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Kriegstreiber: Wie Putin jetzt auch noch die russische Seele zerstört


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Kriegstreiber
Wie Wladimir Putin jetzt auch noch die russische Seele zerstört

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 03.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Sprachliche Entgleisung: Nachdem am Montag schwerwiegende Sanktionen gegen Russland in Kraft traten, holt Putin zum verbalen Gegenschlag aus. (Quelle: t-online)
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Die Ukraine wird in Schutt und Asche gelegt, weil Wladimir Putin es so will. Seine Märchen nimmt dabei selbst in Russland keiner ernst.

Es ist zum Weinen. Meine Tante aus Cherson hat mir ein Video geschickt, aus dem Autofenster gefilmt: Abgebrannte russische Panzer vor der Einfahrt in die Stadt, eine Kolonne der russischen Angriffstruppen hat es erwischt. Überall lagen Körperteile auf der Landstraße, berichtete sie, es roch nach verbranntem Fleisch.

Merkwürdigerweise sammeln die russischen Angriffstruppen ihre Leichen nicht ein, laut offizieller russischer Propaganda existiert dieser Krieg überhaupt nicht – und dementsprechend auch keine gefallenen Soldaten.

(Quelle: Frank May)


Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neuestes Buch "Die Wellenreiter. Geschichten aus dem neuen Deutschland".

Mein Freund Yuriy berichtete, vor seinem Haus in Charkiw stehe ein russischer Panzer auf der Siegesallee, zu Ehren des Sieges über Nazideutschland 1945 so benannt. Das letzte Mal sind hier vor rund 80 Jahren die Panzer der deutschen Faschisten gefahren, sie wurden von der russischen Armee zerschlagen und verjagt.

Nun sind es ausgerechnet russische Panzer, die Tod und Zerstörung in die Ukraine bringen und niemand ist da, der sie zu vertreiben hilft, nur die Ukrainer selbst kämpfen für ihre Heimat. Meine Mutter schaut in Berlin russisches Fernsehen, wahrscheinlich ist Russland das einzige Land, wo über den Krieg nicht berichtet wird: keine brennenden Panzer, keine abgeschossenen Flugzeuge, keine kaputte Häuser, keine Leichen. Keine Massendemonstrationen gegen den Krieg.

Was russische Omas denken, interessiert Putin nicht

Am ersten Tag des Einmarsches wurde auf allen Fernsehkanälen in Russland die kurze Ansprache des Präsidenten Putin jede Stunde aufs Neue gesendet. In einer Endlosschleife faselte er von einer kleinen "Operation" um die längst überflüssige "Entnazifizierung und Entwaffnung der Ukraine" durchzuführen. Sein Ziel sei es, dem "Imperium der Lügen", dem Westen also, eine gescheite Antwort auf seine angeblichen Intervention gegen Russland zu geben.

Natürlich weiß auch in Russland jede Alzheimer-Oma, dass der Präsident lügt, es ging zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für Russland, weder von der Ukraine noch von irgendeinem anderen Land dieser Erde aus. Aber wen interessiert in Russland, was die Omas denken?

Die Politiker des Westens, die vor Beginn des Krieges mit Putin Verhandlungen führten, wussten bestimmt auch, dass der Angriff längst beschlossen sei und sie nur noch belogen werden. Einfach, um eine gute Kulisse für den russischen Führer abzugeben. Und trotzdem haben sie gelächelt. Sie dachten wahrscheinlich, diese Spinnerei sei der Ausdruck der geheimnisvollen russischen Seele, die oft selbst nicht weiß, was sie tut. Diese russische Seele hat es heute im Ausland nicht leicht.

Eine Berliner Mutter hat letzte Woche an ihre Grundschulleitung geschrieben, ihre Tochter werde wegen ihrer russischen Herkunft gemobbt, sie werde als Putins Schlampe beschimpft – das gehe überhaupt nicht. Die Schulleitung möge bitte die Schüler aufklären.

"Hauen Sie ab, solange es noch gesittet zugeht"

Meine Bekannten wurden neulich aus dem Taxi rausgeschmissen und beschimpft. Nur weil sie sich auf Russisch unterhielten und der Fahrer ein Ukrainer war. Ich hingegen bekomme gut gemeinte Mails von den Einheimischen in Deutschland: "Sehr geehrter Russe", schrieb mir ein Ewald D., "hoffentlich haben Sie Ihre Koffer schon gepackt; Sie sind bei uns eine unerwünschte Person. Hauen Sie ab, solange es noch gesittet zugeht. Nur ein toter Russe ist ein guter Russe."

Aus Prag höre ich von Freunden, tschechische Kindergärten und Schulen wurden vom Bildungsministerium intern aufgeklärt, wie sie mit den Kindern über den Angriff Russlands auf Ukraine reden sollen. In dem Papier steht: Man soll besonders vorsichtig und aufmerksam in den Klassen sein, wo belarussische, ukrainische und russische Kinder zusammen lernen. Die Kinder dürften aufgrund ihrer Nationalität und ihrer Herkunft nicht benachteiligt werden, die Kinder würden keine Schuld für das Handeln der Regierungen tragen.

Das stimmt, die Kinder können nichts für den Blödsinn der Erwachsenen. Und die Eltern? Werden wir uns denn von dieser Schuld jemals befreien können? Ganz egal wie es mit dem russischen Präsidenten weiter geht, ob er friedlich in seinem Schloss einschläft oder von seinen Generälen oder von den Freunden, deren Milliarden in Schutt und Asche verwandelt wurden, beseitigt wird.

