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AfD: Erfolgsrezept von Herbert Kickl und FPÖ in Österreich kopiert?


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Rechtspopulisten in Österreich
Sie drangsalieren die freie Presse

MeinungEin Gastbeitrag von Monty Ott

29.09.2024Lesedauer: 6 Min.
FPÖ-Politiker Herbert Kickl und AfD-Chefin Alice Weidel: Die beiden Rechtspopulisten sind extrem erfolgreich.Vergrößern des Bildes
FPÖ-Politiker Herbert Kickl und AfD-Chefin Alice Weidel: Die beiden Rechtspopulisten sind extrem erfolgreich. (Quelle: Eva Manhart/APA/dpa)

Rechtspopulistische Strömungen in Österreich und Deutschland ähneln sich zunehmend. Die AfD übernimmt dabei bewährte Strategien der österreichischen FPÖ, erklärt Politikwissenschaftler Monty Ott in einem Gastbeitrag.

Es war das Jahr 2008. Da saßen sich Zukunft und Vergangenheit des österreichischen Rechtspopulismus gegenüber. Heinz-Christian Strache von der Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ) traf auf den einstigen FPÖ-Chef und inzwischen Spitzenkandidaten des Bündnisses Zukunft Österreich, Jörg Haider. Lange Zeit war Haider Straches Vorbild gewesen, ehe er sich von ihm loslöste. Während des Rededuells sollte Haider Strache den Vorwurf machen, nur bei ihm abzukupfern. Das war nicht falsch.

Und wie sich heute zeigt, sollten noch etliche extreme und populistische Rechte es ihm gleichtun. Würde Haider noch leben, hätte er diesen Vorwurf wohl auch an den Landeschef der AfD-Thüringen, Björn Höcke, richten können. Dieser kopierte im Wahlkampf 2019 den 2008 verstorbenen Haider ganz eindeutig: Auf einem Plakat saß er in der gleichen Pose wie einst Haider. Dazu der Spruch "Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist."

Die Parallelen zwischen dem "dritten Lager" – wie die extreme Rechte als dritte Kraft neben sozialdemokratisch-progressiv und christdemokratisch-bürgerlich bezeichnet wird – in Österreich und der extremen Rechten in Deutschland sind offensichtlich. Dort, wo sie erfolgreich sein wollen, kupfern sie bei den Erfolgsrezepten ab, die in der Petrischale des Rechtspopulismus entwickelt worden sind.

Untergangsstimmung?

Die enorme Verunsicherung in jüdischen Communitys hat sich nach den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg verstärkt. Welche Konsequenzen würde man ziehen, sollte die AfD bei den Bundestagswahlen im kommenden Jahr siegen? Hilft die Suche nach Parallelen zum Nachbarland vielleicht dabei, mit den berechtigten Sorgen umzugehen?

Immerhin landete in Brandenburg die AfD auf dem zweiten Platz. In Österreich, wo am Sonntag gewählt wird, liegt die rechte FPÖ in Umfragen gar auf dem ersten Platz.

Zur Person

Monty Ott ist Autor, Politik- und Religionswissenschaftler. Er hat in Hannover studiert. Ott beschäftigt sich in seinen Schriften häufig mit Themen wie jüdischer Identität, Geschichte und Erinnerungskultur. Anfang 2023 ist sein gemeinsam mit Ruben Gerczikow verfasster Reportageband "Wir lassen uns nicht unterkriegen – Junge jüdische Politik in Deutschland" erschienen. Monty Ott lebt und arbeitet in Berlin.

Haiders Erbe(n)

Um die Gefahr der FPÖ zu begreifen, sollte man sich die lange Liste an ihren Eklats anschauen. Die meisten Skandale drehen sich um Rassismus, Antisemitismus, verschwörungsideologisches Geraune, neonazistische Chiffren, Relativierung des Nationalsozialismus. Man könnte etwas zugespitzt sagen: Das war Haiders Geschäft – und damit hat er erfolgreich Politik gemacht.

