Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte analysiert Biden-Rede "Das zeigt Joe Biden nicht mehr"
Wie tritt Joe Biden nach seinem Rückzug aus dem Rennen um das Weiße Haus auf? Diese Frage stellten sich im Vorfeld viele Beobachter. Ein Experte analysiert die Rede des US-Präsidenten.
Reden zur besten Sendezeit aus dem Oval Office, dem Amtszimmer des US-Präsidenten, sind den Zeiten krisenhafter Momente und großer Zäsuren im Land vorbehalten. Genau dazu zählte Bidens jüngster Ausstieg aus dem Präsidentschaftsrennen dreieinhalb Monate vor der Wahl am 5. November.
In einer emotionalen Rede an die Nation hat sich Biden nun erstmals zu seinem Rückzug aus dem Rennen um das Weiße Haus geäußert. In seiner rund 11-minütigen Ansprache beschwor der 81-Jährige unter anderem die Einheit Amerikas und erklärte die nächste Wahl zu einer Abstimmung über die Demokratie.
Im Fokus vieler Beobachter: Bidens Auftreten. Zuletzt wurden die Forderungen nach einem sofortigen Rücktritt des 81-Jährigen als US-Präsident immer lauter. Körpersprache-Experte Stefan Verra beobachtet und analysiert Biden schon seit Jahren und hat die jüngste Rede des US-Präsidenten analysiert.
Zur Person
Stefan Verra ist Trainer, Buchautor und Speaker. Er spricht jedes Jahr bei über 100 Firmenevents und Konferenzen und vermittelt wertvolles Wissen über die Körpersprache. Mit seinen Büchern "Die Körpersprache der Mächtigen" oder "Warum Frauen oft nicht ernst genommen werden und Männer unfreiwillig Single sind" hilft er, die eigene Körpersprache zu verstehen und bewusster einzusetzen.
Videotranskript lesen
"My fellow Americans“
US-Präsident Joe Biden hat sich in einer emotionalen Rede an die Nation erstmals zu seinem Rückzug aus dem Wahlkampf um die nächste Präsidentschaft geäußert.
Im Fokus vieler Beobachter: das Auftreten des 81-Jährigen. Die Forderungen nach einem sofortigen Rücktritt als US-Präsident wurden zuletzt immer lauter. Der Tenor: Der US-Präsident sei nicht mehr fit genug, das Amt auszuführen.
Wie sich Biden während seiner rund 11-minütigen Rede geschlagen hat, analysiert Körpersprache-Experte Stefan Verra.
Inhaltlich sagt er einige sehr kluge Dinge. Themen, die man in dieser Zeit wohl dringend braucht. Ich nehme eines heraus.
"Wir können unsere politischen Gegner nicht als Feinde ansehen, sondern als amerikaner Mitbürger. Können wir das schaffen?"
Allerdings: Seine Inhalte kommen nicht mehr durch bzw. sie wirken nicht mehr glaubwürdig. Erkennen tun wir das an zwei Kenngrößen der Körpersprache. Nummer eins: Das ist die Amplitude. Das ist der Umfang der Bewegungen. Bei Joe Biden deutlich sichtbar: Er bewegt sich nurmehr in sehr engem Rahmen. Zum einen deutlich zu erkennen am Nacken. Er schafft es nicht mehr, sich mit seinem Kopf nach links und rechts zu bewegen. Beziehungsweise nurmehr sehr eingeschränkt. Nummer eins. Nummer zwei: seine Handgelenke. Auch hier sehr wenig Bewegungsradius, also Amplitudenverlust. Und Nummer drei: sein Unterkiefer. Da tut sich sehr, sehr wenig. Er verspricht sich oft und seine Worte kommen schlecht artikuliert rüber. Man versteht sie also relativ schlecht.
"Und diejenigen von uns, denen diese Sache am Herzen liegt, müssen sich zusammentun, um die amerikanische Demokratie zu schützen. Das ist es, was Amerika so besonders macht."
Man kann erkennen, wie groß der Unterschied wäre, wenn er eine größere Amplitude, also einen größeren Bewegungsumfang zeigen würde. Allein das Ausstrecken des Armes an dieser Stelle wirkt schon weit kraftvoller. Also hier ist ein Bewegungsumfangs-Verlust zu erkennen. Und das ist ein Zeichen, denn vom Kleinkindalter an haben wir einen sehr großen Bewegungsumfang und der nimmt kontinuierlich ab. Die zweite Kenngröße ist die Frequenz, also das Tempo der Bewegungen. Und auch hier hat Joe Biden sehr stark abgebaut. Eine sehr markante Szene. Er hebt hier die Augenbrauen hoch, und zwar passend zu den Worten. Wunderbar! Aber vor wenigen Jahren hätte er das viel energetischer und schneller gemacht. Und damit hätten wir noch die Kraft verspürt, die innerlich vorhanden ist.
"Amerika ist eine Idee. Eine Idee, die stärker als jede Armee ist."
An dieser Stelle ist die Frequenz noch einigermaßen erkennbar. Er spricht davon, dass Amerika ja vor allem eine Idee ist. Und das ist ein wunderbarer Satz, eine wunderbare Aussage. Er versucht sie auch noch mit Körpersprache zu unterstützen, aber es bleibt beim Versuch. Das heißt zusammengefasst: Es ist eine gute Entscheidung, dass die Demokraten gesagt haben: Nein, mit Joe Biden geht es nicht mehr. Denn es geht nicht so sehr darum, ob Joe Biden jetzt nicht inhaltlich oder strategisch noch den Überblick hätte, sondern es geht darum: Vertraut ihm das Volk? Warum ist das so wichtig? Evolutionär haben wir das Alphatier immer danach ausgewählt, ob uns dieses Alphatier in Notfällen helfen könnte. Das heißt, es ist ein Konjunktiv. Wir wissen es natürlich erst, wenn der Fall eingetreten ist. Also die Körpersprache muss sprechen: smart, kraftvoll und energievoll zu sein. Und das zeigt Joe Biden nicht mehr.
Den Forderungen nach einem sofortigen Rücktritt aus dem Amt erteilte Biden am Mittwoch eine klare Absage. In den nächsten sechs Monaten werde er sich darauf konzentrieren, seine Aufgabe als Präsident zu erfüllen.
Wie der Experte Bidens Rede an die Nation einschätzt, welche Details ihm auffallen und warum es dem US-Präsidenten zunehmend schwerfällt, seine Inhalte glaubhaft zu transportieren, sehen Sie oben im Video.
- Eigenes Material
- Mit Videomaterial der Nachrichtenagentur Reuters