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Joe Biden in Berlin bei Olaf Scholz – Dieser Schatten liegt auf dem Besuch


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Großer Empfang für den US-Präsidenten
Daraus wird nichts


Aktualisiert am 17.10.2024Lesedauer: 6 Min.
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Wie schnell wollen Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden die Ukraine in der Nato sehen? (Quelle: IMAGO/Jakub Porzycki/imago)

Der Besuch des US-Präsidenten in Deutschland sollte ein Aufbruchssignal für die Ukraine sein – und Kanzler Scholz ein wenig internationalen Glanz verleihen. Der Nachhol-Trip zeigt nun: Es ist kompliziert, und besser wird es auch nicht.

Eigentlich war die ganz große Show geplant. Erstmals seit der Wiedervereinigung sollte mit Joe Biden ein US-Präsident mit "höchsten protokollarischen Ehren" in Deutschland empfangen werden – ein mehrtägiger Staatsbesuch inklusive Bankett beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue.

Daraus aber wird nun nichts. Gerade einmal 20 Stunden soll der Deutschland-Aufenthalt des 81-Jährigen insgesamt dauern. Nachdem Biden seine zunächst für vergangene Woche angekündigte Reise nach Berlin wegen des Hurrikans "Milton" abgesagt hatte, muss beim Nachholtermin Ende dieser Woche jetzt alles eine Nummer kleiner werden: kurze Arbeitsreise statt Staatsbesuch mit Pomp und Gloria. Und das, obwohl die Herausforderungen mit Blick auf die Ukraine, den Nahen Osten und die Nato insgesamt kaum größer sein könnten.

Damit in der knappen Zeit zumindest die politischen Gespräche stattfinden können, muss das Zeremoniell leiden. Nach Informationen aus Regierungskreisen in Berlin und aus dem Weißen Haus gibt es jetzt ein abgespecktes, für Biden jedoch nicht weniger stressiges Programm: Nach einer "stillen Ankunft" des US-Präsidenten am Berliner Flughafen BER Donnerstagabend geht es für Joe Biden zunächst ins Hotel. Am Freitagvormittag empfängt ihn dann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren.

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Der höchste Orden, aber kein Bankett

Die Verleihung des höchsten deutschen Ordens – der Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik – findet zwar wie ursprünglich geplant statt. Anschließend gibt es aber nur noch einen kurzen Empfang und kein Staatsbankett zu Ehren Bidens. Denn dieser muss wenig später weiter zum Mittagessen mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Und noch etwas entfällt: Biden wird auch nicht – anders als ursprünglich geplant – mit Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) das Brandenburger Tor durchqueren. Solch ein Treffen, eine Art Stippvisite in einem einzelnen Bundesland, gehört sonst zum Standardprogramm eines Staatsbesuchs. Die historisch aufgeladene Symbolik eines weiteren US-Präsidenten am Brandenburger Tor fällt also flach. Stattdessen ist nach dem ersten Gespräch mit dem Kanzler ein gemeinsames Pressestatement geplant.

Ein Plan für die Zeit nach Biden

Im Anschluss dann der politisch vielleicht wichtigste Termin für Biden: ein Vierertreffen mit den Staatschefs von Frankreich und Großbritannien. Emmanuel Macron und Keir Stamer kommen dafür nach Berlin. Ein hoher Regierungsbeamter von Bidens nationalem Sicherheitsrat in Washington nannte dieses Treffen "Quad-Meeting", eine Abkürzung, die in den USA sonst für "Quadrilateral Security Dialogue" steht. Das ist ein Format, das für den Pazifik entwickelt wurde, um auf Chinas Aktivitäten zu reagieren, und dem Australien, Indien, Japan und die Vereinigten Staaten angehören.

