EU-Kommissarin an Belarus-Grenze "Extrem gefährliche Situation"
An der Grenze zwischen Belarus und Polen ist es zu Ausschreitungen mit Verletzten gekommen. Die EU-Menschenrechtskommissarin fordert nach einem Besuch Zugang für Helfer und Medienschaffende.
Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, sprach nach einem Besuch von Gebieten auf der polnischen Seite der Grenze von einer "extrem gefährlichen Situation". Es müsse ein Weg zur Deeskalation gefunden werden, damit der Fokus auf einem Ende des Leidens liegen könne.
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Sie forderte einen uneingeschränkten Zugang für Hilfsorganisationen und Medienschaffende zum Grenzgebiet. Auf der Grundlage eines Ausnahmezustands verbietet Warschau derzeit Helfern und Journalisten den Zugang zum Grenzgebiet.
Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen polnischen Sicherheitskräften und Flüchtlingen an der belarussischen Grenze hatte es am Dienstag mehrere Verletzte gegeben. Polnische Sicherheitskräfte setzten nach eigenen Angaben Tränengas und Wasserwerfer gegen Flüchtlinge ein, nachdem sie aus deren Reihen mit Steinen beworfen worden waren. Am Abend hatte sich die Lage wieder beruhigt, berichteten polnische Sicherheitskreise.
Sieben Polizisten, ein Grenzschützer und ein Soldat wurden demnach verletzt. Nach belarussischen Angaben mussten auch mehrere Flüchtlinge medizinisch behandelt werden.
"Angriff durch Migranten"
Das polnische Verteidigungsministerium erklärte, es habe "einen Angriff durch Migranten" gegeben, auf den die Sicherheitskräfte reagiert hätten. Die Lage eskalierte demnach, als Flüchtlinge versuchten, in der Nähe des Übergangs Bruzgi-Kuznica den Grenzzaun zu zerstören.
Nach Angaben des belarussischen Gesundheitsministeriums wurden in den vergangenen Tagen etwa 20 der derzeit an der polnischen Grenze campierenden Migranten medizinisch behandelt. Fünf von ihnen wurden demnach am Dienstag wegen Problemen an den Augen oder Atembeschwerden versorgt.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow verurteilte das Vorgehen der polnischen Sicherheitskräfte als "absolut inakzeptabel". Nach seinen Angaben feuerten diese auch "Schüsse über die Köpfe von Migranten hinweg in Richtung Belarus" ab.
Belarus macht Warschau Vorwürfe
Die Regierung in Minsk warf Warschau vor, für die Gewalteskalation verantwortlich zu sein. Von der polnischen Seite seien "direkte Provokationen und unmenschliche Behandlung" der "benachteiligten" Menschen an der Grenze ausgegangen, erklärte Außenamtssprecher Anatoli Glas.
Die EU wirft hingegen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, absichtlich Flüchtlinge ins Grenzgebiet zur EU zu schleusen, um sich für frühere Sanktionsbeschlüsse der Europäischen Union zu rächen. Minsk weist diese Anschuldigung zurück.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am Montag in einem Telefonat mit Lukaschenko für eine Deeskalation eingesetzt. Das Gespräch drehte sich nach Angaben der Bundesregierung um "die schwierige Situation an der Grenze" zur EU. Es sei vor allem um "die Notwendigkeit humanitärer Hilfe" gegangen.
Kritik an Merkels Telefonat mit Lukaschenko
Merkel war die erste westliche Regierungschefin, die seit der umstrittenen Wiederwahl Lukaschenkos 2020 mit diesem telefonierte. Die Grünen kritisierten das Telefonat als "verheerendes Signal". Ihr Außenpolitiker Omid Nouripour wies im Deutschlandfunk darauf hin, dass die EU Lukaschenkos Wiederwahl nicht anerkenne. Mit ihrem Telefonat habe Merkel de facto jedoch genau diese Anerkennung vollzogen.
Lukaschenko versicherte am Dienstag, er wolle eine "hitzige Konfrontation" an der Grenze vermeiden. Mit Merkel sei er darin einig gewesen, dass eine Eskalation niemandem nütze – "weder der EU noch Belarus", sagte Lukaschenko laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta. Nach Angaben des Kreml telefonierte er am Dienstag auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin zur Lage an der EU-Grenze.
Dem polnischen Grenzschutz zufolge campieren derzeit rund 4.000 Flüchtlinge bei eisigen Temperaturen auf der belarussischen Seite der Grenze. Am Dienstag kündigte Minsk die Errichtung eines "logistischen Zentrums" in der Region Grodno an, in dem Migranten übernachten könnten.
Die EU bereitet derzeit neue Sanktionen gegen Belarus vor. Die Weichen dafür hatten am Montag die EU-Außenminister gestellt. Auch das US-Außenministerium kündigte neue Strafmaßnahmen gegen Minsk an. Zugleich übte die EU zuletzt Druck auf Herkunfts- und Transitländer der Flüchtlinge aus, um Flüge nach Minsk zu unterbinden. Teilweise zeigte dies bereits Erfolg.
Turkish Airlines sperrte alle Flüge nach Minsk für Menschen aus Syrien, dem Irak und Jemen, die syrische Fluggesellschaft Cham Wings stellte ihre Verbindung in die belarussische Hauptstadt ein. Die irakische Botschaft in Moskau kündigte am Dienstag an, mit der freiwilligen Rückführung von Irakern aus Belarus zu beginnen. Am Donnerstag sollen demnach 200 Menschen in den Irak zurückgeflogen werden.
- Nachrichtenagentur AFP