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Linken-Politiker über die USA: "Das hat Konsequenzen auf der ganzen Welt"


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Linken-Experte über US-Politik
"Das hat Konsequenzen auf der ganzen Welt"

  • Bastian Brauns
InterviewVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 11.06.2023Lesedauer: 7 Min.
Treue Anhängerschaft: Donald Trump hat die USA verändert.Vergrößern des Bildes
Treue Anhängerschaft: Donald Trump hat die USA verändert. (Quelle: JONATHAN DRAKE/reuters)

Stefan Liebich gilt als der USA-Experte der Linkspartei. Die dauernden Querelen in der Bundestagsfraktion aber vergraulten ihn. Jetzt will er die Amerika-Debatten wieder beeinflussen.

Sein Weggang aus dem Bundestag hat eine große Lücke hinterlassen: Viele Jahre galt Stefan Liebich in der Fraktion der Linkspartei als Stimme der Vernunft, besonders in Bezug auf ihr Amerika-Bild. Aktuell muss sich die Partei wegen Mitgliedern wie Sahra Wagenknecht oder Sevim Dağdelen immer wieder mit Vorwürfen der Verharmlosung von Putins Angriffskrieg auseinandersetzen.

Mit t-online hat Stefan Liebich nun über seine bevorstehende Aufgabe als neuem Leiter des Nordamerika-Büros der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung gesprochen. Für ihn drehen sich die transatlantischen Debatten zu viel und fast ausschließlich um Sicherheitspolitik. Im Interview warnt er in diesem Zusammenhang vor einer Verharmlosung der Republikaner und fordert eine stärkere Diskussion um die neue linke Politik von Joe Biden.

t-online: Herr Liebich, Ihr Abschied aus dem Bundestag ist fast zwei Jahre her. Jetzt widmen Sie sich einer neuen Aufgabe. Wie kam es dazu?

Stefan Liebich: Ich hatte schon vor meinem Ausscheiden aus dem Bundestag die Idee, für das New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu arbeiten. Dann gab es eine Ausschreibung zu Beginn dieses Jahres, es folgten Gespräche und ein Auswahlverfahren. Jetzt ist die Entscheidung des Vorstands gefallen: Ab 1. März 2024 geht es los. Ich werde Leiter unseres Nordamerika-Büros in Manhattan in unmittelbarer Nähe der Vereinten Nationen, mit deren Programmen wir viel zusammenarbeiten.

Als Bundestagsabgeordneter der Linken waren Sie stellvertretender Vorsitzender der deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe. Was möchten Sie jetzt bei der politischen Stiftung der Linken bewirken?

Ich habe mich im Bundestag über zwölf Jahre mit diesem Land beschäftigt und beträchtliche Veränderungen wahrgenommen. Unabhängig davon, ob man bestimmte Entwicklungen gut oder schlecht findet – die USA sind ein Land, das im Weltgeschehen sehr dominant ist. Wenn dort etwas passiert, hat das Konsequenzen auf der ganzen Welt. Mit meiner Arbeit dort möchte ich nach Deutschland stärker vermitteln, dass auf der linken Seite in den USA eine Menge Positives passiert und in den USA die linken und auch ostdeutschen Stimmen der deutschen Debatten hörbarer machen.

Wie hat sich Ihre eigene Bewertung Amerikas im Laufe Ihres Lebens verändert?

Geboren und groß geworden bin ich in der DDR, einem Land, in dem die USA als Hort des Bösen beschrieben wurden. Als die Mauer fiel, kam es gerade zum Zweiten Golfkrieg unter George Bush, später folgte sein Sohn George W. Bush mit dem Dritten Golfkrieg. Ich hatte damals ein sehr einseitiges Bild von diesem Land und manche Leute haben das heute noch. Aber als ich 2002 zum ersten Mal privat nach New York reiste und an den Kratern der Türme des World Trade Centers der Terroranschläge vom 11. September stand, hat sich etwas in mir verändert.

Inwiefern?

Das mag banal klingen. Aber als ich zum ersten Mal mit echten Amerikanern sprach und ich sie fortan nicht mehr nur holzschnittartig aus dem Fernsehen kannte, habe ich festgestellt, wie bunt und differenziert dieses Land ist. In den USA leben so viele unterschiedliche Menschen mit so vielen Positionen, Meinungen und harten Auseinandersetzungen. Schon bei der Wahl Barack Obamas 2008 und der Gründung der republikanischen Tea-Party-Bewegung zeichnete sich ab, wie sehr die Gesellschaft politisch auseinanderdriftet. Heute sehen wir, dass weite Teile der Bevölkerung in völlig unterschiedlichen, auch medialen Welten leben, die nur ganz schwer miteinander ins Gespräch kommen.

