher weniger. Bei der Digitalisierung wiederum sind Grüne und FDP näher beieinander. Und beim Klimaschutz stehen wir als Grüne gegen FDP und SPD, die mehr Angst vor Veränderung haben.

Was unterscheidet die Verhandler Gerhard Schröder und Olaf Scholz?

Olaf Scholz weiß sehr genau, dass man mit einem forschen, rechthaberischen Ton der Situation nicht mehr gerecht wird. Auch wenn sich die SPD in einem Zustand befindet, in dem sie überrascht ist, dass Armin Laschet sie wieder auf das Niveau von 2013 gebracht hat und das alles ganz toll findet ...

... jetzt klingen Sie missgünstig ...

... nein, nein! Ich gönne der SPD den Wahlsieg. Aber das vergleichsweise bescheidene Niveau ihres Erfolgs zeigt eben auch, worüber sich ehemalige Volksparteien inzwischen so alles freuen. Trotzdem erwarten die Menschen, dass man in einer solchen Konstellation auch entsprechend auftritt. In der Sache wird Scholz hart verhandeln, er ist Profi. Aber wir sind ja auch Profis.

Sie sind auch Außenpolitiker. Was müssen die Grünen gegenüber SPD und FDP auf diesem Gebiet durchsetzen?

Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis davon, dass wir ein stärkeres Europa benötigen.

Diese Forderung gibt es seit Langem. Was macht Sie optimistisch, dass jetzt tatsächlich etwas passiert?

Je größer die Not, desto eher wird gehandelt. Dieser schöne Spruch "In Europa gibt es einen Größenunterschied zwischen Deutschland und Malta, aber in der Welt fällt der nicht so ins Gewicht" stimmt doch. Denn er bedeutet: Nur gemeinsam sind wir stark.

Wie sollten wir diese Stärke denn einsetzen?

Außenpolitisches Gewicht werden wir als Europäer nur haben, wenn wir umdenken. Wir dürfen keine deutsche Chinapolitik mehr machen, sondern müssen eine europäische Chinapolitik definieren – auch wenn es für uns schwieriger ist. Wir müssen uns klarmachen, dass wir ein strategisches gemeinsames Interesse mit den USA besitzen, wenn es um den freien, regelbasierten Welthandel geht, die USA aber auch eigene Interessen verfolgen. Und dann ist da noch das riesige Thema Klimaaußenpolitik.

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Das müssen Sie präzisieren.

Ob wir Europäer eine aktive Klimaaußenpolitik machen, wird von zentraler Bedeutung für die Beantwortung der Frage sein, ob wir den 1,5-Grad-Pfad beim Klimaschutz schaffen. Der führt zu massiven geostrategischen Verwerfungen, weil er bedeutet, dass 80 Prozent der bekannten Vorräte von Öl und Gas unter der Erde bleiben müssen. Wie so vieles andere gelingt das nur mit internationaler Kooperation. Sonst wird es brandgefährlich.

Sie klingen sehr engagiert. Vor Kurzem hatten wir ein Interview mit Cem Özdemir und dabei den Eindruck gewonnen, er wäre gern Minister im nächsten Kabinett. Wollen Sie es auch noch mal wissen?

Wir haben uns jede Form von Personaldiskussionen zum jetzigen Zeitpunkt verboten.

Wir wollen ja nur wissen, ob es Sie reizt, erneut ganz oben mitzuspielen.

Wir Grüne führen unter Leitung von Annalena Baerbock und Robert Habeck die Verhandlungen. Am Ende wird es ein Paket geben, das auch alle Personalfragen beinhaltet.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jürgen Trittin in Berlin
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