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Konflikt mit Russland: Scholz droht Putin – aber womit eigentlich?


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Konflikt mit Russland
Scholz droht Putin – aber womit eigentlich?


19.01.2022Lesedauer: 8 Min.
Olaf Scholz und Wladimir Putin: Der Kanzler hat Russland im Falle eines Angriffs auf die Ukraine mit ernsthaften Konsequenzen gedroht.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz und Wladimir Putin: Der Kanzler hat Russland im Falle eines Angriffs auf die Ukraine mit ernsthaften Konsequenzen gedroht. (Quelle: ap)
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Ein Angriff auf die Ukraine hat einen "hohen Preis", warnt Olaf Scholz. Die Frage ist nur, welchen. Zwar gibt es viele Möglichkeiten für Sanktionen gegen Russland, doch die meisten dürften wirkungslos sein.

Es sind deutliche Worte, die Außenministerin Annalena Baerbock wählt, als sie am Dienstagmittag mit ihrem Kollegen Sergej Lawrow im russischen Außenministerium vor die Presse tritt. Moskaus Soldaten hätten sich in der Nähe der Ukraine "ohne nachvollziehbaren Grund" versammelt, hält Baerbock dem Mann vor, der nur wenige Schritte neben ihr steht. "Es ist schwer, das nicht als Drohung zu verstehen."

Klarer kann eine deutsche Chefdiplomatin so etwas in Moskau kaum formulieren.

Auch Olaf Scholz hat seine Tonalität im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine verändert. Die Truppenbewegungen dürfe man gar nicht übersehen, sagt Scholz schon am Montag bei seinem Antrittsbesuch in Spanien. Sie seien "massiv". Der Drohung antwortet er schon da mit einer Gegendrohung: "Jede militärische Intervention" werde einen "hohen Preis" haben.

Am Dienstag wiederholt Scholz seine Warnung, nur falls sie aus Madrid in Moskau nicht angekommen sein sollte. Diesmal an der Seite von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, also gewissermaßen dem Chef der Lebensversicherung des Westens. "Wir erwarten von Russland, dass es die Lage deeskaliert", fordert Scholz. Jede Aggression gegen die Ukraine werde "schwere Konsequenzen haben".

Nur welche Konsequenzen könnten das überhaupt sein? Wenn es um diese Frage geht, bleiben derzeit dann doch alle auffällig schmallippig. Was einerseits offensichtlich taktische Gründe hat. Aber eben vermutlich nicht nur.

Was bedeutet "Aggression"?

Die Lage ist "sehr, sehr ernst" (Scholz), darin sind sich im Westen gerade alle einig. Nur kann eben niemand sicher sagen, ob Russlands Präsident Wladimir Putin wirklich bis zum Äußersten geht und weiter in die Ukraine einmarschiert. Als eindeutig gilt hingegen: Wer die Ukraine wirklich angreifen wollte, der müsste es genau so angehen, wie Putin das gerade tut.

Was also, wenn es dazu kommt? Eine öffentliche Liste möglicher Sanktionen gibt es nicht. Der Westen und die EU wollen sich nicht so genau in die Karten schauen lassen. Es gilt außenpolitisch als unklug, seinem Gegenspieler schon vorher zu sagen, was alles passieren wird, wenn er dieses oder jenes tut. Denn Putin könnte sich dann im Zweifel recht genau ausrechnen, was ihn eine Eskalation kostet.

Es dürfte aber noch einen anderen Grund für die Schweigsamkeit geben: Denn ob sich der Westen oder auch nur die EU wirklich schon komplett einig sind, was wann passieren soll – daran gibt es begründete Zweifel.

Die "Financial Times" etwa berichtet, dass es in der EU Streit darüber gebe, welche Art von Aggression überhaupt die ersten Sanktionen in Gang setzen würde. "Einige wollen alle Arten hybrider Aktionen einbeziehen, andere sind nicht weit davon entfernt zu sagen, dass nur eine wirkliche Invasion ausreicht, um Sanktionen auszulösen", zitiert die Zeitung eine anonyme Quelle, die an den Gesprächen beteiligt ist.

Wenn noch nicht mal das klar ist – wie sollen es dann die konkreten weiteren Schritte sein?

Was es aber natürlich gibt, sind Sanktionen, die sich für den Fall der Fälle abzeichnen – und andere, die ziemlich unwahrscheinlich sind.

Nordstream 2 und die Frage nach dem Gas

Als schmerzhaft für Putin gilt es, ihm kein Gas mehr abzukaufen oder zumindest deutlich weniger. Das liegt daran, dass Europa ein großer Kunde für Russland ist und fossile Energien das wichtigste Exportprodukt des Landes sind. Was aber eben auch heißt, dass Europa und das besonders abhängige Deutschland selbst darunter leiden könnten, wenn es hier zu Sanktionen käme. Zumindest müsste man relativ schnell relativ viel Gas anderswo herbekommen.

