"In Tragödie gelockt" EU wirft Lukaschenko Täuschung von Migranten vor
Die EU verschärft den Ton: Innenkommissarin Johannson sieht beim belarussischen Machthaber eine "hochgradige Verantwortung" für die Belarus-Krise. Polen will für Rückführungen von Migranten aufkommen.
In dem seit Wochen andauernden Flüchtlingskonflikt zwischen Polen und Belarus hat die Europäische Kommission dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko die Täuschung von Migranten vorgeworfen. "In der Krise hat Lukaschenko sich wie ein Reiseveranstalter ohne Lizenz benommen, der teure Reisepakete in die EU verkaufte, die dann aber bei der Ankunft in sich zusammenfielen", sagte die für Migrationsfragen zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der "Welt am Sonntag". Familien und Kinder seien "in eine Tragödie gelockt" worden.
Lukaschenko und seine Regierung tragen laut Johansson eine "hochgradige Verantwortung für die produzierte Krise". Die Lage vor Ort habe sich zuletzt entspannt, weil die EU und ihre Partner kooperiert hätten. "Die Fähigkeit der EU zusammenzuarbeiten, über Ministerien und Dienste, aber auch über Länder und Regionen hinweg, hat dazu geführt, dass keine Menschen mehr am Minsker Flughafen ankommen", sagte Johansson.
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Polen: "Größter Versuch" zur Destabilisierung seit dem Kalten Krieg
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bezeichnete den Konflikt mit Belarus am Sonntag als den "größten Versuch" zur Destabilisierung Europas seit dem Kalten Krieg. Lukaschenko habe "einen hybriden Krieg gegen die EU begonnen", schrieb Morawiecki bei Twitter.
Unter einem "hybriden" Angriff wird unter anderem ein Angriff mit Verschleierungstaktik verstanden – die Angreifer agieren anonym oder bestreiten ihre Verantwortung. Die EU wirft Lukaschenko vor, gezielt tausende Migranten aus dem Nahen Osten an die Grenzen zu Polen, Litauen und Lettland zu schleusen, um Vergeltung für bisherige Sanktionen zu üben. Minsk weist die Vorwürfe zurück.
Morawiecki will Rückführungen in Herkunftsländer zahlen
Polens Ministerpräsident kündigte an, dass das Land bereit sei, für die Rückführung der Flüchtlinge aufzukommen. "Wir sind jeden Moment in der Lage, die Rückkehr der Migranten in ihrer Herkunftsländern zu finanzieren, wir haben auch eine Menge diplomatischer Aktivitäten im Irak und in anderen Ländern des Nahen Ostens entwickelt", sagte Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki am Sonntag nach seinem Treffen mit Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallis.
Morawiecki sagte weiter, Polen erwäge zudem, weitere Grenzübergänge zu Belarus zu schließen, um damit den ökonomischen Druck auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zu erhöhen. Polens Regierungschef bereist am Sonntag alle drei baltischen Staaten, um sich mit den dortigen Regierungschefs über die Lage auszutauschen.
Erneut versuchen Migranten, Grenze zu übertreten
An der Grenze zwischen Polen und Belarus hat nach Angaben des polnischen Grenzschutz eine Gruppe von rund 100 Migranten erneut vergeblich versucht, von Belarus aus die Befestigung zu überwinden. Der Vorfall habe sich am Samstag kurz vor Mitternacht in der Nähe des Ortes Czeremsza ereignet, teilte eine Sprecherin mit.
Belarussische Sicherheitskräfte hätten die Gruppe mit einem Lastwagen an die Grenze gefahren und einen Holzsteg auf den Stacheldrahtverhau geworfen. Polens Uniformierte seien mit Steinen und Ästen beworfen und mit Laserstrahlen geblendet worden. Insgesamt registriere der Grenzschutz 208 Versuche einer illegalen Grenzüberquerung. Da Polen keine Journalisten in das Gebiet lässt, lassen sich die Angaben nicht überprüfen.
Belarus baut Notunterkunft an der Grenze aus
In Belarus bauten die Behörden die Versorgung der Migranten in einer Notunterkunft in Brusgi an der Grenze zu Polen aus. Die Staatsagentur Belta veröffentlichte am Morgen Bilder von Soldaten, die an der als Schlafstätte umfunktionierten Logistikhalle ein Zelt aufstellten. Die Verteilung von Nahrungsmitteln solle so schneller möglich sein, hieß es. In dem Gebäude übernachteten nach Schätzungen etwa 2.000 Menschen, die eine Rückreise in ihre Heimat ablehnen und stattdessen nach Deutschland oder in andere EU-Staaten wollen.
Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben. Die Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan sind über Touristenvisa in Belarus eingereist.
- Nachrichtenagentur dpa