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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Sicherheitsberater John Bolton "Da werden Trumps Augen geleuchtet haben"

Trumps früherer Sicherheitsberater John Bolton ist sich sicher: Putin steuert den US-Präsidenten mit einfachen Tricks. Im Interview erklärt er, warum das gefährlich ist, und wie Trump Putins Ukraine-Agenda unbewusst vorantreibt.
John Bolton kennt Donald Trump wie kaum ein anderer – als ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater erlebte er während seiner ersten Amtszeit aus nächster Nähe, wie der US-Präsident schon damals internationale Politik betrieb.
Im Interview mit t-online spricht Bolton über das brisante Telefonat zwischen Trump und Wladimir Putin, den umstrittenen 30-tägigen Waffenstillstand in der Ukraine und warum er glaubt, dass Trump einmal mehr lediglich Putins Spiel gespielt hat – ohne es überhaupt zu merken.
t-online: Mister Bolton, der russische Präsident Wladimir Putin hat mit US-Präsident Donald Trump über den Krieg in der Ukraine telefoniert. Was ist von dem 30-tägigen Waffenstillstand zu halten, der nur für Infrastruktur und Energieversorgung gelten soll?
John Bolton: Wladimir Putin wollte dieses Telefonat mit Donald Trump unbedingt. Er wollte sehen, ob er noch mehr Zugeständnisse von ihm bekommen könnte, als Trump ohnehin schon gemacht hat. Trump hat ja bereits zugestanden, dass die Ukraine nicht ihre volle Souveränität oder territoriale Integrität wiedererlangen wird, dass sie nicht der Nato beitreten wird und die Nato oder wir auch keine Sicherheitsgarantien geben werden.
Ist Putin das gelungen?
Es gibt einen Grund, warum Putin weder mit Selenskyj noch mit den Europäern verhandeln will. Er wollte auch keinen Außenminister oder Sondergesandten. Er wollte direkt mit Trump reden, weil er dachte, dass seine mehrfach bewiesene Fähigkeit, ihn zu manipulieren, wieder erfolgreich sein würde. Und ich glaube, Putin hatte damit Erfolg.
Inwiefern?
Es stellt sich schon die Frage, ob man das Ergebnis des Telefonats überhaupt eine Vereinbarung nennen kann. Denn, wenn man die beiden Stellungnahmen des Weißen Hauses und des Kremls liest, scheinen sich beide Seiten gar nicht einig zu sein. Unklar ist, ob es sich bei den 30 Tagen Waffenruhe nur um eine Einstellung der Angriffe auf die Energieinfrastruktur handelt oder um eine Einstellung der Angriffe auf die Energie- und die Infrastruktur? Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge, die sich in den Versionen widersprechen.
Das Weiße Haus spricht aber von einem bedeutsamen ersten Schritt. Ist der denn gar nichts wert?
Es ist jedenfalls kein wirklicher 30-tägiger Waffenstillstand. Der Schritt ermöglicht vielmehr eine Neuausrichtung. Denn sie erlaubt den Russen, mehr Ressourcen gegen ukrainische Stellungen an der Front einzusetzen. Es ist also kaum der Fortschritt, den Trump anstrebte und vorausgesagt hat. In Wahrheit wissen wir nicht viel über das Telefonat. Die Berichte sind vage und nicht sehr spezifisch. Das bedeutet, dass es vieles gab, worüber Trump und Putin einfach nicht reden wollten. Ich weiß das, weil ich einige solcher Berichte in meiner Zeit als Nationaler Sicherheitsberater verfasst habe.
- Kommentar: Ein erbärmliches Eingeständnis von Trump
Ihr bisheriges Fazit?
Im Großen und Ganzen sieht es danach aus, als habe Trump Putin im Wesentlichen gegeben, was der wollte. Putin bekommt weitere Gelegenheiten, ein paar Stunden mit Trump zu sprechen. Und der US-Präsident versucht, einen bescheidenen Schritt als Erfolg zu verkaufen.
