Reaktionen auf Nationale Sicherheitsstrategie "Das muss unsere Verbündeten enttäuschen"
75 Seiten hat die neue Sicherheitsstrategie der Bundesregierung. Doch die Kritik ist groß: Wesentliches fehle – und einiges führe in die falsche Richtung.
Bereits im Februar wurde die Nationale Sicherheitsstrategie erwartet, nun haben gleich vier Minister sie gemeinsam mit dem Kanzler endlich vorgestellt. Doch nicht nur aus der Opposition ist die Kritik laut.
Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, sieht massive Mängel in den Plänen der Bundesregierung. "Es gibt keine strukturellen Änderungen und die institutionelle Einbindung der Bundesländer bleibt unklar", sagte er t-online. "Ohne die Länder kann Sicherheit in Deutschland nicht funktionieren, gerade im Cyber- und Proliferationsbereich."
Die verschiedenen Instrumente deutscher Außenpolitik seien völlig unausgeglichen – Auslandsnachrichtendienste fehlten völlig, die Entwicklungszusammenarbeit komme zu kurz, so Hardt weiter. "Neue Mittel sind explizit nicht vorgesehen – ich bezweifle stark, dass Verteidigungsminister Pistorius seine gewünschten zusätzlichen zehn Milliarden für die Bundeswehr bekommt, zumal die windelweiche Formulierung beim Zwei-Prozent-Ziel unsere Verbündeten enttäuschen muss."
AfD kritisiert "leere Phrasen" und "Papiertiger"
"Die 'Nationale Sicherheitsstrategie' ist eine enttäuschende Ansammlung von leeren Phrasen", sagte AfD-Chefin Alice Weidel t-online. Sie verwässere den Sicherheitsbegriff mit "hohlen Schlagworten" wie "integrierte Sicherheit" bis zur völligen Beliebigkeit.
Weidel weiter: "Sie missbraucht das Thema Sicherheit zur Propagierung grüner Klimaschutz-Ideologie und Weltrettungsfantasien, drückt sich aber um den wesentlichen Punkt: die Definition und Durchsetzung deutscher Interessen in einer multipolaren Welt."
Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD, Rüdiger Lucassen, sieht eine zentrale Leerstelle in den Plänen der Bundesregierung. Der Ex-Oberst der Bundeswehr sagte t-online: "Dass die Nationale Sicherheitsstrategie nicht durch einen Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt flankiert wird, zeigt einmal mehr Olaf Scholz' erschreckende Führungsschwäche." Der Kanzler verfüge über die Richtlinienkompetenz und hätte sich gegen Partikularinteressen der Minister durchsetzen müssen.
Ein Nationaler Sicherheitsrat war nach dem Vorbild des amerikanischen National Security Council als zentrales Koordinierungsgremium im Gespräch, das ressortübergreifend über Sicherheitsfragen entscheiden können sollte. Lucassen weiter: "Ein Nationaler Sicherheitsrat im Kanzleramt ist zwingend notwendig, um die Nationale Sicherheitsstrategie umzusetzen und die Koordination aller Ministerien sicherzustellen. So schafft die Ampel nur einen weiteren Papiertiger und stellt den Koalitionsfrieden über die nationalen Interessen unseres Landes." Auch in Zukunft werde Deutschlands Gesamtverteidigung nicht aus einer Hand geführt.
Schmid verteidigt Fehlen eines Nationalen Sicherheitsrats
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, verteidigt hingegen, dass es keinen neuen Nationalen Sicherheitsrat gibt – und lobt die Strategie.
"Das ist ein großer Erfolg", sagte Schmid t-online. "Jetzt gilt es ressortübergreifendes, vorausschauendes Handeln folgen zu lassen. Entscheidend dafür ist der politische Wille und nicht irgendein neues Gremium." Durch Vorlage der Strategie demonstriere der Kanzler mit der gesamten Regierung diesen Willen.
