Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Post aus Washington Eine bittere Woche für die US-Demokratie
Die Sieger der Demokraten in Iowa stehen fest
Guten Tag aus Washington,
wo eine Woche zu Ende geht, die für Donald Trump ein großer Erfolg ist. Ich war gestern im Weißen Haus bei der Siegesrede, die er zur Feier des Freispruchs im Amtsenthebungsverfahren angesetzt hatte. Und es war… wild.
Trump kam in den East Room, wo seine Verbündeten aus Politik und Medien versammelt waren. Kein Teleprompter war aufgebaut, kein Manuskript zu sehen, kurz zuvor hatte lediglich ein Mitarbeiter noch eine Ausgabe der "Washington Post" auf dem Pult drapiert. Jene Zeitung also, die Trump vor ein paar Monaten unter großem Trara aus dem Weißen Haus verbannt hatte – deren Titelseite er nun aber allzu gern präsentierte, denn die Schlagzeile lautete: Trump freigesprochen.
Was folgte, erntete Erstaunen und Entsetzen. Für mich war es allerdings genau das, was ich erwartet hatte: Trump pur, eine Stunde seinem Bewusstseinsstrom folgend. Nachtreten gegen die Gegner, überschwängliches Lob für jeden einzelnen Verbündeten, wie ein Oscar-Gewinner, der die Preisverleihung sprengt, indem er jedem Beteiligten der Produktion einzeln und ausführlich dankt. Er schweifte ab, fluchte, witzelte. Alles sprudelte aus ihm heraus.
Trump selbst sagte inmitten des 62-minütigen Monologs: "Das hier ist keine Pressekonferenz, das ist keine Rede, das ist überhaupt nichts, es ist nur eine Feier." Besser kann ich es auch nicht sagen.
Aber eigentlich, liebe Leserinnen und Leser, wollte ich Ihnen zur Abwechslung einmal eine richtig schöne Geschichte aus den USA erzählen. Ich glaubte, sie an einem bitterkalten Februarabend in Iowa gefunden zu haben.
Ich war wegen der ersten Vorwahlen im Mittleren Westen und stand in der Turnhalle der Timber Ridge Grundschule, wo die Bewohner des Vororts Johnston ihren sogenannten Caucus abhielten, diese nun schon berühmt-berüchtigte Vorwahlveranstaltung. 200 Parteimitglieder waren gekommen. Sie spielten nur eine kleine Rolle im großen Auftakt zur US-Präsidentschaftswahl.
Interessieren Sie sich für US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
Hier zeigte sich Demokratie in Bewegung, und das im wahrsten Wortsinne: Beim Caucus sammeln sich die Parteianhänger in verschiedenen Ecken der Halle für ihren jeweiligen Kandidaten. Die Anhänger von Bernie Sanders sammelten sich auf der Tribüne, gleich neben jenen Joe Bidens. Die Unterstützer von Pete Buttigieg und Amy Klobuchar hatten Klappstühle nahe dem Mittelkreis. Und wessen Favorit nicht mindestens 15 Prozent der Anwesenden hinter sich versammelt hatte, der durfte sich in Runde zwei neu orientieren. Es wurde skandiert, diskutiert, versucht, Nachbarn, Bekannte oder die eigenen Ehepartner zu überzeugen.
Ich sprach mit einem freundlichen Schnauzbartträger namens Michael Defelice, der sogleich bekannte: "Ich war mein gesamtes Leben Republikaner." Jetzt saß er hier, bei den Demokraten, auf einem Klappstuhl im Hoheitsgebiet Buttigieg. Er sagte: "Unsere Demokratie steht auf dem Spiel." Sein Sohn stand derweil in der Biden-Ecke. "Ich würde jeden Demokraten diesem Präsidenten vorziehen", sagte er. "Sogar Bernie. Sogar den Großvater von Karl Marx."
Wir unterhielten uns eine ganze Weile, dann fragte ich nach den Aussichten, Trump zu schlagen. Da verfinsterte sich seine Miene. "Sieht wohl so aus, als ob er wieder gewinnen könnte." Er schlug sich dabei mit der Hand auf die Stirn.
