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McCarthy abgewählt: Wird Trump-Mann Jim Jordan Sprecher im Kongress?


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Sprecher-Wahl im US-Kongress
Die Republikaner ringen um ihre Zukunft


Aktualisiert am 11.10.2023Lesedauer: 5 Min.
Schon lange enge Wegbegleiter: Jim Jordan und Donald Trump im Wahlkampf 2018.Vergrößern des Bildes
Schon lange enge Weggefährten: Jim Jordan und Donald Trump im Wahlkampf 2018. (Quelle: IMAGO/Brian Cahn)

Die bevorstehende Wahl zum Sprecher im Kongress droht erneut zum Desaster zu werden. Die Republikaner können sich bislang nicht einigen. Am Ende aber könnte Trumps Kandidat Jim Jordan das Rennen machen.

Bastian Brauns berichtet aus Zürich, Schweiz

Michael French ist Rentner, Republikaner – und kann es nicht fassen. "Dieser Mann ist eine Schande für mein Land", sagt er und meint damit Donald Trump. "Er ist hochkorrupt, ein Betrüger und eine durch und durch grauenhafte Person", so French. Der 75-jährige Sohn eines amerikanischen Diplomaten sitzt gerade im Flugzeug von Washington nach Zürich. Jahrzehntelang hat er für die US-Handelskammer gearbeitet, später lehrte er Politik an der Washington University.

Während er der US-Hauptstadt für ein paar Tage den Rücken kehrt, soll dort die entscheidende Wahl des neuen Sprechers des Repräsentantenhauses stattfinden. Es waren die Republikaner, die Partei also, der French seit vielen Jahren angehört, die das Parlament vor einer Woche ins Chaos stürzten. Eine kleine Gruppe Radikaler innerhalb der Partei hatte den bisherigen Sprecher Kevin McCarthy gestürzt. "Wir haben keine echten Anführer mehr", sagt Michael French. Das gelte für die Präsidentschaftskandidaten ebenso wie für alle anderen Ämter. "Gutes Führungspersonal ist nicht mehr vorhanden", sagt French. Was in dieser Woche in Washington passieren werde, sei nur ein weiterer Beleg dafür.

Menschen wie Michael French stehen stellvertretend für eine Verzweiflung, die sich spätestens mit Donald Trump bei vielen Republikanern breitgemacht hat. Die sogenannte Grand Old Party (GOP) ist tief gespalten – in eine einflussreiche Basis aus Trump-Anhängern sowie einen nach wie vor verantwortungsbewussten und verfassungstreuen Teil von Politikern. Mit der Wahl des neuen Sprechers droht ein neues Zerwürfnis, das nicht nur die Partei, sondern auch das Land ins Chaos stürzen kann.

Zwei Kandidaten ohne Mehrheit

Denn tatsächlich ist vollkommen unklar, ob es an diesem Mittwoch im Repräsentantenhaus überhaupt zu einem Ergebnis kommen kann. Wegen der Spaltung der Republikaner, die sich auch innerhalb der Fraktion niederschlägt, gibt es bislang keinen Kandidaten, für den sich eine klare Mehrheit abzeichnet. Wie schon im Januar dieses Jahres droht ein Machtkampf zwischen moderateren und radikalen Republikanern. Um zu gewinnen, muss ein Kandidat aktuell mindestens 217 Stimmen erlangen.

Der eine Kandidat ist der rechtskonservative, christlich-nationale Abgeordnete Jim Jordan, 58, aus dem wichtigen Bundesstaat Ohio. Er ist zugleich ein treuer Trump-Anhänger. Jordan könnte sehr wahrscheinlich auf die Stimmen der Radikalen in der Fraktion zählen. Der ehemalige Präsident Donald Trump hat sich bereits für die Wahl von Jim Jordan ausgesprochen.

Kein Wunder: Jim Jordan gehörte zu jenen Republikanern, die nach der verlorenen Präsidentschaftswahl im Jahr 2020 von massenhaftem Wahlbetrug sprachen und damit die ideelle Grundlage für den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar legten. Ausgerechnet dort will sich der rhetorisch versierte Jim Jordan nun zur drittmächtigsten Person von Washington hinter dem Präsidenten und seiner Vizepräsidentin wählen lassen.

Den benötigten US-Hilfen für die Ukraine steht Jim Jordan skeptisch gegenüber. Er sagte jüngst dazu: "Das drängendste Problem für die Amerikaner ist nicht die Ukraine."

Seine Chancen: Rund 40 Unterstützer von 221 Republikanern hat Jim Jordan bereits jetzt. Indem Donald Trump sich für ihn ausgesprochen hat, steigt aber auch der Druck auf die moderateren Abgeordneten. Denn Trump liegt in den Umfragen für die Kür des kommenden Präsidentschaftskandidaten derzeit scheinbar uneinholbar weit vorne. Sich gegen Trump zu stellen, heißt, sich im Zweifel auch gegen die eigenen Wähler im Wahlkreis zu stellen. Die Abgeordneten aber wollen natürlich in einem Jahr auch wieder ins Parlament gewählt werden. Wer Trumps Willen nicht entspricht, der riskiert im Zweifel, einen Trumpisten als Gegenkandidaten zu bekommen. Jordans Chancen sind entsprechend groß. Gewinnt er, wäre das in jedem Fall ein Triumph für Trump.

