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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Waffenfestival nach Schulmassaker Houston bekommt ein Problem
Im texanischen Houston treffen sich wenige Tage nach dem Schulmassaker von Uvalde die amerikanischen Waffenfreunde der NRA. Sie müssen mit massivem Gegenprotest rechnen.
Wer mit der Hand in eine Schüssel voller Wasser schlägt, so erzählen es Experten, kann erfahren, warum die Wirkung halbautomatischer Schusswaffen so tödlich und so grausam ist. So wie das Wasser dann zu allen Seiten spritzt, so in etwa zerfetzt auch die Munition einer AR-15 die Oberfläche, auf die sie trifft.
Der Täter an der Grundschule im texanischen Uvalde nutzte am vergangenen Dienstag eine solche Schusswaffe. Und die Oberfläche, das waren die 21 Körper von 19 kleinen Kindern und 2 Erwachsenen.
Die Wirkweise solcher Waffen ist der Grund, weshalb die wartenden Eltern den Ermittlern zuerst per Speichelprobe die eigene DNA zur Verfügung stellen mussten. Anders ließen sich die Leichen der Kinder nicht identifizieren. Erst dann gab es Gewissheit: die eigene Tochter, der eigene Sohn. Sie werden sie nie wiedersehen. Manchen von ihnen wird es nicht einmal mehr möglich sein, zum Abschied in das unversehrte Gesicht des eigenen Kindes zu blicken.
Die Waffenlobby feiert sich und ihre Anhänger
Nur vier Autostunden von der Kleinstadt Uvalde und dem Massenmord entfernt, kommen im texanischen Houston an diesem Wochenende Menschen zusammen, die solche zerstörerischen Waffen lieben.
Es ist das Jahrestreffen der National Rifle Association (NRA), einer der einflussreichsten und mächtigsten amerikanischen Lobby-Organisationen. Im Jahr 2021 gaben Waffenrechtsgruppen 15,8 Millionen US-Dollar für Lobbyarbeit aus – so viel wie noch nie zuvor.
Die Versammlung der NRA in Houston ist so etwas wie der Höhepunkt der jährlichen Lobbyarbeit. Waffenproduzenten kommen mit Händlern ins Gespräch, Händler treffen auf Käufer. Schusswaffen-Fans aus dem ganzen Land und geneigte Politiker begegnen einander.
Donald Trump und Ted Cruz sollen auftreten
Eigentlich sollte auf der Veranstaltung auch der texanische Gouverneur Greg Abbott auftreten. Doch laut Medienberichten sagte er seine Rede am Freitag ab. Warum lesen Sie hier.
Der Senator Ted Cruz sowie der ehemalige US-Präsident Donald Trump haben der NRA hingegen fest zugesagt. "Eine sehr wichtige Rede" werde er halten, kündigte Trump schon kurz nach dem Schulmassaker von Uvalde mit 19 toten Kindern, zwei toten Lehrern und 17 Verletzten an. "An nichts anderes" könne er mehr denken.
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Das Waffenfestival absagen, das kommt für Trump und die anderen Republikaner nicht infrage. Denn für sie und die Veranstalter sind nicht die mehr als 300 Millionen Schusswaffen, die sich im privaten Besitz der US-Amerikaner befinden, die Ursache solcher Amokläufe.
Die Republikaner sprechen stattdessen von dem "absolut Bösen", welches die Kleinstadt Uvalde heimgesucht habe. Es sind biblische Beschwörungen, etwas anderes als der Teufel könne so etwas schließlich nicht hervorgebracht haben. Darum brauche es "mehr Sicherheit an amerikanischen Schulen".
Den Verkauf zumindest halbautomatischer Schusswaffen zu erschweren, ihn gar zu verbieten, ist für die Republikaner keine Option. Im Gegenteil: Vielfach wird nun wieder vorgeschlagen, die Lehrer zu bewaffnen, die Schulen mit mehr Security auszustatten. Das Resultat: Es braucht nicht weniger, sondern noch mehr Waffen. Das Geschäft mit der Angst ist lukrativ, auch für die Waffenproduzenten. Grausame Zeiten lassen sie sich vergolden.