Auch Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin lobt die Sicherheitsstrategie. "Die sicherheitspolitische Ausrichtung Deutschlands bedarf einer neuen Ausrichtung: wehrhaft, resilient, nachhaltig. Das ist der Kern Integrierter Sicherheit", sagte er t-online. "Sie steht im Mittelpunkt der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie in der Geschichte der Bundesrepublik. Das ist eine große Leistung von Annalena Baerbock – und es zeigt, wie handlungsfähig die Ampel ist." Es gehe um die Sicherheit vor Krieg, um die Sicherheit des deutschen Gesellschaftsmodells und um die Sicherheit der Grundlagen des Lebens.
Roth kritisiert "etliche Verzögerungen"
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), begrüßt die Strategie zwar ebenfalls, kritisiert zugleich aber die langwierige Debatte in der Bundesregierung. "Die nun vorgelegte Strategie ist Zeugnis einer völlig veränderten Welt", sagte Roth t-online. "Angesichts der vielfältigen drängenden Bewährungsproben hätte ich mir jedoch eine deutlich schnellere Einigung gewünscht. Das lange Verfahren mit etlichen Verzögerungen war der notwendigen Debatte über mehr Strategiefähigkeit in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sicherlich nicht förderlich."
"Trotz alledem ist es gut, dass die Strategie nun endlich vorliegt. Aber erst jetzt beginnt die eigentliche Arbeit mit der Umsetzung in praktisches Regierungshandeln", mahnte Roth. Die Sicherheitsstrategie dürfe nicht wie manch anderes Grundlagenpapier in der Schublade verstauben.
Er forderte zudem ein neues Gremium im Bundestag: "Nach der Absage an einen Nationalen Sicherheitsrat werbe ich für einen Sachverständigenrat für Außen- und Sicherheitspolitik mit einem eigenen wissenschaftlichen Stab, der an den Bundestag angedockt ist und unsere Strategiefähigkeit und außen- und sicherheitspolitische Expertise stärkt."
Hofreiter: "Wer Sicherheit will, muss auch Umwelt schützen"
Grünen-Politiker Anton Hofreiter betont die Relevanz des Klimaschutzes. "Es ist ein wichtiges Zeichen, dass die nationale Sicherheitsstrategie auch den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen umfasst", sagte Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, t-online. Klimakrise und Artensterben bedrohten Millionen Menschen weltweit ganz konkret und zögen Konflikte um begrenzte Ressourcen nach sich. "Wer Sicherheit will, muss auch Klima und Umwelt schützen."
Hofreiter bezeichnete die sicherheitspolitischen Herausforderungen durch den russischen Angriffskrieg und das "zunehmend aggressive Auftreten Chinas" als "enorm". Es sei gut, dass Deutschland erstmals eine umfassende Strategie erarbeitet habe. "Es zeigt, dass wir international mehr Verantwortung übernehmen wollen."
Linken-Chef kritisiert fehlende Abstimmung mit Partnern
Linken-Chef Martin Schirdewan kritisiert die Bundesregierung für fehlende internationale Kooperation bei der Erstellung ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie. "Ich halte es für einen Fehler, dass die Bundesregierung ihre Sicherheitsstrategie ohne Rücksprache mit den europäischen Partnern entwickelt hat", sagte er t-online. "Nationale Alleingänge passen nicht in diese Zeit, denn die kommenden Krisen können wir nur bewältigen, wenn wir auf internationaler Ebene zusammenarbeiten."
Er warne außerdem davor, Sicherheit allein mit militärischer Stärke gleichzusetzen, so Schirdewan. "Keine der großen Krisen lässt sich mit Waffengewalt lösen. Im Gegenteil: Das neue Rüstungswettrennen zwischen den USA und China schafft neue Unsicherheit."
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte das Konzept der Bundesregierung als "lückenhaft und ideologisch überladen". Es sei zudem fraglich, ob die Strategie "angesichts der Uneinigkeit in der Regierung umgesetzt wird", sagte er den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Für Deutschland sei der andauernde Streit in der Ampelkoalition "nicht nur nervig, sondern wird zunehmend zu einem Sicherheitsrisiko und einer Gefahr für die wirtschaftliche Stärke", so Bartsch.
- Eigene Recherchen
- Pressekonferenz der Bundesregierung
- Gespräche mit und Statements von Jürgen Hardt, Michael Roth, Nils Schmid, Anton Hofreiter, Jürgen Tritten, Alice Weidel, Rüdiger Lucassen, Martin Schirdewan