Mit der europäischen Version eines "Quad-Meetings" soll nun offenbar eine Art atlantisches Spiegelbild des Pazifik-Formats, nicht gegen China, sondern gegen die akuten militärischen Bedrohungen in Europa durch Russland, entstehen. Es ist auch ein erster, deutlicher Hinweis für den Fall, dass die USA unter einem möglichen nächsten Präsidenten Donald Trump als wichtigster Ukraine-Unterstützer ausfallen könnten. Biden will mit dem Treffen die drei anderen Partner aufwerten, ihnen womöglich prophylaktisch den Staffelstab weiterreichen.

In Berlin weiß dabei jeder: Der Kanzler und die Bundesrepublik alleine könnten die Lücke, die die USA potenziell hinterlassen würden, weder politisch noch finanziell noch militärisch ausfüllen. Das müssten Macron, Starmer und Scholz dann gemeinsam stemmen – und auch das würde nur gelingen, wenn die anderen Bündnisstaaten für deutlich mehr Engagement gewonnen werden könnten. Die Zukunft der Ukraine, sie hängt im Zweifel von der Stärke und Einigkeit der drei europäischen Mittelmächte ab, zwei davon ausgestattet mit eigenen Atomwaffen.

Laut dem amerikanischen Regierungsbeamten aus dem Weißen Haus wird es bei diesem Treffen aber nicht nur um aktuelle und künftige Militärhilfen, sondern insbesondere um die Finanzierung eines notwendigen Wiederaufbaus der Ukraine nach einem möglichen Kriegsende gehen. Und auch für die Situation im Nahen Osten soll das Vierer-Format aus Biden, Scholz, Starmer und Macron offenbar eine gemeinsame Haltung besprechen. Laut dem Weißen Haus geht es um die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon, vor allem aber um die drohenden Gefahren durch den Iran.

Ein bedeutsamer Nachholtermin

Das neue Biden-Programm ist damit sehr dicht gestrickt. Das mag auch daran liegen, dass in Berlin bis zu der überraschenden Ankündigung aus Washington nur wenige mit einem so kurzfristigen Nachholtermin für den Besuch gerechnet hatten. Kanzler Scholz sagte zwar am Mittwoch in seiner Regierungserklärung im Bundestag: "Ich freue mich auf seinen Besuch, und ich bin dankbar für die gute Zusammenarbeit zwischen mir und dem amerikanischen Präsidenten."

Tatsächlich aber dürften im Kanzleramt nicht wenige mit dem Zeitpunkt der Reise hadern. Scholz’ Kalender ist auch ohne den Biden-Besuch picke-packe-voll, sowohl mit innenpolitisch wichtigen als auch mit außenpolitisch relevanten Terminen: Vom EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel muss Scholz vermutlich etwas eher abreisen, am Samstag fliegt er in die Türkei, um den dortigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu treffen. Und am Freitag steht noch vor dem Lunch mit Joe Biden die wichtige Bundestagsabstimmung zum Sicherheitspaket an. Bei der bangte Scholz um seine Ampel-Mehrheit und musste zuletzt die eigenen Genossen in der SPD-Fraktion unter Androhung der Vertrauensfrage erst auf Linie bringen.

Warum Biden die Stippvisite so wichtig ist

Und doch hat Bidens Berlin-Besuch größte Bedeutung für den Kanzler, nicht nur, weil sein Gast der mächtigste Mann der Welt ist: Olaf Scholz verbindet mit Joe Biden eine Art sozialdemokratische "Wir haben verstanden"-Mentalität. Beide bauten ihre vergangenen Wahlkämpfe unter anderem auf der Losung "Respekt" für die Arbeits- und Lebensleistung der Mittelschicht auf. Scholz kann seinem transatlantischen Bruder im Geiste diesen Besuch kaum abschlagen, denn: Für Biden geht es in Berlin nicht nur um die Zukunft der westlichen Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch um sein persönliches Vermächtnis.

