Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kolumne "Russendisko" So stiehlt uns Putin die gute Laune zu Weihnachten
Russlands Armee wütet weiter in der Ukraine, Putins Lakaien drohen dem Westen mit Atomschlägen. Wann ist endlich Schluss damit, fragen sich die Deutschen? Noch lange nicht, fürchtet Wladimir Kaminer.
Unser Misstrauen anderen Menschen gegenüber hat bekanntlich zwei Gründe. Der eine Grund ist: Wir kennen die anderen nicht. Der zweite Grund ist: Wir kennen sie nur allzu gut. Ich hatte große Zweifel, dass der Heizungsinstallateur, laut eigener Bezeichnung ein "Spezialist für Wartung, Lüftung, Klimatechnik", tatsächlich wie versprochen am Montag um 8 Uhr kommen würde, so kurz vor Weihnachten, aber für alle Fälle stellte ich den Wecker auf zehn vor acht. Wenn er nicht kommt, dann frühstücke ich in Ruhe und rufe ihn an, so dachte ich.
Meine Heizung war alt und machte komische Geräusche, ich wollte mich nicht blamieren, wenn Robert Habeck mal in meine Küche kommt. Bewundernswerterweise erschien der Spezialist, noch bevor mein Wecker klingelte. "Und der Merz wird es auch nicht schaffen", sagte der Heizungsmensch statt einer Begrüßung, so als hätten wir uns nicht vor drei Jahren, sondern erst gestern Abend in der Kneipe das letzte Mal getroffen. "Danke fürs Kommen", antwortete ich. Er fuhr seine Politinformation weiter fort: Die AfD wäre vielleicht die Lösung, aber auch Schnee von gestern, ihr Programm sei doch das der CDU von 1990.
Zur Person
Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein neuestes Buch "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen" erschien am 28. August 2024.
Die AfD war ihm also auch zu lasch. "Wir bräuchten einen wie Putin, einen echten Mann mit harter Hand, oder?" Damit wollte er mir, einem Russen, wahrscheinlich ein Kompliment machen. Aus meiner Erfahrung mit Angehörigen der Berufsgruppe "Dienstleister" weiß ich, dass Taxifahrer und Handwerker oft radikale politische Ansichten haben, während Friseure und Bäcker eher liberal eingestellt sind. Wäre Putin bloß Taxifahrer geworden, hätten wir einige Probleme weniger, dachte ich und versuchte diplomatisch das Gespräch in Richtung Heizung zu lenken.
Doch der Herr war nicht bereit, die politische Diskussion abzubrechen. "Was meinst du", fragte er mich, "ist das sein Ernst, das mit der Bombe?" Ich brauchte erst eine Zigarette, um zu verstehen, was der Mann meinte. Die Atomdrohungen in Richtung Westen sind im russischen Fernsehprogramm längst zu einer schlechten Gewohnheit geworden. Es sind immer die gleichen drei Talkshow-Gäste, die üblichen Verdächtigen, die sich darauf spezialisieren, mit der Bombe zu drohen: ein dicker General, der es immer wieder schafft, seine schwere Alkoholfahne vom Bildschirm aus sogar dem Zuschauer zu vermitteln, ein glatzköpfiger nervöser Wissenschaftler von der Wirtschaftshochschule und der Politologe Markow, der Mister Bean im Auftrag des russischen Außenministeriums.
"Zu Weihnachten in den Keller?"
In der deutschen Presse werden sie ab und zu zitiert und dabei als "Putin-Sprecher" bezeichnet, was für diese Leute einen ungebührlichen Karrieresprung bedeuten würde, wenn es wahr wäre. Gerade eben hat "Focus Online" diesen Markow unter dem Titel "Atomkrieg zu Weihnachten möglich, Putin-Sprecher droht Biden nach seiner Raketenentscheidung" zitiert. Solche Drohungen wirken sehr nervtötend und stehlen den Europäern die gute Laune. Sollen sie das etwa? Wir wollen doch nur friedlich unter dem Weihnachtsbaum sitzen und Glühwein trinken. "Was denkst du, ist da was Wahres dran?", der Heizungsspezialist ließ nicht locker. "Ist das Propaganda oder sollen wir jetzt alle Angst bekommen und zu Weihnachten in den Keller kriechen?"