Der andere Kandidat ist Steve Scalise, 58, aus Louisiana. Er ist der bisherige Mehrheitsführer der Republikaner im Kongress. Im Vergleich zu Jim Jordan gilt er als verhältnismäßig moderater Konservativer. Aber auch er steht Donald Trump nahe. Scalise war von jeher ein überzeugter Unterstützer des ehemaligen Präsidenten. Während Trumps Amtszeit arbeitete er eng mit diesem zusammen als Majority Whip, also als stellvertretender Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus. Nach Trumps Niederlage aber erkannte Scalise das Ergebnis und damit Joe Biden als Präsidenten trotz anfänglicher Skepsis an.

Scalise schloss sich kürzlich einer Minderheit der Republikaner im Repräsentantenhaus an und stimmte immerhin für ein 300-Millionen-Dollar-Paket für die Ukraine und für den von McCarthy ausgehandelten Übergangshaushalt.

Seine Chancen: Dass Scalise ohne eine Empfehlung von Trump die Unterstützung von dessen fundamentalen Anhängern in der Fraktion erhalten wird, gilt als unwahrscheinlich. Er hat bislang rund 25, teils namhafte Unterstützer in der Fraktion. Ihm droht damit im Zweifel das gleiche Schicksal wie schon Kevin McCarthy. Der musste sich in diesem Januar durch insgesamt 15 Wahlgänge kämpfen, bis er schließlich dank zahlreicher Zugeständnisse, die seine Macht einschränkten, und dank Trumps Gnade zum Sprecher gewählt wurde.

Die unklaren Verhältnisse beschädigen alle

Weil vollkommen unklar ist, wie sich die Republikaner auf einen der beiden Kandidaten einigen sollen, drohen nicht nur zahlreiche Wahlgänge. Damit einher geht eine weitere Phase der Ungewissheit. Am Ende könnte erneut ein Sprecher gewählt werden, der wie schon McCarthy nur auf einer sehr knappen und extrem wackeligen Mehrheit steht. Das wäre zum Nachteil der Republikaner, aber auch zum Nachteil des ganzen Landes. Er wäre erneut eine politische Geisel der Radikalen und könnte wichtige Gesetze wie den Haushalt wohl nur wieder mithilfe der Stimmen der Demokraten verabschieden.

Seit die Position des Sprechers im Repräsentantenhaus unbesetzt ist, liegt die Gesetzgebung der USA ohnehin so gut wie lahm. Denn er bestimmt die gesetzgeberische Agenda, also welches Gesetzesvorhaben auf die Tagesordnung kommt. Daran hängen viele innenpolitische Vorhaben, aber auch die wichtigen Ukraine-Hilfen, die die USA dem Land im Abwehrkampf gegen Russland bisher zur Verfügung gestellt haben.

Eine zerstörerische Dynamik

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Kevin McCarthy wurde gestürzt, weil es Abgeordneten wie Matt Gaetz, Lauren Boebert oder Byron Donalds nicht passte, dass er überparteiliche Kompromisse zum Haushalt aushandelte, um die USA und Millionen von Staatsbediensteten vor einem Shutdown zu bewahren. Diese zerstörerischen Dynamiken und Mehrheitsverhältnisse in der eigenen Fraktion bleiben auch jetzt dieselben.

Dieses Mal wollen die Republikaner einer öffentlichen Selbstdemontage zwar unbedingt entgehen. Bei einer geheimen, internen Abstimmung vor dem offiziellen Wahlgang will man sicherstellen, dass man sich einig ist. Am Mittwoch gewann Steve Scalise dieses Votum mit 113 zu 99 Stimmen gegen Jim Jordan. Die Fraktion wirkt dementsprechend gespalten. Ob es Scalise nun gelingt, die Jordan-Anhänger für sich zu gewinnen, ist unklar.

Blockieren sich die Abgeordneten gegenseitig, könnte am Ende sogar McCarthy, der abgewählte Sprecher, noch einmal antreten. Ausschließen wollte er das zumindest nicht mehr. Auch der Abgeordnete Kevin Hern könnte plötzlich noch seine Kandidatur bekannt geben. Und dann bleibt da noch die Joker-Variante: Donald Trump als alle einigende Übergangslösung.

Matt Gaetz, der Anführer des Aufstands gegen McCarthy, sagte am Vorabend der Abstimmung, dass er jedenfalls noch gar nicht wisse, ob er Jim Jordan oder Steve Scalise seine Stimme geben werde: "Ich bin noch unentschlossen. Ich bete heute Abend dafür."

Für Michael French, den alten amerikanischen Diplomatensohn im Flugzeug, sind Typen wie Gaetz das Grundproblem in seiner Partei. "Für sie kommen nicht das Land und nicht die Menschen an erster Stelle. Es geht ihnen nur noch um sich selbst", sagt er. "Die Welt lacht über uns. Es ist eine Schande." French schimpft noch bei der Landung und klingt dabei entschuldigend. Dann steigt er mit seinem Bruder in den Zug nach Bern. Wenn er am Sonntag wieder in Washington sein wird, ist unklar, ob sein Land dann wieder normal zu regieren sein wird.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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