Das große Ziel, das der US-Präsident von Beginn seiner Amtszeit an verfolgt hat, war die Stärkung multilateraler Bündnisse – im Pazifik wie im Atlantik. Auf diese Weise Putin nach seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine die Stirn geboten zu haben, darauf ist Joe Biden stolz. Olaf Scholz wiederum hat dieses Bemühen des Westens den wohl größten sicherheits- und auch wirtschaftspolitischen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik beschert. Die Zeitenwende, samt Wiederaufrüstung und Abkehr vom russischen Gas, könnte einst das Vermächtnis des Bundeskanzlers sein, wenn sie ihm denn gelingt.

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In Amerika lobt man Deutschland dafür. Immerhin, so betonte es der Mitarbeiter der Biden-Regierung in Washington, habe es Deutschland "zum ersten Mal geschafft, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erreichen". Ob das auch in den kommenden Haushalten gelingen wird, muss jedes Jahr aufs Neue bewiesen werden. Zugleich halten es viele für denkbar, dass sowohl ein Präsident Donald Trump als auch eine Präsidentin Kamala Harris in der Nato darauf dringen werden, künftig eine Summe von eher drei als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Verteidigungsetat zu stecken.

Die bange Ukraine-Frage muss vertagt werden

Tragisch bleibt der Mini-Besuch trotz des Berliner Treffens von USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland vor allem für die Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte nach seinem detailliert dargelegten "Siegesplan" auf ganz besondere Impulse gehofft. Wohl auch deshalb verkündete der US-Präsident in Washington noch vor seinem Abflug neue, mehr als 400 Millionen Dollar schwere Waffenlieferungen.

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Auch Olaf Scholz hatte Selenskyj bei dessen Besuch vergangene Woche in Berlin kurzfristige Aufbauhilfen in Höhe von 170 Millionen Euro zugesagt sowie Militärhilfen gemeinsam mit anderen Ländern über 1,4 Milliarden Euro bis zum Jahresende.

Feuerprobe für Scholz im November

Der für die Ukraine-Frage ursprünglich geplante Ramstein-Gipfel mit den mehr als 50 Unterstützer-Nationen musste wegen Joe Bidens Hurrikan-bedingtem Reiseabbruchs verschoben werden. Bei Bidens jetzigem Kurzbesuch findet er nicht statt. Nach Informationen aus dem Weißen Haus von t-online soll das Ramstein-Format sogar erst Ende November, also nach den amerikanischen Präsidentschaftswahlen, stattfinden. Das deutsche Verteidigungsministerium hatte auf einen Termin im Oktober gehofft.

Für den Bundeskanzler könnte das Treffen in Ramstein damit zu einem ersten echten Prüfstein auf deutschem Boden werden – wenn der amtierende US-Präsident zwar noch Joe Biden heißen wird, sein Vorgänger Donald Trump aber womöglich auch sein Nachfolger wird. In seiner Regierungserklärung in dieser Woche sagte Olaf Scholz einmal mehr: "Wir unterstützen die Ukraine und werden das so lange tun, wie das notwendig ist."

Seine nächsten Sätze aber könnten schon bald nicht mehr der Realität entsprechen: "Deutschland und die USA sind die größten Unterstützer der Ukraine bei der Verteidigung ihrer Souveränität und Integrität und ihrer Demokratie. Und wir werden das weiter bleiben", sagte Scholz. Mit Trump als einem Präsidenten in Wartestellung könnten Deutschland und die Europäer noch in diesem Jahr ziemlich alleine dastehen. Mit dem Ende von Bidens Amtszeit werden die Schatten länger, nicht nur in den USA und in Europa, sondern auch im bereits nahenden dritten Kriegswinter der Ukraine.

Immerhin ist derzeit mit 63 Prozent eine große Mehrheit der Deutschen dafür, dass Deutschland noch mehr in Verteidigung investieren sollte, um die Abhängigkeit von den USA in diesem Bereich zu verringern. Ob diese Bereitschaft allerdings auch für eine mögliche, noch umfangreichere Unterstützung der Ukraine gelten wird, ist ungewiss und für Olaf Scholz stellt das im kommenden Wahljahr auch ein hohes innenpolitisches Risiko dar.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche in Berlin und Washington
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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