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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Trump und die Ukraine Er knickt gnadenlos ein
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Donald Trump vollzieht den geopolitischen Tabubruch, einen Schulterschluss mit Wladimir Putin. Damit gefährdet er nicht nur die Ukraine, sondern die gesamte europäische Sicherheitsordnung. Ein Weckruf.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
An einem sonnigen Nachmittag in Mar-a-Lago, bei angenehmen 24 Grad Celsius, hat Donald Trump die Welt erneut fassungslos zurückgelassen. Auf seinem luxuriösen Anwesen in Florida, in dessen Nähe der US-Präsident auch gerne Golfbälle über den perfekt gepflegten Rasen schlägt, hat er Sätze gesagt, die das Potenzial haben, die geopolitische Sicherheitsordnung der Welt nicht nur zu erschüttern, sondern zu zerstören. Die Ukraine hätte nie mit dem Krieg beginnen dürfen, behauptete Trump. Sie hätte dazu ja vorab schlicht Land eintauschen können.
Der Präsident reagierte mit einer spöttischen Tirade gegen die Ukraine, weil die zuvor angemahnt hatte, mit am Verhandlungstisch der Amerikaner und Russen sitzen zu wollen. Selenskyj sei schließlich "seit drei Jahren dabei" und habe letztlich nichts erreicht, ätzte Trump.
Was Trump in Mar-a-Lago ausgesprochen hat, ist eine moralische Bankrotterklärung – und ein offener Bruch mit dem Völkerrecht. Mit keinem Wort verurteilte er Putins Krieg, der das Land nicht erst seit drei Jahren, sondern in Wahrheit schon seit 2014 immer weiter verwüstet hat – also auch bereits während Trumps erster Präsidentschaft. Hunderttausende Menschenleben hat die russische Aggression inzwischen gefordert und Millionen zur Flucht gezwungen.
Es ist ein Krieg, den Wladimir Putin ohne jede Rechtfertigung und amtlich verurteilt von der übergroßen Mehrheit der Vereinten Nationen begonnen hat. Dass ausgerechnet der 47. Präsident der Vereinigten Staaten nun der Ukraine die Schuld dafür gibt, ist nicht nur eine Pervertierung der Tatsachen, sondern eine gefährliche Kapitulation vor Putins Gewaltpolitik. So ein Einknicken vor einer aggressiven Großmacht hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben.
Eine beispiellose Verdrehung der Realitäten
Während Trump in Florida höhnisch über die Ukraine und ihren verzweifelten Überlebenskampf herzog, flogen im 10.000 Kilometer entfernten Odessa keine Golfbälle, sondern russische Raketen auf Zivilisten. Anders als in Mar-a-Lago herrscht im Osten Europas Eiseskälte. Bei minus 12 Grad Celsius hat Putins angeblich zum Frieden bereite russische Armee den kleinen Ort Fyholivka in der Region Charkiw eingenommen. Dass Trump ausgerechnet in diesem Moment von der Ukraine verlangt, sie hätte ihr Land einfach "eintauschen" sollen, zeigt nur, wie skrupel- und gewissenlos dieser amerikanische Präsident handelt. Es verkennt auch, dass Putin eben nicht nur ein paar Gebiete haben wollte, sondern das ganze Land im Blick hat.
Mit seiner beispiellosen Verdrehung der Realität betreibt Trump eine öffentliche Täter-Opfer-Umkehr – ein Zynismus, der in seiner folgenreichen Grausamkeit eigentlich nur vom russischen Machthaber Putin überboten wird. Sollte sich diese radikale Umkehr der US-Außenpolitik wirklich durchsetzen, wäre das nicht weniger als eine Einladung an alle Autokraten der Welt, ihre Nachbarn zu überfallen, um dann menschenverachtende "Deals" über Landtausch einzufordern.
Man könnte versucht sein, Trumps Worte als eine weitere seiner berüchtigten Entgleisungen abzutun. Doch das wäre fatal. Denn sie fügen sich ein in eine klare, neue außenpolitische Strategie: Russland aus der Isolation zu holen und stattdessen gegen die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten zu arbeiten. Das jüngste Treffen zwischen US-Diplomaten und russischen Vertretern in Saudi-Arabien, zu dem die Ukraine nicht einmal eingeladen war, spricht Bände. Trumps Außenminister Rubio brachte bereits jetzt die Lockerung der mühsam erreichten Sanktionen gegen Russland ins Spiel.
