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Donald Trumps Corona-Bilanz: Er darf lügen, selbst wenn es Leben kostet


Meinung
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Trumps Corona-Bilanz
Er darf lügen, selbst wenn es Leben kostet

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold, Washington

Aktualisiert am 11.09.2020Lesedauer: 5 Min.
Donald Trump bei Auftritt in North Carolina: Wahlkampf, als ob es das Virus nicht gäbe.Vergrößern des Bildes
Donald Trump bei Auftritt in North Carolina: Wahlkampf, als ob es das Virus nicht gäbe. (Quelle: Jonathan Ernst/reuters)

Tag für Tag sterben tausend Amerikaner an den Folgen des Coronavirus. Wie lebt es sich in einem Land im Ausnahmezustand, das sich mit dem Inakzeptablem abgefunden hat?

In Washington wird wieder die große Frage zu Donald Trump gestellt, noch etwas dringlicher und verzweifelter als üblich: Wird ihn das nun endlich zu Fall bringen?

Trump, lesen wir, hat also schon sehr früh gewusst, wie gefährlich das Coronavirus ist, seinem Volk gegenüber aber das Gegenteil behauptet und gar eingeräumt, dass er die Gefahr bewusst verharmlost hat.

So hat er es der Reporterlegende Bob Woodward gesteckt, in der Hoffnung, der Star-Journalist würde ihn für den direkten Zugang mit einem positiven Buch belohnen. Es ist wieder einmal Trumps unstillbare Sucht nach Anerkennung, die ihn in Gefahr bringt.

Anfang Februar also war er im Bilde über Corona: über Atemluft übertragbar, "tödlicher als eine schwere Grippe". Hätte er das nicht nur dem Reporter gesagt und nicht wochenlang öffentlich das Gegenteil behauptet, hätten wohl viele Leben gerettet werden können. Jede einzelne Woche, die die USA früher Quarantänemaßnahmen verhängt hätten, hätte Zehntausende Menschenleben gerettet. Doch Trump ließ sich Zeit.

Vor genau einem halben Jahr fuhr Amerika das öffentliche Leben herunter. Voran preschten der Profisport, die Unterhaltungsindustrie, Schulen und Universitäten. Am 13. März trommelte Donald Trump uns Reporter in den Rosengarten zusammen und zog nach.

Von Wirtschaftsbossen und Beratern umringt verkündete er den nationalen Notstand und für einen kurzen Moment dachte ich, nach all den Verharmlosungen könnte Trump nun mit der geballten Macht Amerikas das Virus bekämpfen. Ich sollte mich täuschen.

Seitdem hängen wir hier in einem seltsamen Ausnahmezustand fest, in dem man viel tut und macht, aber wenig gewinnt, weil ganz oben ein Mann sitzt, für den Gewinnen doch nur mit ihm selbst zu tun hat: Je weniger Coronatests und Fallzahlen, desto besser für ihn. Er hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, eine landesweite Strategie zu entwickeln.

Amerika hat Corona zu keinem Zeitpunkt in den Griff bekommen: Ist es im Neuengland eingehegt, bricht es in Florida aus. Wenn Arizona aufatmet, schießen die Fälle im Mittleren Westen hoch. In vielen Staaten kann man Ausbrüche immer noch nicht nachverfolgen, weil es an Tests und “contact tracers” fehlt. Die Amerikaner blieben damals zu Hause, sie kauften der Regierung Zeit – und Trump vergeudete sie.

Im April ringt sich die Gesundheitsbehörde CDC dazu durch, das Tragen von Gesichtsmasken zu empfehlen, aber nicht vorzuschreiben. Trump schwächt das schon im Moment der Verkündung ab: "Ihr könnt das tun, aber ihr müsst es nicht. Ich entscheide mich, es nicht zu tun."

Im Mai sagt Trump, er habe das Malariamittel Hydroxychloroquin zur Corona-Prophylaxe eingenommen, das er zuvor schon wochenlang als Wundermittel dargestellt hat. Da weisen die Studien längst daraufhin, dass es nicht einmal zuverlässig bei der Behandlung von Covid hilft.

100.000 Amerikaner sind zu diesem Zeitpunkt an den Folgen eine Corona-Infektion gestorben.

Im Juni lädt Trump entgegen aller Warnungen vor Menschenansammlungen in Innenräumen zur ersten Massenveranstaltung seit März. Nach Tulsa kommen statt 19.000 Anhängern nur 6.200 in eine große Mehrzweckhalle. Ein politischer Reinfall mit hohem Preis: Kein Abstand, kaum Masken, ein politischer Freund stirbt im Anschluss an Covid-19.

Im Juli, drei Monate nach der Empfehlung seiner Gesundheitsbehörde, trägt Trump erstmals selbst eine Maske, bei einem Besuch im Militärhospital. Da hat gerade ein rapider Anstieg an Ansteckungen und Krankenhauseinlieferungen in den Südstaaten Arizona, Florida und Texas auch die letzten Hoffnungen zerbrechen lassen, das Virus sei in der Sommerhitze irgendwie ungefährlicher.