Stefan Liebich, 50, Die Linke

Als Politiker der Linkspartei gewann Stefan Liebich dreimal das Direktmandat im Berliner Bezirk Pankow. Von 2009 bis 2021 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Außenpolitik-Experte verschaffte er sich Anerkennung über viele Parteigrenzen hinweg. Zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag leitet er ab März 2024 das Nordamerika-Büro der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York.

Seit dem Einmarsch von Wladimir Putins Russland in die Ukraine sind Deutschland und Europa von diesem so gespaltenen Land abhängiger als je zuvor. Halten Sie das für eine gute oder eine schlechte Entwicklung?

Für schlecht halte ich, wenn wir unser Verhältnis zu den USA vor allem über Sicherheitsfragen, die Nato und den furchtbaren Angriffskrieg Russlands definieren. Denn es gibt gesellschaftliche Entwicklungen in diesem Land, die auch für uns entscheidend sind. Die Radikalisierung der Rechten hat eines in den Zeiten von Donald Trump vielfach überlagert: Ich bin darum erschrocken, wie wenig bei deutschen Politikern und in der transatlantischen Community wahrgenommen wird, wie viel sich auch bei den Demokraten geändert hat.

Was meinen Sie damit?

Wir tun in Deutschland immer noch so, als würde im Weißen Haus jemand sitzen, der politisch wie Bill Clinton damals tickt und deutlich älter ist. Aber Joe Biden steht im US-Kongress und sagt öffentlich, wie falsch die alte, neoliberale Wirtschaftspolitik gewesen ist. Er fordert höhere Steuern von Reichen und großen Unternehmen. So etwas hören wir in Deutschland von Olaf Scholz nicht. Die Demokraten haben die SPD links überholt, auch wegen einer veränderten Wählerschaft und der enormen Mobilisierung aus dem linken Spektrum. In den transatlantischen Zirkeln spiegeln sich solche Debatten kaum wider. Da geht es fast nur um Sicherheitspolitik. Das ist aber zu wenig.

Joe Bidens Milliarden-Investitionsprogramm trägt aber doch viel mehr "America First" in sich als die nationalistische Agenda von Donald Trump.

Der Präsident will mit allen Mitteln eine Politik für die amerikanische Mittelschicht machen. Das hat auch Auswirkungen auf die Außenpolitik. Sein Gedanke dahinter ist: Wenn wir als westliche Demokratien, als kapitalistische Staaten, nicht mehr liefern für die einfachen Leute, dann wenden sie sich von unserem System ab. Dann wählen sie jemanden wie Donald Trump. Das geschieht überall auf der Welt. Ich halte das für eine wichtige Erkenntnis und ich würde mich freuen, wenn es eine transatlantische Diskussion auch darüber geben würde. Auch wir müssen uns dazu etwas einfallen lassen.

In Ihrer Partei und ehemaligen Bundestagsfraktion sitzen Menschen, die den USA in Bezug auf die Ukraine imperialistische Politik vorwerfen. Linken-Politikerinnen wie Sevim Dağdelen oder Sahra Wagenknecht sprechen gar von Vasallentum der Europäer.

Jeder, der meine eigene Arbeit für die Linke verfolgt hat, konnte sehen, wofür ich immer gestritten habe. Damit bin ich so weit gekommen, wie ich gekommen bin. Ich bin jetzt aber kein Abgeordneter mehr. Ich finde es furchtbar, wenn "Ehemalige" im Nachhinein alles besser wissen. Deshalb kommentiere ich die Debatten in meiner Partei nicht. Es gibt eine lange Liste von Fehlern, die die USA und die Europäische Union nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gemacht haben. Nichts davon aber rechtfertigt den völkerrechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine. Joe Biden hat mit Sicherheit kein Interesse an diesem Krieg. Er würde ihn lieber heute als morgen beendet sehen. Was der Krieg aber zeigt, dass wir ohne die USA kaum eine relevante Entscheidung treffen können. Wir müssen eigenständiger werden.

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Was meinen Sie damit?

