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Proteste in Frankreich: Die Gelbwesten haben Macron entzaubert


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Proteste in Frankreich
Die Gelbwesten haben Macron entzaubert

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 21.01.2019Lesedauer: 5 Min.
Die große Debatte: Macron im Gespräch mit Bürgermeistern französischer Kleinstädte.Vergrößern des Bildes
Die große Debatte: Macron im Gespräch mit Bürgermeistern französischer Kleinstädte. (Quelle: Ludovic Marin/reuters)
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Emmanuel Macron erlebt seine Entzauberung. Auf die Forderungen der Gelbwesten muss er eingehen, ob er will oder nicht. Aber was bleibt dann vom planvollen, zielsicheren, strahlenden Präsidenten übrig?

In Europa zu regieren, macht nicht unbedingt Spaß. Am besten dran ist noch Angela Merkel, die ihre letzten Monate im Amt auspendeln lässt und sogar an Popularität gewinnt, seitdem sie das Ende definiert hat. Am schlimmsten dran ist Theresa May auf ihrem Opfergang, der Brexit heißt. Sie wird verhöhnt und verspottet, gedemütigt und gekränkt. Ich frage mich, wie hält sie die Tortur aus, den Schlafmangel, die Schlagzeilen, die Aussichtslosigkeit – was macht das mit ihr und warum gibt sie nicht auf?

Emmanuel Macron befindet sich in einer Mittellage. Seine schönste Zeit ist vorüber, er durchleidet seine erste ernsthafte Krise, er wird geschmäht, politisch, noch nicht persönlich. Zum ersten Mal muss er Zugeständnisse machen, das trifft ihn hart und vor allem unvorbereitet.

Als sich im November ein paar Leute in der Provinz gelbe Warnwesten überzogen, da mag er gedacht haben: Ach je, das Übliche, sie schreien und jammern, sie spielen Revolte wegen ein paar Cent mehr für den Diesel, sie legen den Verkehr lahm, schütten uns Gülle vor die Tür und das war’s dann. Bald kann ich das Land weiter reformieren, wie ich es will und wie es nötig ist.

In Frankreich rufen sie schnell Revolution

Doch es war nicht gleich wieder vorbei. Es wuchs an. Verschaffte sich Gehör. Bekam Auftrieb. Wurde unbequem und der Präsident musste sich besinnen. Nun erwies sich als ein großer Fehler, dass er den Arbeitslosen empfohlen hatte, sie sollten sich kümmern, sie sollten sich gefälligst Arbeit suchen. Ist nicht notwendigerweise falsch, klingt aber herzlos.

Im Grunde passiert in der Provinz, was zuvor in Paris passiert war. Emmanuel Macron hatte das Establishment ignoriert und an der Linken und den Konservativen vorbei seine Bewegung "En Marche" gegründet, die ihn in den Élysée trug. Die Gelbwesten protestierten zuerst gegen die Diesel-Verteuerung und jetzt verlangen sie höhere Renten und mehr Mindestlohn und außerdem noch mehr direkte Demokratie. Sie missachten die Gewerkschaften, auch die große, linke CGT, die beleidigt ist und es sich anmerken lässt. Die linke Partei, deren Kopf Jean-Luc Mélenchon ist, ist genauso wenig amüsiert, dass sie übergangen wird, erklärt die Gelbwesten aber zu einer revolutionären Kraft und hängt sich an sie.

In Frankreich rufen sie schnell: Revolution. Ein Konflikt heißt umstandslos Bürgerkrieg, wenn sie Straßen blockieren, Reifen anzünden, Barrikaden errichten, der Polizei Straßenschlachten liefern und ihre Wut auch in Paris austoben. Fast immer zollt Frankreich den Aufständischen Sympathie und so wächst die Kritik am Präsidenten.

Macron wollte möglichst viel – möglichst schnell

Ich mag Macron, ich schätze seinen Elan und seine Ideen. Er ist jung, er denkt groß, er will sein Land reformieren und die Europäische Union voranbringen. Er ist der interessanteste Politiker auf dem Kontinent, das ist schon mal was. Ich fand es merkwürdig, dass er ein Verhältnis mit seiner 24 Jahre älteren Lehrerin einging, wofür sie in Amerika ins Gefängnis gegangen wäre. Aber dann habe ich mir gesagt: Mein Gott, es handelt sich um Frankreich und verheiratet sind sie auch schon lange, was soll’s.