Trump behauptet nun, man habe nicht über US-Militärhilfen oder Geheimdienstinformationen für die Ukraine gesprochen. Der Kreml hingegen führt an, man habe sich über die Aussetzung dieser Unterstützung als zentralen Bestandteil für eine 30-tägige Kampfpause ausgetauscht. Warum bestreitet Trump das?
Trump mag es nicht, zuzugeben, was nicht in seinen Plan passt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Putin diesen Punkt in dem Gespräch sehr deutlich gemacht hat. Das ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie Putin Trump manipuliert. In der Stellungnahme des Kremls sind keine neuen Aspekte enthalten wie künftige Sicherheitsgarantien. Es ist nur die Rede vom Stopp der militärischen Unterstützung und der Geheimdienstinformationen, also etwas, das Russland wollte.
Inwiefern manipuliert Putin ihn dadurch?
Indem Putin etwas aufgreift, was Trump bereits getan hat. Nach dem Debakel im Oval Office mit Selenskyj setzte er die Militärhilfe für die Ukraine aus. Damit signalisierte er Putin, dass dies eine gute Idee für die Grundlage eines dauerhaften Abkommens ist. Putin stellte jetzt keine neuen Forderungen auf, sondern verstärkte lediglich etwas, das Trump bereits getan hatte. Putin führt dies jetzt als notwendigen Schritt für eine dauerhafte Vereinbarung an, indem er Trump seine eigene Idee zurückspiegelte. Trump denkt daraufhin: "Oh, das klingt ziemlich gut. Das ist eine gute Idee – genau das habe ich ja gerade getan." Und nun diskutieren wir erneut über genau dasselbe.
Mit anderen Worten: Trump hat Putin bereits bewiesen, dass er bereit ist, die Hilfen erneut auszusetzen, wenn er denkt, dass es in seinem Interesse liegt?
Das ist der Grund, warum die Russen den Aspekt in ihre Stellungnahme geschrieben haben.
Zur Person
John Bolton (Jahrgang 1948) ist ein US-amerikanischer Politiker, Diplomat und Sicherheitsexperte. Von 2018 bis 2019 diente er als Nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Donald Trump. Zuvor war er unter George W. Bush Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen. Er befürwortete den damaligen Einmarsch in den Irak. Bolton gilt als außenpolitischer Hardliner und vehementer Kritiker von Russland und China. Nach seinem Ausscheiden aus der Trump-Regierung wurde er zu einem scharfen Kritiker des damaligen und erneut gewählten US-Präsidenten.
Als sein früherer Nationaler Sicherheitsberater haben Sie während Trumps erster Präsidentschaft sehr eng mit ihm zusammengearbeitet. Können Sie noch näher beschreiben, warum Trump sich von Putin derart manipulieren lässt?
Das ist wahrscheinlich eher eine Frage für den Psychiater. Um es zu beschreiben, reicht es aber schon, zu betrachten, was in der Ukraine in den vergangenen Monaten geschehen ist. Schon im Wahlkampf hatte Trump andauernd gesagt, wenn er Präsident gewesen wäre, hätte es keinen Krieg in der Ukraine gegeben. Und auch nicht im Nahen Osten. Das ist eine Aussage, die weder beweisbar noch widerlegbar ist.
Im Grunde ein billiges Argument.
Ja, aber kürzlich sagte Putin auf eine Frage der Presse in Moskau: Er sei mit Präsident Trump nicht uneins. Wenn der Präsident gewesen wäre, hätte es keinen Krieg in der Ukraine gegeben. Putin gibt Trump auch hier nur seinen eigenen Standpunkt zurück. Und ich bin mir sicher: Als Trumps Berater ihm dann sagten: "Hey, Putin hat gerade gesagt, dass es mit dir keinen Krieg gegeben hätte", werden seine Augen geleuchtet haben. Da hat er sich gut gefühlt. Aus Putins Sicht war das sozusagen das eröffnende Vorspiel.
Alles so geplant, um Trump zu umgarnen?