Ein Dolchstoß in den Rücken von Selenskyj
Trump ging in seinen Äußerungen aber noch weiter: Er fordert nun sogar offen Neuwahlen in der Ukraine – ganz im Sinne Moskaus. Das ist ein Dolchstoß in den Rücken von Selenskyj. Mit dem abgedroschenen Argument, die Amtszeit des ukrainischen Präsidenten sei abgelaufen, übernimmt Trump die russische Propaganda nahezu wortgleich. Dass in einem Land, das sich im Krieg befindet, kaum reguläre Wahlen stattfinden können, scheint für Trump irrelevant.
Er behauptet zudem dreist, Selenskyjs Popularität liege nur noch bei vier Prozent. Eine Lüge, die sich leicht widerlegen lässt: Sechs von zehn Ukrainern waren laut einer Umfrage noch im August 2024 mit Selenskyjs Arbeit zufrieden.
Es ist offensichtlich, was hier geschieht: Trump baut an einer Erzählung, in der die Ukraine nicht Opfer, sondern Verursacher des Krieges ist – und die USA unter seiner Führung als neutraler "Dealmaker", als gewiefter Händler, auftreten könnten, indem sie Putin genau das geben, was er verlangt: ukrainisches Territorium, ein Ende der Nato-Ambitionen der Ukraine, ein Stopp der Sanktionen gegen Russland und obendrein die politische Kontrolle über eine neue, kremlfreundliche Kiewer Regierung.
Seite an Seite mit Putin begeht Trump damit auch einen Angriff auf die internationale Friedensordnung – und gegen Europa. Einen Handelskrieg gegen seine Verbündeten hat er bereits vom Zaun gebrochen und schwächt die Europäer damit schon jetzt. Dazu seine Forderungen, ab sofort fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Was kommt als nächstes? Womöglich noch ein Abzug der US-Truppen aus Europa, wenngleich er diesen derzeit ausschließt.
Trumps geopolitischer Verrat
Von Putin ist bislang kein Gegenangebot für Trumps Ausverkauf der Ukraine bekannt. Doch das scheint den US-Präsidenten nicht zu stören. Putin dürfte sein Glück kaum fassen können. Trumps gnadenloses Einknicken könnte den Kreml jetzt erst recht ermutigen, noch mehr zu verlangen oder sich bald noch mehr zu nehmen. Trump signalisiert damit, dass Washington bereit ist, zumindest Teile der Ukraine für einen faulen Frieden zu opfern. Damit ist der nächste russische Angriff – sei es wieder gegen die Ukraine, gegen Moldau und Georgien, oder sogar gegen die baltischen Staaten oder Polen – vielleicht keine Frage des Ob, sondern des Wann.
Trump begeht einen geopolitischen Verrat, der Europa aufschrecken muss. Wenn der Mann, der im Weißen Haus sitzt, offen das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen aufgibt, dann ist das kein ukrainisches Problem allein – es ist eine direkte Bedrohung für Europa. Die Sicherheitsarchitektur des gesamten Kontinents steht auf dem Spiel.
Trump ist Europas letzte Chance
Donald Trump hat mit diesen Aussagen endgültig einen Schulterschluss mit Wladimir Putin vollzogen. Er verabschiedet sich von der westlichen Wertegemeinschaft. Schon die Münchner Rede seines Vizepräsidenten J. D. Vance war dafür ein mehr als deutlicher Hinweis. Ihm zufolge soll nicht Russland oder China die primäre Bedrohung sein, sondern angebliche Anti-Demokratie-Feinde innerhalb Europas, weil die etwa Jagd auf ihre eigenen Bürger machen würden.
Man darf sich keinen Illusionen mehr hingeben: Die Trump-Regierung ist dabei, die transatlantische Partnerschaft nachhaltig zu zerstören. Das lässt sich auch am Flehen vieler anderer Amerikaner ablesen, die Europa bitten, sich nicht vollständig abzuwenden und irgendwie die vier Trump-Jahre zu überstehen.
Europa muss jetzt einig bleiben und sich an die Seite von Selenskyj stellen. Stärke durch Einheit und entschlossenes Handeln sind womöglich das einzige Positive an den Folgen von Trumps Vorgehen. Gelingt das der EU, gemeinsam mit Großbritannien, nicht, muss vielleicht schon bald nicht mehr nur die Ukraine um ihre Gebiete fürchten.
Trump schloss bei seinem Interesse an Grönland einen Einsatz von US-Soldaten explizit nicht aus. Der US-Präsident argumentierte bei solchen Planspielen zwar nicht historisch wie Putin, aber ebenso mit Sicherheitsinteressen, im Falle Grönlands mit jenen der USA in der Arktis. Noch wird das vielfach abgetan als typisch überzogene Trump-Rhetorik. Doch Europa, das hat auch dieser Tag wieder gezeigt, muss bei diesem Präsidenten mit allem rechnen.
- Eigene Überlegungen
- Livestream des Weißen Hauses (englisch)