Besonders der Stopp der neuen Pipeline Nord Stream 2 war in der Vergangenheit immer wieder als mögliche Sanktion im Gespräch. Wobei gerade aus der Kanzlerpartei SPD und vom Kanzler selbst Widerstand kam. Nord Stream 2 sei ein "privatwirtschaftliches Vorhaben", die Entscheidung darüber "ganz unpolitisch".

So hat Scholz das allerdings schon länger nicht mehr formuliert.

Ohne Nord Stream 2 explizit zu erwähnen und ohne auszubuchstabieren, was das konkret heißt, verwies er am Dienstag auf eine Vereinbarung der alten Bundesregierung mit den USA. Zu dieser Vereinbarung stehe Deutschland, sagte Scholz. Es sei klar, dass "alles zu diskutieren ist", wenn es zu einer "militärischen Intervention" komme. Alles.

Dass das nicht nur ein Aus für Nord Stream 2 bedeuten kann, sondern auch weitere Konsequenzen für den Gasimport über andere Wege aus Russland hätte, wird deutlich, wenn man sich die Vereinbarung mit den USA anschaut. Sie stammt von Ende Juli 2021 und diente damals dazu, den Streit zwischen den USA und Deutschland über die neue Pipeline zu befrieden.


Die USA hielten und halten Nord Stream 2 für eine Gefahr, weil sie Europa noch abhängiger mache von russischem Gas. Besonders Deutschland wollte sie fertigbauen. Das ermöglicht die Vereinbarung, allerdings unter der Bedingung, dass Deutschland auf weitere Aggressionen Russlands reagieren muss.

Wörtlich heißt es in der Vereinbarung in einem beeindruckenden Bandwurmsatz: "Sollte Russland versuchen, Energie als Waffe zu benutzen, oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine begehen, wird Deutschland auf nationaler Ebene handeln und in der Europäischen Union auf effektive Maßnahmen einschließlich Sanktionen drängen, um die russischen Kapazitäten für Exporte nach Europa im Energiesektor, auch in Bezug auf Gas, zu beschränken, bzw. auf effektive Maßnahmen auf anderen wirtschaftlich relevanten Gebieten."

Was aber eben auch heißt: Energie und Gas können eine Sanktion gegen Putin sein, müssen es aber nicht.

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Wirtschaftssanktionen – ein stumpfes Schwert

Weil Russland in hohem Maße von Rohstoffexporten abhängig ist, steht also vor allem der Gasbereich im Fokus. Dahinter steckt aber auch eine zentrale Wahrheit: Die Möglichkeiten des Westens, andere Wirtschaftsstrafen gegen Moskau zu verhängen, sind stark limitiert. Die Sanktionsschwerter der EU und des Westens sind vergleichsweise stumpf.

Zwar gibt es seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 schon zahlreiche Sanktionen gegen Russland – sie treffen vor allem die Rüstungsindustrie, die Ölförderung und den Handel mit Wertpapieren. Diese Strafmaßnahmen kosten Russland Milliarden und Putin wollte sie in den vergangenen Jahren oft loswerden – aber nicht um jeden Preis und schon gar nicht für die Rückgabe der Krim.

Denn der Kreml hat seit 2014 mit einer konservativen Finanz- und Wirtschaftspolitik versucht, sich auf ein Eskalationsszenario des Westens vorzubereiten und die eigene Wirtschaft unabhängiger von äußeren Einflüssen zu machen. Denn eines ist klar: Moskau will sich nicht mit Sanktionen erpressen lassen.

Auch wenn Armut in Russland noch ein großes Thema ist und die Sanktionen in Verbindung mit der Pandemie die Wirtschaft hart getroffen haben, scheint das Land für einen "Wirtschaftskrieg" so gut wie niemals zuvor gerüstet:

  • Russland leistet sich einen riesigen Nationalen Währungsfonds, der mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes umfasst und ursprünglich als Polster für sinkende Ölpreise geschaffen wurde.
  • Der Fonds investiert inzwischen weniger in Vermögenswerte, die in Dollar bezahlt werden müssen, sondern bevorzugt im Ausland andere Währungen wie den Euro.
  • Der russische Staat und die Unternehmen sind kaum verschuldet, haben also finanzielle Spielräume.
  • Das gilt auch für die Zentralbank: Sie hortet internationale Gold- und Währungsreserven im Wert von mehr als 630 Milliarden Dollar – und damit so viel wie nie.

All das gibt Putin die Möglichkeit, Sanktionen des Westens eher auszusitzen und sie innenpolitisch sogar noch als Chance zu verkaufen, die russische Wirtschaft von der Welt unabhängiger zu machen.

In der EU denkt man deshalb über drastische Maßnahmen wie einen Ausschluss aus dem Bankennetzwerk Swift nach. Das würde das Land vom internationalen Geldfluss weitgehend abschneiden, so wie im Falle des Iran und Nordkoreas. Geld aus dem Ausland nach Russland zu transferieren und umgekehrt wäre deutlich schwieriger, mit allen Folgen für die Wirtschaft.