Und sein Rezept war so erfolgreich, dass es auch in der Gegenwart wieder zur Bedrohung für pluralistische, demokratische Gesellschaften werden kann. Mit der FPÖ hat Haider experimentiert. Und er prägt die politische Landschaft Österreichs bis heute – durch Menschen aus seinem Umfeld wie Strache oder Kickl, die von ihm gelernt haben.

Wie offensichtlich die Kontinuitäten im Bereich Antisemitismus sind, merkt man, wenn man sich Haiders Rede auf dem Politischen Aschermittwoch 2001 in Ried am Innkreis genauer anschaut. Dabei ist auch einer der schärfsten Kritiker der FPÖ, der damalige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und heutige Interimspräsident des European Jewish Congress sowie Vizepräsident des World Jewish Congress, Ariel Muzicant, zum Ziel von Hohn und Spott geworden.

Doch Haiders Redenschreiber hatte ihm eine ganz besondere Pointe vorbereitet, die der rechtspopulistische Shootingstar vor laufender Kamera rief: "Ich verstehe überhaupt nicht, wie wenn einer Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann". Damit bezog er sich auf das Waschmittel. Muzicant klagte, und Haider nahm die Äußerung zurück.

Acht Jahre später sollte Muzicant dann auch noch mal durch einen Disput mit dem Autor jener Zeilen in die Schlagzeilen geraten. Denn im Jahr 2009 verglich Muzicant Herbert Kickl mit dem NSDAP-Propagandaminister Joseph Goebbels.

Und jener Herbert Kickl steht heute als Bundesparteiobmann kurz vor dem größten Erfolg, den die FPÖ in ihrer fast 70-jährigen Geschichte erringen könnte: Nach den kommenden Nationalratswahl am 29. September könnte sie den Bundeskanzler stellen. Vorausgesetzt, sie findet einen geeigneten Koalitionspartner und Bundespräsident Alexander van der Bellen zeigt sich entgegen bisheriger Vermutungen doch bereit, einen Bundeskanzler Kickl zu vereidigen.

Grundrechte geschliffen und antisemitische Diskurse verstärkt

In seiner Zeit als Innenminister der türkis-blauen Bundesregierung trafen sich Vertreterinnen und Vertreter jüdischer Institutionen mit Regierungsoffiziellen der FPÖ. Doch Kickl hat unter Beweis gestellt, dass er die ihm zur Verfügung stehende Macht nutzt, um den Staat umzubauen, Grundrechte zu schleifen und rassistische, antisemitische und verschwörungsideologische Diskurse zu verstärken.

Man erinnere sich allein an die Episode seiner Amtszeit, in der er – und nun mag man zu der Arbeit der Behörde stehen, wie man will – das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung durch Polizisten hat stürmen und jede Menge Materialen zu Ermittlungen gegen die extreme Rechte beschlagnahmen lassen.

Kritikerinnen und Kritiker weisen auch darauf hin, dass Kickl bewusst antisemitische Codes nutze. So zeigten ihn beispielsweise die "Jüdisch österreichischen Hochschüler:innen" (JöH) 2022 an, nachdem er die Corona-Maßnahmen mit der Judenverfolgung des NS-Regimes verglichen hatte. Dass es eine realistische Option ist, dass dieser Politiker die Regierungsgeschäfte übernimmt, lässt einem einen Schauer über den Rücken laufen.

Doch in Wien trifft man mancherorts auf Resignation und eher zynische Haltungen. Es werde schlimm, aber es sei ja nicht das erste Mal, dass die FPÖ ins Regierungsgeschäft eingreift. Bini Guttmann, ehemaliger Präsident der "Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen" sowie Mitglied im Exekutivkomitee des World Jewish Congress weist auf die Bedrohung hin, die mit der Amtsübernahme der FPÖ besteht.