"Mein Bruder Putin"

Ob die für den Bruderkrieg Verantwortlichen jemals vor einem internationalen Tribunal für Kriegsverbrechen enden oder auf der Bratpfanne in der Hölle, das Kainsmal des Brudermords wird an der russischen Seele kleben bleiben. Und namhafte Autoren werden die große russische Literatur noch größer machen, Romane voller Selbstreflektion schreiben, nach dem Vorbild von Thomas Mann. "Mein Bruder Putin". Oder so ähnlich.

Ich werde das nicht tun. Ich habe vor 32 Jahren die Sowjetunion verlassen, sofort als es möglich wurde. Ich hatte keine Ausreisepapiere beantragt und keine Koffer gepackt. Meine Freunde und ich, wir fühlten uns äußerst unwohl hinter dem Eisernen Vorhang. 1990 fing Gorbatschow an mit der Freiheit herumzuspielen, der Eiserne Vorhang ging einen Spalt weit auf, ein Freund erzählte mir, man könnte gerade mit einem Ausweis und einer Einladung durch die belarussisch-polnische Grenze weiter ab in die DDR.

Erich Honecker nahm die Juden aus der Sowjetunion auf. Danke, Erich! Wir sind sofort losgefahren, wir wussten nämlich: Die Freiheit ist ein seltener Gast in unserer Heimat, sie würde nicht lange bleiben. In Ost-Berlin angekommen, war ich beeindruckt, wie gut die Einheimischen zu uns waren.

Immerhin waren wir die Träger der geheimnisvollen russischen Seele, die Enkel von Tolstoi und Dostojewski und natürlich Tschingis Aitmatow, dem berühmtesten Träger der russischen Seele in der DDR. Die Ostdeutschen hatten Russisch in der Schule gehabt und konnten sogar das Megawort "Dostoprimetschatelnosti" aussprechen, "Sehenswürdigkeiten" auf Deutsch.

Ostdeutsche mit Stockholm-Syndrom?

Sie sind mit der Transsibirischen Eisenbahn durch das größte Land der Welt von West nach Ost gefahren, wurden an jeder kleinen Station von freundlichen Babuschkas mit Pelmeni und Salzgurken versorgt, beinahe für umsonst. Und einige von ihnen hatten sogar in der Taiga Extremtourismus betrieben, zwei Wochen im Wald nur mit Russen unterwegs!

Ich versuchte stets, diese Freundlichkeit aufrechtzuerhalten, ich habe nur Gutes erzählt, auch dann, wenn die russische Politik kaum Raum dafür gab. Es seien bloß vorübergehende Schwierigkeiten, schrieb ich nach jeder Annexion, die Russland in Moldawien, Georgien, Ukraine startete. Die Politiker kommen und gehen, schrieb ich, die Russen sind freundliche, offene, kreative und trinkfeste Menschen, sie haben bloß Pech mit der politischen Führung.

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Oft, wenn ich meine Musikveranstaltung "Russendisko" in Sachsen oder in Brandenburg veranstaltete, kamen ältere Menschen wie zum Karneval in sowjetischen Uniformen verkleidet. Meiner Tochter wurde stets mal eine Mütze mit Stern, mal ein Armeegürtel angeboten. Sie, in Berlin geborene und aufgewachsene Pazifistin, ekelte sich vor dem Zeug, auch meine Armeejahre in Russland waren nicht die schönsten meines Lebens.

Okay, dachte ich, wahrscheinlich sehen wir hier die Folge des Stockholm-Syndroms. Die Besatzer sind gegangen, haben, bevor sie wegzogen, ihre Uniformen gegen Kleingeld den ehemals Besetzten dagelassen, die befreiten Besetzten ziehen nun die Uniformen der Besatzer an, um auf karnevalistische Art ihre Befreiung zu feiern. So eine komplizierte philosophische Theorie haben wir erschaffen, um die Vorliebe der Einheimischen für sowjetische Uniformen zu erklären.

Wodka als Gegenleistung

Doch die Wahrheit war viel schlichter. Die Zeit der Besatzung war für die deutschen Einheimischen die beste ihres Lebens, ihre Kindheit und Jugend. Und die hat man eben nur einmal im Leben. Sie haben als Kinder auf Militärgelände gespielt und durften von Hangardächern mit dem Schlitten runterfahren. Dafür haben sie den armen Sowjetsoldaten Wodka aus der Kaufhalle gebracht, weil diese sich von den Kasernen nicht entfernen dürften. Die Soldaten gaben immer reichlich Trinkgeld, die russische Seele war für ihre Großzügigkeit bekannt.

Ist schon schade um sie.

Vor Jahren bezeichnete jemand Putin als Anti-Midas. Der antike König von Phrygien verwandelte laut Mythos alles, was er anfasste, in Gold. Putin verwandelt hingegen alles in Scheiße. Die Zeit wird vergehen, die Schuldfrage wird ausdiskutiert und Russland findet auf Umwegen über kurz oder lang seinen Weg nach Europa wieder. Möglicherweise kehren auch die Extremtouristen in die Taiga zurück. Aber das Kainsmal wird man von der geheimnisvollen russischen Seele nicht mehr wegkratzen können.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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