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Die Folgen eines Swift-Ausschlusses wären aber auch für die Wirtschaft des Westens groß. Auch deshalb bezeichnete der designierte CDU-Chef Friedrich Merz die mögliche Strafmaßnahme als "Atombombe" für die Kapitalmärkte. Kritiker monieren zudem, dass Russland in Zusammenarbeit mit China ein eigenes internationales Zahlungssystem etablieren könnte. Seit 2014 hat Russland auch in diesem Bereich vorgesorgt und ein System namens SPFS ins Leben gerufen, über das aber bisher nur ein Fünftel des russischen Finanzverkehrs abgewickelt wird.

Militärische Optionen, die niemand möchte

Putin hat der Nato gezeigt, wie er durch ein bedrohliches Szenario mit 100.000 Soldaten an der ukrainischen Grenze seine Verhandlungsposition massiv verbessern konnte. Seither versucht auch die Nato, möglichst alle Optionen auf dem Tisch zu halten – auch wenn sie strategisch unrealistisch oder unvernünftig erscheinen.

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In Deutschland muss sich die neue Bundesregierung erst noch richtig finden, in Frankreich wird in diesem Jahr gewählt und US-Präsident Joe Biden ist angeschlagen. Niemand möchte deshalb tiefer als unbedingt nötig in den Ukraine-Konflikt hineingezogen werden – nicht politisch und schon gar nicht militärisch. Das wertet Putin als Schwäche und nutzt es eiskalt aus.

Für die meisten Bürger in den USA, aber auch in der EU, ist die Ukraine weit weg, Sicherheitsgarantien der Nato wird es deshalb für das Land kaum geben – ein Nato-Beitritt steht gar nicht zur Debatte. Die Ukraine wäre bei einem russischen Angriff wohl weitgehend auf sich alleine gestellt.

Nur: Wenn Russland Wirtschaftssanktionen verkraften könnte und es keine militärischen Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben soll, sind die Möglichkeiten Deutschlands und seiner Verbündeten begrenzt, den Preis einer Invasion für Russland möglichst teuer zu machen.

Wenn politische Hebel kurz sind und niemand eigene Soldaten in einen Krieg schicken möchte, sind mögliche Waffenexporte in die Ukraine der logische nächste Schritt in der Debatte. Die Bundesregierung, die keine Waffen in Kriegsgebiete verkaufen möchte, hat am Mittwoch noch einmal die Lieferung letaler, also tödlicher Waffen ausgeschlossen.

Allerdings ist diese Position in den Ampelfraktionen mittlerweile umstritten. "Angesichts der aktuellen Lage und Betroffenheit unseres Kontinents sollten wir das im konkreten Fall überdenken", sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) im Interview mit t-online. "Die Lieferung von Defensivwaffen könnte eine Möglichkeit zur Unterstützung der Ukraine sein. Die gilt es dann aber zu definieren."

Beim Thema Waffenexporte in die Ukraine gibt es vor allem drei zentrale Fragen, die politisch eine Rolle spielen:

  1. Kann die Ukraine so hochgerüstet werden, dass Russland vor einem Angriff zurückschrecken würde?
  2. Verschärft eine größere Waffendichte in der Ukraine die mögliche Kriegsgefahr, weil sich Moskau dadurch bedroht fühlt?
  3. Landen die Nato-Waffen am Ende in russischen Händen, wenn sich Putin für einen Angriff entscheidet?

Die wahrscheinlichen Antworten zeigen die Risiken auf, die eher gegen den Export von Waffen sprechen. Doch gleichzeitig fordern immer mehr Stimmen in Europa vor allem von Deutschland eine klarere Haltung gegenüber Putin. "Einige deutsche Politiker, die seit 1945 gelernt haben, dem Frieden Vorrang vor allem anderen einzuräumen, scheinen eine erneute Invasion Russlands für unvorstellbar zu halten. Aber wir müssen uns gemeinsam auf diese Möglichkeit vorbereiten", meint ein europäischer Diplomat im Gespräch mit t-online. "Die deutsche Geschichte kann keine Entschuldigung dafür sein, die Zukunft der Ukraine zu opfern."

Der Ukraine-Konflikt ist eine Bewährungsprobe für Scholz und Baerbock vor einem internationalen Publikum. Der internationale Druck zielt vor allem auf den Kanzler – er soll Putins Drohgebärden nicht tatenlos hinnehmen und die SPD sich weiter von Russland entfernen.

Am Ende sind die Möglichkeiten der Einflussnahme von Scholz allerdings begrenzt und die russischen Forderungen utopisch. Deshalb geht es für Deutschland nun eher darum, nicht auf Druck symbolpolitische Optionen zu ziehen, die am Ende vermeintlich wirklich die Zukunft der Ukraine "opfern" könnten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche
  • Vereinbarung zwischen Deutschland und den USA zu Nordstream 2
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