"Die FPÖ ist eine strukturell antisemitische und rassistische Partei, die von rechtsextremen Kadern durchsetzt ist, und deren Jugendorganisation personell und inhaltlich von den neofaschistischen 'Identitären' kaum mehr zu unterscheiden ist", so Guttmann. Während ihrer letzten Regierungsbeteiligung habe es mehr als 50 antisemitische und neonazistische "Einzelfälle" von FPÖ-Politikern gegeben – einer alle zwei Wochen.

Staatsumbau?

Sowohl in Deutschland als auch in Österreich schauen jüdische Communitys daher mit Sorge auf den Erfolg der europäischen Rechten. Manche sprechen eher resigniert davon, dass es immer antisemitische Bewegungen gab. Die waren mal stärker und mal schwächer. Doch ist das Beispiel Österreich nicht vielleicht dazu geeignet, zu beruhigen? Fünfmal waren die "Freiheitlichen", die vor 70 Jahren von einem SS-Offizier als Auffangbecken für ehemalige NSDAP-Mitglieder gegründet worden sind, Teil einer Bundesregierung – und der Staat wurde nicht zur Diktatur umgestaltet. Doch so einfach ist es nicht.

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Sowohl in Deutschland als auch in Österreich arbeiten extrem rechte Parteien daran, Denkformen und politische Bewegungen wieder gesellschaftsfähig zu machen, die das Menschheitsverbrechen der Shoa herbeigeführt haben. Der Antisemitismus durchzieht ihren programmatischen Kern. Sie normalisieren antisemitische, rassistische, queerfeindliche und frauenverachtende Diskurse.

Damit schaffen sie eine gesellschaftliche Stimmung, aus der heraus Gewalt gegen die Feindbilder jederzeit möglich ist. Sie drehen das Rad gesellschaftlicher Liberalisierung zurück und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die auf staatlicher Unterstützung angewiesen sind, den Geldhahn ab. Sie drangsalieren die freie Presse und bringen ihre Günstlinge in wichtigen Positionen der Verwaltung unter.

Lautstärker für den Antisemitismus

Dabei greifen die Rechten immer wieder auf Antisemitismus zurück, wie besonders der Blick auf das Vorbild Haider zeigt. Antisemitismus, insbesondere in seiner Ausdrucksform als Erinnerungs- oder Schuldabwehrantisemitismus, schweißt unterschiedliche Gruppierungen in der extremen Rechten zusammen, er ist Integrationsideologie.

Er ist eine "Gewalt des Vergessens". Jüdinnen und Juden werden zum Ziel dessen, weil sich – wie es der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn formuliert – aus der Shoa "nichts Positives, nichts Konstruktives" ergebe. Die "bloße Existenz" von Jüdinnen und Juden sei, so der Soziologe Werner Bergmann, die "Erinnerung an den Antisemitismus und die Schuld der Deutschen vor 1945".

Und weil diese Erinnerung als Hemmnis für den Stolz auf die Nation und die weltpolitische Rolle verstanden wird, ist sie den extremen Rechten ein Dorn im Auge. Das verbindet sie über die Grenze hinweg in den postnazistischen Gesellschaften in Deutschland und Österreich miteinander. Während sich Deutschland bisweilen gerne als "Erinnerungsweltmeister" sieht, ist in Österreich nach wie vor die Inszenierung als "erstes Opfer" Nazi-Deutschlands wirksam.

Die Welt wird wohl nicht untergehen. Aber wir haben in den vergangenen fünf Jahren bereits eine drastische Verschärfung und Normalisierung von Antisemitismus erlebt. Antisemitismus wird zunehmend offener und gewaltvoller. Eine AfD-Regierungsbeteiligung würde ihrem Vorbild aus der Zweiten Republik in nichts nachstehen. Eine jüdische Zukunft wird es auch weiter in diesen Ländern geben, aber was ist man bereit, auszuhalten?

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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