Im August jubelt Trump Blutplasma zum neuen Wundermittel hoch und treibt den Chef der Arzneimittelbehörde zu grob verfälschenden Aussagen, für die der sich später entschuldigt. Er stellt einen Impfstoff bis zur Wahl in Aussicht, auch wenn Experten das für extrem unwahrscheinlich halten. Auf dem Parteitag der Republikaner redet man nur im Präteritum über die Pandemie, die Stuhlreihen im Garten des Weißen Hauses sind bei der Nominierungsrede eng und maskenfrei wie damals im März.

Im September öffnen die Schulen und Universitäten, viele ohne klare Richtlinien, manche schließen gleich wieder. Der Wahlkampf nimmt jetzt Fahrt auf: Trump lässt die Anhänger zu Tausenden auf die Flugplätze kommen, wo die "Air Force One" landet. Er missachtet die örtlichen Regeln zu Versammlungsobergrenzen.

Joe Biden hingegen tritt stets mit Maske und Abstand auf, vor höchstens ein paar Dutzend Anhängern. Trump und Biden bereisen dieselben Bundesstaaten, doch es wirkt, als wären sie in unterschiedlichen Welten unterwegs.

Bald sind es 200.000 tote Amerikaner.

Wie lebt es sich in einem Land, das Corona seit sechs Monaten nicht im Griff hat? In Washington tragen sie brav Maske, draußen auf dem Gehweg, drinnen sowieso, manche gar in ihren Autos. Die Kinos sind dicht. Im Supermarkt gibt es immer noch keine Clorox-Desinfektionstücher oder Masken nach N95-/FFP2-Standard, die wirklich schützen. Im Straßenbild der amerikanischen Metropolen ist die Krise immer präsent. Je weiter man rausfährt, desto seltener werden die Masken.

Die Kranken sind unsichtbar und die Totenzahlen so grausam wie abstrakt. Die Nachrichtensender blenden die Zahlen meist am Rande ein. Je länger man sie gesehen hat, desto weniger schockieren sie. Tausend Amerikaner sterben weiterhin an Covid-19, jeden einzelnen Tag.

Die Abendnachrichten auf PBS haben mittlerweile eine feste Rubrik: Freitags gibt es kurze rührende Nachrufe auf Corona-Opfer, den Rest der Woche geht es nüchtern zu. Mir scheint es, als ob sich die Nation mit dem Inakzeptablen abgefunden hat: Dass Tag für Tag tausend Mitbürger am Virus sterben, mehr als sonst irgendwo auf der Welt.

Schaut man allein auf die Opferzahlen, ist das so, als wäre jeder dritte Tag ein 11. September.

Trump trägt nicht die Alleinschuld. Das Gesundheitssystem ist für Millionen Amerikaner seit langem kaputt. Ein richtiges Krankengeld, das infizierten Lohnarbeitern erlauben würde, krank daheim zu bleiben, gibt es weiterhin nicht. Es gab große Hilfszahlungen, die längst ausgelaufen sind, während sich Republikaner und Demokraten seit Monaten nicht auf neue Maßnahmen einigen können. Doch es ist der Präsident, der einen großen Unterschied hätte machen können, allein schon indem er die Wahrheit gesagt hätte.

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Interessieren Sie sich für die US-Wahl? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Rund 60 Prozent der Amerikaner wissen, dass Trump bei Corona versagt hat. Ein Drittel lebt in der Parallelwelt, in der wie an allem anderen alle anderen schuld sind, nur nicht Trump. Gerät die Wahl zum Referendum über Corona, müsste Trump verlieren. Die Demokraten tun alles, um sie dazu zu machen. Trump wiederum tut alles, um die Wahl zur Abstimmung über Recht und Ordnung, gewaltbereite Anarchisten und Sozialismus zu machen.

Zurück zur großen Frage: Schadet es Donald Trump im Wahlkampf, dass er beim tödlichen Verharmlosen des Coronavirus überführt worden ist? Ich glaube nicht. Wer wissen wollte, dass der Präsident das Virus verharmlost, wusste es seit langem. Und in der Parallelwelt greifen die üblichen Reflexe: Bei "Fox News" finden sie stets irgendetwas, was auch Trumps Gegner falsch gemacht haben. Vielleicht muss man sich auch mit diesem Inakzeptablen abfinden: Ein US-Präsident Trump darf lügen, selbst wenn es Leben kostet.

Ein Buch wird ihn nicht zu Fall bringen. Weder das Werk seines "Fixers" Michael Cohen noch die Abrechnung seines Ex-Sicherheitsberaters John Bolton. Nicht das giftige Buch seiner Nichte Mary oder das schlüpfrige seiner Affäre Stormy Daniels. Auch nicht die gut recherchierten Werke der Kollegen von "New York Times" und "Washington Post".

Bob Woodward hat den Präsidenten auf Band, das macht sein Buch bedeutsamer: Wir hören Trump selbst, wie er sagt, dass er lügt. Woodward wird damit eher das Urteil der Geschichte über Donald Trump prägen als das Urteil der Wähler. Und die nächste Enthüllung wird nicht lange auf sich warten lassen. Es sind noch 53 Tage bis zur Wahl.

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