Ein paar Meter weiter diskutierte die Ärztin Elieen Robb mit ihren Bekannten. Sie hatten sich für Andrew Yang versammelt, einen Außenseiter, der jedem Amerikaner ein Grundeinkommen von 1.000 Dollar im Monat zahlen will. Gegen ihn wirken alle anderen Kandidaten fast schon konventionell. Er bekam nur 13 Stimmen. Wohin würde Robb nun im zweiten Wahlgang gehen? "Ich gehe zu Amy Klobuchar, weil sie eine Frau ist und ich habe keine Lust auf Revolutionäre." Klobuchar ist eine bodenständige Senatorin aus dem Nachbarstaat Minnesota. Frau Robb sagte, sie würden jeden der Kandidaten unterstützen, auch den Revolutionär Bernie, wenn auch unter Schmerzen. "Ich werde alles tun, damit wir keinen Kriminellen mehr im Weißen Haus haben."
Am Ende stand ein Ergebnis: Buttigieg gewann diesen Caucus.
Es war eine lebhafte, fast schon rührende Ausübung von Demokratie, durch Bürger, die stärker dazu bereit sind, Kompromisse zu machen, als es in den Medien manchmal wirkt. Kurzum: Es war ein wunderbares Schauspiel. Und weil ich Ihnen in dieser Kolumne so oft über die Abgründe dieser Demokratie berichte, freute ich mich schon in diesem Moment, Ihnen einmal etwas Positiveres berichten zu können. Wie die US-Demokratie lebt.
Bis sich sogleich der nächste Abgrund auftat: Denn es sollte ein schwarzer Tag für die Demokraten, ihre Kandidaten, ihre Freiwilligen, ihre Anhänger werden. Das Ergebnis kam und kam nicht. Technische Probleme, der Absturz einer Auszählapp, menschliche Fehler. Nach drei Tagen ist nun zwar ausgezählt, aber es gibt Hinweise auf unzählige Unregelmäßigkeiten und Fehler bei der Auszählung und der Verteilung der Delegiertenstimmen.
Gewonnen haben, so viel steht fest, der 38-jährige frühere Provinzbürgermeister Pete Buttigieg und der 78-Jährige selbsternannte Sozialist Bernie Sanders, fast gleichauf. Ich war auf Buttigiegs Wahlparty, wo er sich noch am Montagabend frech selbst zum Sieger erklärte. Sanders wartete bis Donnerstagmittag, als er wiederum erklärte, er habe die Wahl gewonnen.
Doch die Fehler im Wahlsystem raubten den beiden den Triumph im Scheinwerferlicht. Seit Monaten wurde auf einen fulminanten Auftakt des Wahljahres hingearbeitet, doch statt der Nation einen Sieger zu präsentieren, flogen die Kandidaten unverrichteter Dinge wieder aus Iowa ab. Und dann blieb auch noch die Wahlbeteiligung hinter ihren Erwartungen zurück.
Ganz konkret profitiert davon Donald Trump. Der Auftakt der Gegner ging so gründlich in die Hose, dass er noch die kommenden Monate darüber spotten wird. Nach dem Motto: Die können nicht einmal eine Wahl abhalten, wollen aber unser Gesundheitssystem auf den Kopf stellen?
Doch der Schaden ist noch viel größer: Wieder einmal gibt es große Zweifel daran, dass der demokratische Prozess in den USA fair und vertrauenswürdig abläuft.
Auch wenn der Caucus in Iowa keine offizielle von Behörden organisierte Wahl war, sondern eine parteiinterne Abstimmung, ist das fatal für das Vertrauen der Bürger. Erinnern wir uns: Im Jahr 2000 die wochenlange Nachzählung von Lochstanzen in Florida, undurchsichtige Wahlgesetze, absurd geformte Wahlkreise quer durchs Land, 2016 dann Nachzählungen in den wahlentscheidenden Staaten und Sorge um die Verwundbarkeit der Wahlsysteme durch Hackerangriffe.
Das Misstrauen in die Institutionen und Prozesse der Demokratie ist das Großthema unserer Zeit und diese Februarwoche in Iowa, die so schön begonnen hatte, hat mächtig dazu beigetragen. Sie war bitter nicht nur für die demokratische Partei, sondern für die amerikanische Demokratie.
Hoffen wir, dass es kommende Woche bei der zweiten Vorwahl in New Hampshire besser läuft.