Kurz darauf ließ Putin Mark Foley, eine ohne Begründung in Moskau festgehaltene amerikanische Geisel, frei. Wenige Tage später tat Lukaschenko in Belarus dasselbe mit einer weiteren amerikanischen Geisel. Danach lobte Putin Trumps "gesunden Menschenverstand" – eine Formulierung, die Trump ebenfalls schon oft in seinem Wahlkampf verwendete. Für die meisten Amerikaner ist gesunder Menschenverstand natürlich eine Selbstverständlichkeit. Trump hat das nicht erfunden. Dass Putin ihn zitiert, ist für Trump aber wieder ein Beweis, wie gut er sich mit ihm verstehen würde. Auf diese Weise spielt Putin mit Trumps Ego. Man könnte eine lange Liste von Dingen aufstellen, die Putin tut, um Trump in seine Richtung zu lenken, und Trump merkt nicht einmal, was er da tut. In Wahrheit holt er Putin aus der Isolation.
Lassen Sie uns den Blick weiten. Angesichts von Trumps Rhetorik zu Kanada, Panama, Grönland und seinem Ansatz gegenüber China und Russland – stehen wir vor einer Ära eines imperialistischen Amerikas, das sich nur mit anderen Großmächten arrangiert und den Rest der Welt zwingt, sich anzupassen?
Trump hat keinen übergeordneten Plan zur Aufteilung der Welt zwischen Russland und China. Er glaubt einfach, dass gute Beziehungen zu Putin oder Xi Jinping automatisch gute Beziehungen zu deren Ländern bedeuten – was nicht stimmt. Vieles, was Trump sagt, sind spontane Gedanken oder Ideen, die ihm jemand zuflüstert.
Wenn Trump sogar militärische Einsätze gegen Verbündete nicht explizit ausschließt, klingt das aber doch ziemlich besorgniserregend.
Das ist viel Rhetorik. Nur ein Beispiel: Die Idee, Kanada zum 51. US-Bundesstaat zu machen, ist ziemlich alt, eine Art Witz. Der letzte ernsthafte Versuch, Kanada zu einem Teil der Vereinigten Staaten zu machen, war der Krieg von 1812 während der Revolution. Einige Leute hatten es versucht. Es scheiterte. Trump nutzte das lediglich, um Justin Trudeau zu verspotten, indem er ihn "Gouverneur Trudeau" statt "Premierminister Trudeau" nannte. Er mag Trudeau nicht. Er mag Selenskyj nicht. Aber er mag Putin.
Was ist mit dem Panama-Kanal, auch nur ein Witz?
Die Panama-Kanal-Frage ist eine andere. Das eigentliche Problem war die chinesische Kontrolle über wichtige Häfen. Das war eine berechtigte Sorge. Durch private Investoren wird diesem Problem jetzt entgegengewirkt. Das ist großartig, weil es diese chinesische Kontrolle entzieht – nicht nur auf beiden Seiten des Panamakanals, sondern auch in vielen anderen Häfen der Welt. Wenn diese Deals wirklich zustande kommen, ist das Problem gelöst.
Bleibt Grönland, Sie kennen die Diskussion noch aus Ihrer Zeit als nationaler Sicherheitsberater.
Grönland ist eine ganz andere Geschichte. Ich war 2019 daran beteiligt, als Trump zum ersten Mal sagte, dass er Grönland kaufen wolle. Die USA haben dort langfristige strategische Interessen – das war nicht Trumps Idee. Bereits 1868 wollte die US-Regierung Grönland kaufen. Wir haben übrigens die dänischen Jungferninseln 1917 gekauft, um die Zufahrten zum Panamakanal zu schützen. Im Zweiten Weltkrieg stationierten wir noch vor dem Angriff auf Pearl Harbor US-Marines und die Küstenwache in Grönland und übernahmen die Insel im weiteren Verlauf des Krieges, um die Konvois im Nordatlantik zu schützen. 1947 bot Harry Truman Dänemark schließlich 100 Millionen Dollar für Grönland an. Sie haben nicht zugestimmt.
Was Trump aber öffentlich nicht davon abhält, Ansprüche anzumelden.
Wir haben dort, wie gesagt, ein enormes strategisches Interesse. Aber der Weg, dies mit Dänemark und den Grönländern zu lösen, führt eigentlich über stille und diplomatische Gespräche.