Macron hat den Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitgeber verändert. Er hat die Unternehmensteuer verringert, die Vermögensteuer abgeschafft und den Arbeitsschutz gelockert. Er traute sich, wovor Sarkozy und Hollands zurückgeschreckt waren. Reformen hat das etatistische Frankreich bitter nötig, sie sind überfällig. Er ging im Geschwindeschritt vor, er wollte möglichst schnell möglichst viel erreichen.

Die politischen Magazine haben ihn dafür gelobt und bewundert, sie nannten ihn "Den Hartnäckigen". Die Arbeitslosigkeit ging zurück, das Wachstum ist passabel. Das verdankt Frankreich den Reformen des Präsidenten. Ist egal. Die Laune ist schlechter als die Lage. Jetzt schauen die Medien anders auf Macron und nennen ihn arrogant und monarchisch.

Wir Journalisten kennen das Phänomen. Wir schreiben rauf und schreiben runter. Wir sind fasziniert von neuen Figuren mit einer anderen Biografie und einem anderen Stil. Sie sind jung und lösen das Alte ab. Mit ihnen zieht eine neue Zeit und was sie bewegen, beschreiben wir und liegen den Neuen auch eine Zeit lang zu Füßen. Dann dreht sich der Wind und sie fangen an, Fehler zu machen. Wir drehen uns mit dem Wind und werden unnachgiebig. Und natürlich sind die Politiker selber schuld, was denn sonst, so sagen wir und denken nicht weiter darüber nach.

Ergeht es Macron so wie Clinton, Blair und Schröder?

Nur zu oft sind es Junggenies, die irgendwann links anfingen und dann in die Mitte wanderten. Macron war Sozialist und machte sich selbstständig als Reformer aus eher liberalem Geist. Da hat er einige berühmte Vorläufer.

Bill Clinton regulierte den Finanzmarkt und die Investmentbanken nutzten die neue Freiheit dermaßen konsequent, bis sie im September 2008 die Weltfinanzkrise verursachten. Tony Blair machte Großbritannien größer, als es war, und führte es 2003 in den Irakkrieg, den Amerika auf Teufel komm raus wollte. Gerhard Schröders wirtschaftliche Reformen kamen Angela Merkel zugute, kostete ihn aber das Amt und die Gunst seiner Partei.

Clinton blieb immerhin eine Figur des öffentlichen Lebens, auch wenn seine Stiftung eigentümliche Allianzen eingeht. Blair ist in Großbritannien unten durch und in seiner Labour Party eine unerwünschte Person. Schröder entschloss sich dazu, endlich Geld zu verdienen und schert sich nicht um das Echo.

Und Macron – geht es ihm irgendwann auch so wie Clinton und Blair und Schröder? Er dreht sich vorsichtig mit dem Wind. Er will den Gelbwesten zuhören, er wird ihnen versichern, ich weiß, wer ihr seid und was euch peinigt – I can feel your pain, pflegte Bill Clinton zu sagen. Macron schrieb einen "Lettre Aux Français", in dem er einen nationalen Bürgerdialog vorschlägt. Unter granddebat.fr kann teilnehmen, wer teilnehmen will, und sagen, was er sagen will.

Macron hat als Macron Erfolg – nicht als Merkel

Das ist nicht sein Stil. Sein Stil ist ankündigen und machen. Mit der Autorität des Amtes und der Regierungsmehrheit Gesetze formulieren und durchsetzen. Reden und zuhören und abwarten und dann erst nach vielem Abwägen entscheiden: Das ist der Stil Angela Merkels, der mit dem politischen System in Deutschland zusammenhängt. In Frankreich regiert der Präsident und damit basta.

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Macron hat als Macron Erfolg gehabt, nicht als Merkel. Wenn ein Politiker nicht mehr so sein darf, wie er ist, verliert er an Strahlkraft. Den Vorgang nennt man: Entzauberung. Sie bleibt nicht aus, denn die Demokratie ist unbarmherzig und treulos, sie liebt das Besondere, das Abweichende, die Abwechslung, das Junggenie, aber eben nicht auf Dauer.


Macron ist das Junggenie, das nun im Fegefeuer steht. Ich bin gespannt, ob er genug Widerstandsfähigkeit und Härte besitzt, um gestählt herauszukommen. Vielleicht versteht er ja, was er übersehen hat und worauf es bei Reformen ankommt: auf eine Doppelstrategie, die das Wirtschaftliche mit dem Sozialen verbindet. Hätte Schröder seine Agenda 2010 mit dem Mindestlohn verknüpft, wäre der Widerstand erheblich geringer ausgefallen. Wenn Emmanuel Macron das Richtige mit dem Nötigen verbindet, kann er wieder er selber sein.

Ich würde es beiden wünschen: Frankreich und seinem Präsidenten.

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