Die Bundesregierung und die EU reagieren darauf mit unverständlichem Blubbern. Irgendeine verständliche Antwort auf diese Drohungen wäre nicht schlecht, doch unsere zermatschte Regierung möchte sich nicht mit dieser Problematik befassen, es ist viel leichter, über die Legalisierung von Cannabis zu streiten, als sich mit den Russen anzulegen. Bei seinem letzten großen Auftritt in der kasachischen Hauptstadt Astana wirkte Putin ungewöhnlich aufgeregt und fröhlich. Eine Stunde lang erzählte er davon, wie gut seine Raketen sind. Im Westen herrschte lange Zeit die Meinung, er bluffe, ja, aber sicher doch.
Doch dieses Pokerspiel ist eine Einbahnstraße, ein Spieler kann nicht endlos erhöhen, irgendwann werden seine Gegner die Karten sehen wollen: Was dann? Er kann sich nicht mit einem charmanten Lächeln entschuldigen und den Tisch verlassen, er muss zeigen, womit er die ganze Zeit gedroht hat, ob er es will oder nicht, so sind die Spielregeln. Das habe ich meinem Heizungsspezialisten nicht erzählt, und ich möchte auch niemandem hier die Laune verderben. In der letzten Kolumne des Jahres, kurz vor Weihnachten, möchte ich am liebsten unsere Lage wie eine Weihnachtsgeschichte präsentieren: mit einem Happy End und Glückwünschen für das Neue Jahr.
Alles wird gut, die Vernunft wird siegen, die Kriege werden aufhören, und Russland wird zurück auf den europäischen Entwicklungsweg finden. Es wäre schön, aber es wäre gelogen. Die Autokraten, trotz aller gegenwärtigen Hoffnungen durch Syrien, sind weiter auf dem Vormarsch, den Krieg in der Ukraine hat Europa verloren und sucht nun händeringend nach einem einigermaßen annehmbaren Kapitulationsvertrag.
Naiv, oder schon idiotisch?
Die Hoffnung, dass man eine über tausend Kilometer lange Frontlinie einfach einfrieren könnte, ist mehr als naiv, sie ist idiotisch. Das in seiner Würde verletzte ukrainische Volk wird sich nicht einfrieren lassen. Und Russland wird auch nicht zur Ruhe kommen, zumal die Führung von Anfang an unmissverständlich deutlich gemacht hat, dass es ihr nicht darum geht, ein paar zerschossene ukrainische Dörfer zu erobern. Nein, es geht um die Zerschlagung der westlichen liberalen Allianz.
Auf seinem Kreuzzug gegen den Westen ist die Allianz der Autokraten weit vorangekommen. Unsere wunderschöne klimafreundliche europäische "Kuh" schafft es, jeden Konflikt und jede Verhandlung zu verlieren, ohne überhaupt dabei gewesen zu sein, sie will all diese Kriege sausen lassen, sie hätten ja mit uns nichts zu tun. Aber das stimmt nicht. Der neu aufgeflammte Krieg in Syrien wird eine neue Migrationswelle zu uns auslösen, der in der Ukraine sowieso.
Und die Allianz der Schurken bekommt mit dem neugewählten amerikanischen Präsidenten eine große Verstärkung, die liberal-demokratische Agenda von Menschenrechten, Eindämmung des Klimawandels, Gendersensibilität und sozialer Gerechtigkeit als Konzept einer besseren Zukunft können wir wohl einpacken. Was stattdessen bleibt, heißt "Lebensqualität". Über diese Lebensqualität wird gleich viel und gern in der chinesischen Diktatur, in den feudalen Emiraten, im streng kapitalistischen Amerika und im diktatorischen Russland gesprochen.
Das Motto der Stunde heißt: "Konsumieren und Klappe halten." Die Menschen, in einem großen Hühnerstall eingesperrt und von Autokraten regiert, müssen froh sein, dass sie regelmäßig gefüttert werden und sollen dafür keine Fragen stellen. Die Kriege bekommen eine neue Legitimität als Instrument des politischen Handelns, denn die Autokraten lieben die Einfachheit. Der Krieg geht so einfach, jeder Idiot kann ihn entfachen. Der Frieden dagegen ist ein mühsames Ergebnis kollektiver Anstrengungen, die lange dauern und viel kosten. Darauf müssen wir uns einstellen.
- Focus Online: "Putin-Sprecher droht Biden nach seiner Raketenentscheidung"