Manche Leute warnen etwa vor einem französischen Weg, mehr militärische Eigenständigkeit Europas zu fördern, um auch eigenständiger Entscheidungen treffen zu können. Man fürchtet eine Abkehr von den USA. Diese Sicht blendet aber vollkommen aus, dass auch eine andere Partei an die Macht kommen kann, die Wahlsiege offenbar nur noch anerkennt, wenn es die eigenen sind. Auch hier muss der transatlantische Diskurs in der Gegenwart ankommen. Wir leben nicht mehr 1990 oder 2000. Die USA sind heute ein anderes Land.

Politiker der CSU sind neulich zu dem möglichen nächsten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, zu Floridas Gouverneur Ron DeSantis, gereist. Finden Sie es gut, dass solche Kontakte gepflegt werden?

Natürlich sollen sich alle mit allen treffen können. Wir sind ein freies Land und die USA weitestgehend auch. Aber ich habe mich über diesen Besuch sehr geärgert.

Warum?

Wir haben in den USA nicht mehr die Situation, dass es sich mit den Republikanern und den Demokraten um zwei Parteien handelt, die sich einfach nur beide etwas weiter nach rechts oder links bewegt haben. Auch die linken Demokraten stehen eindeutig auf dem Boden der US-Verfassung. Die Republikaner haben sich immer mehr in eine rechtsradikale Trump-Sekte verwandelt und erkennen demokratische Wahlergebnisse oder die unabhängige Justiz in weiten Teilen nicht mehr an. In einem Zweiparteiensystem ist das eine Gefahr für die Demokratie an sich und damit auch für das transatlantische Verhältnis.

Denken Sie, DeSantis steht nicht auf dem Boden der Verfassung?

Wenn man glaubt, DeSantis sei die nettere Version von Donald Trump, hat man sich geschnitten. Vergangene Woche verwendete er das alte Churchill-Zitat aus dem Zweiten Weltkrieg, dass sich gegen die Nationalsozialisten und Adolf Hitler richtete. "Wir werden unsere Insel verteidigen, was immer es kosten mag. Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsstellen kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Straßen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir werden uns niemals ergeben." DeSantis aber bezog dieses Zitat nicht etwa auf Nazis, sondern auf all jene, die er als "woke" beschimpft, also eine nicht näher definierte Gruppe, die er für links hält. In seinem Mindset ist also "woke" so schlimm wie Hitlers Armeen. Das ist einfach nicht zu fassen.

Aber wie würden Sie mit so jemandem umgehen?

Ich ärgere mich nicht nur über Andreas Scheuers Besuch bei DeSantis, sondern auch über eine Art Neutralität in der deutschen Politik insgesamt, mit der man Vertretern der Republikaner gegenübertritt. Wir müssen unterscheiden zwischen einer Partei, die demokratisch ist und einer, die sich offensichtlich immer mehr von demokratischen Prinzipien verabschiedet. Wir erwarten zu Recht von unserer Regierung, dass der Bundeskanzler oder die Außenministerin die Menschenrechtslage in China ansprechen. Ich wünschte, sie würden zur Demokratiefrage bei den US-Republikanern nicht schweigen. Dann aber auch noch mit voller Absicht dort hinzufahren wie Andreas Scheuer und zu sagen, man teile die Positionen von DeSantis, das hat mich wirklich erschüttert.

In der Politik kann man sich seine Gesprächspartner ja bekanntlich nicht so einfach aussuchen. Zumal wir von den USA jetzt noch abhängiger als vor dem Ukraine-Krieg sind. Ist es da nicht legitim und sogar wichtig, bestimmte Kanäle als Investition in die Zukunft zu legen?

Ich möchte das Schlimme an diesem Argument an einem Beispiel deutlich machen. Vor der Wahl von Emmanuel Macron gab es gute Gründe, weshalb der damalige Außenminister und der Regierungssprecher sagten, man stehe auf seiner Seite und nicht auf der von Marine LePen. Denn die steht außerhalb des demokratischen Spektrums. Frankreich ist auch ein wichtiger Partner. Wir können nicht nur dann für Demokratie eintreten, wenn das kein Risiko für uns bedeutet. Wir müssen eine klare Haltung einnehmen. Ich weiß aber nicht, wann ich vonseiten der deutschen Regierung zum letzten Mal öffentlich etwas Kritisches zu den Republikanern gehört habe. Gegen Treffen spricht nichts, aber man muss die Missstände ansprechen.

Verwendete Quellen
  • Telefon-Interview mit Stefan Liebich
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