Sie erwähnten vorhin, dass Trump einfach gute Beziehungen mit Wladimir Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping anstrebt. Wie sehen das denn die beiden?
Sie sehen Trump als leichte Beute. Wie ich schon beschrieben habe, weiß Putin als ehemaliger KGB-Agent, wie man Menschen manipuliert. Xi Jinping ist nicht so und macht das auch nicht. Er setzt sich einfach hin, liest seine Argumente vor und wartet darauf, dass die andere Seite nachgibt. Trump würde nichts lieber tun, als das größte Handelsabkommen in der Geschichte zwischen den USA und China abzuschließen. Ein großes Handelsabkommen, von dem er sagen kann, dass es sein Verdienst ist. Er hat es schon in seiner ersten Amtszeit versucht und es nicht geschafft. Ich glaube auch nicht, dass es dieses Mal klappt.
Wie geht es nun weiter mit der Ukraine, was können wir von Trump erwarten?
Er wird kein Scheitern zugeben. Das Gespräch mit Putin war aus Trumps Sicht ein tolles Telefonat gewesen, bei dem er wirklich eine Menge Fortschritte gemacht hat. Nein, das hat er nicht. Er hat nicht einmal annähernd das erreicht, was mit den Ukrainern in Saudi-Arabien vereinbart worden war. Heute soll Selenskyj mit Trump sprechen, und ich bin sicher, dass er einiges zu sagen haben wird, insbesondere über die Fortsetzung der Militärhilfe. Wir befinden uns am Anfang eines langen Prozesses. Putin möchte eine Pause einlegen, um seine Armee neu zu gruppieren. Und er denkt, dass sich mit Trump an der Macht die Kriegsdynamik in seiner Richtung entwickelt. Er ist froh, den Krieg zu verlängern, weil er denkt, so weitere Zugeständnisse von Trump zu bekommen.
Worin sehen Sie die Gefahren eines umfassenderen Waffenstillstands?
Weil es im Interesse Russlands sein könnte, wenn man die Kämpfe entlang der aktuellen Frontlinien einfriert. Wenn man dann nach Genf oder Wien oder sonstwohin geht, um zu verhandeln, kann sich das über Monate oder Jahre hinziehen. Und je länger diese Linie eingefroren ist, desto wahrscheinlicher wird sie zu einer neuen De-facto-Grenze zwischen der Ukraine und Russland, und die Ukraine bekommt dieses Gebiet nie zurück.
Wann wäre Putin überhaupt zu richtigen Verhandlungen bereit?
Wenn er glaubt, dass er militärisch so weit gekommen ist, wie er eben kann, wird er verhandeln wollen. Und das sollten wir aus westlicher Sicht dann auch tun. Dazu muss man aber Druck auf Putin ausüben, nicht indem man sich zurückzieht oder in der Diplomatie nachgibt. Man übt Druck auf ihn aus, indem man das russische Militär überzeugend besiegt, was der Ukraine bisher leider nicht gelungen ist.
Es gibt Experten, die eine entmilitarisierte Zone nach dem Vorbild Nord- und Südkoreas vorschlagen. Wäre das eine Lösung?
Diese Waffenstillstandslinie besteht seit mehr als 70 Jahren. Sie ist immer noch nicht überwunden. Es gibt immer noch amerikanische Truppen entlang der entmilitarisierten Zone in Südkorea. In der Kommandozentrale gibt es einen Slogan auf Koreanisch und Englisch zu lesen: "Kämpfe heute Nacht". Das bedeutet, dass wir jederzeit bereit sein müssen, weil die Nordkoreaner jeden Moment über die Grenze kommen können. Das ist keine Friedenslösung für die Ukraine.
Sie gelten als einer derjenigen, die Donald Trump in der ersten Amtszeit noch in den Arm fallen konnten. Gibt es heute noch Berater, die den US-Präsidenten von unklugen Entscheidungen abhalten?
Wir hoffen, dass Außenminister Marco Rubio und sein heutiger Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz ihm diese Art von Ratschlägen geben. Aber von außen ist das schwer zu beurteilen. Wir können es einfach nicht sagen.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Telefon-Interview mit John Bolton (englisch)