Die NRA sah sich offenbar immerhin genötigt, zumindest ein wenig auf die hereinbrechende Kritik zu reagieren. Auf ihrer Webseite bekundete sie Anteilnahme mit den Opfern und deren Familien. Zu gefährlich könnte eine Dynamik empörter Eltern womöglich werden.
Und obwohl die Ermittlungen noch laufen würden, so ist es dort zu lesen, sei der NRA eines bereits klar: "Wir sehen dies [Uvalde] als die Tat eines einzelnen, geistesgestörten Kriminellen an", heißt es in dem Online-Statement. Beim Jahrestreffen werde man an diesem Freitag gemeinsam beten und gemeinsam darüber diskutieren, wie man die Schulen noch sicherer machen könne. Mit Waffen zur Verteidigung, versteht sich.
Proteste in Houston angekündigt
Eine Petition für die Absage der NRA-Veranstaltung hat unterdessen rund 20.000 Unterschriften erhalten. Der Bürgermeister der liberalen Großstadt Houston, Sylvester Turner, hat es dennoch abgelehnt, die Versammlung zu verbieten. Der Stadt würden sonst immense Schadenersatzklagen drohen. Turner kritisierte lediglich, dass gewählte Politiker auf der Veranstaltung auftreten. "Was für eine Botschaft sendet das aus?", fragte er.
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Derweil haben mehrere Gruppierungen zu zwei großen Protestkundgebungen gegen die NRA-Veranstaltung und deren Besucher an diesem Freitag aufgerufen. Darunter die Bewegung Black Lives Matter. Auch der ehemalige texanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus, Beto O’Rourke, wird sprechen. Er bewirbt sich für die Demokraten als künftiger Gouverneur in Texas.
Bei der ersten Pressekonferenz des amtierenden Gouverneurs Greg Abbott nach den Morden in Uvalde hatte O’Rourke bereits einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt. Vor laufenden Kameras stellte er Abbott zur Rede und sprach ihn auf dessen lasche Waffengesetze an. Nach seinem 18. Geburtstag konnte der Täter zwei halbautomatische Gewehre legal im Waffenladen kaufen. Wütend wurde O'Rourke von umstehenden Republikanern niedergebrüllt. Ein Mann schimpfte ihn "sick son of a bitch", frei übersetzt: "kranker Hurensohn". Wie er dazu komme, diese Tat zu politisieren.
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Immer grauenhaftere Details der Tat kommen nun an die Öffentlichkeit. Überlebende Kinder, Eltern und Verwandte erzählen ihre Geschichten. Väter, die außer sich sind, weil Polizisten die Schule angeblich nicht stürmen wollten. Kinder, die erzählen, wie sie sich mit dem Blut ihrer getöteten Klassenkameraden einschmierten, um sich tot stellen zu können. Schüler, die mit ansehen mussten, wie die eigene Lehrerin noch um Hilfe schrie und dann vom Täter erschossen wurde.
Der US-Präsident will am Sonntag nach Uvalde reisen. Wie schon vor einer Woche in Buffalo wird Joe Biden eine Trauerrede halten, zuvor die Angehörigen treffen. Wieder wird er an den niedergelegten Blumen innehalten. Wieder wird eine ganze Nation zusehen und nicht verstehen.
Während sich die verfeindeten politischen Gruppen in Houston am Freitag gegenüberstehen werden, ist eines bittere Realität geworden: Schusswaffen sind in den USA zur Haupttodesursache für Kinder und Jugendliche geworden.
Laut den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) starben im Jahr 2020 4.368 Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre durch den Gebrauch von Schusswaffen. Die bisherige Haupttodesursache wurde damit abgelöst. Wegen Unfällen mit Kraftfahrzeugen starben im selben Jahr 4.036 Kinder und Jugendliche.
- Eigene Recherchen
- New England Journal of Medicine:Current Causes of Death in Children and Adolescents in the United States (Englisch)