Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neuer Raketentest "Das Atomprogramm von Nordkorea schreitet munter voran"
Für den Rüstungsexperten Frank Sauer ist der jüngste Raketenabschuss von Nordkorea keine Überraschung. Das Land folge damit einem bekannten Muster. Das Regime müsse man dennoch ernst nehmen.
Ein Marschflugkörper, dann eine Mittelstreckenrakete und nun eine "Hyperschallrakete": Nordkorea zeigt in den vergangenen Wochen der Weltöffentlichkeit in einer Reihe von Tests sein Waffenarsenal. "Um das Tausendfache" wolle man die Verteidigungsfähigkeit des Landes künftig steigern, heißt es nach dem jüngsten Test in einer Mitteilung des Regimes.
Doch wie ernst muss man die Drohungen aus dem abgeschotteten Land, das von Diktator Kim Jong-un beherrscht wird, gerade nehmen? Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München warnt jedenfalls davor, die Pläne des Landes zu unterschätzen. Im Gespräch mit t-online erklärt der Rüstungsexperte, wie gefährlich die kürzlich getestete Rakete sein kann, wie weit das nordkoreanische Atomprogramm vorangeschritten ist und warum die aktuellen Provokationen einem bekannten Muster folgen.
t-online: Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un hatte bereits vor zwei Jahren angekündigt, das Land entwickele eine "neue strategische Waffe". Nun heißt es, man habe eine sogenannte Hyperschallrakete getestet. Würde das Land mit einer solchen Waffe gefährlicher werden?
Frank Sauer: Im Moment haben wir noch zu wenige Informationen: Bisher gibt es nur ein Foto von dem Test. Wir können noch nicht genau einschätzen, um was es sich da genau in der vergangenen Nacht gehandelt hat. Sicher ist erst mal, dass es ein Test einer Kurz- bis Mittelstreckenrakete war. Davon hat Nordkorea inzwischen mehrere Typen entwickelt. Unsicherheit besteht aber, was deren Nutzlast betrifft. Hier spricht das Regime von einem "Hyperschallflugkörper": Hyperschall bedeutet fünffache Schallgeschwindigkeit oder mehr. Das ist interessant, wäre aber zumindest mit Blick auf die Geschwindigkeit erst mal grundsätzlich nichts Neues. Jede ballistische Rakete dieser Art bringt ihre Nutzlast – zum Beispiel Atomsprengköpfe – am Ende mit Hyperschallgeschwindigkeit ins Ziel. Insofern wäre dieser Flugkörper zumindest nicht schneller als anderes, was wir in der Vergangenheit schon in Nordkorea gesehen haben.
Also alles nichts Neues?
Womöglich doch. Es könnte sein, dass es sich bei der noch nicht näher identifizierten Nutzlast um einen manövrierfähigen Sprengkopf oder gar ein sogenanntes Hyperschall-Gleitvehikel handelt: Diese sehen wir aktuell insbesondere auch in Russland, den USA und China. Sie können nach Wiedereintritt in die Atmosphäre in einem relativ flachen Winkel durch die Luft gleiten. Dadurch lassen sich Raketenabwehrsysteme leichter umgehen.
Diese funktionieren im großen Stil zwar auch gegen die altbekannten ballistischen Raketen nur mit Einschränkungen. Insofern würde sich an der Machtsituation in der Region erst mal nicht dramatisch viel verändern. Aber das Ganze sendet schon mal ein klares politisches Signal: Nordkorea nimmt wahr, dass die USA und Südkorea immer stärker in Raketenabwehr investieren – und es hält mit diesem Test dagegen.
Welche Ziele könnte Nordkorea denn mit einer solchen Rakete treffen?
Kurzstreckenraketen haben eine Reichweite von bis zu 1.000 Kilometern, Mittelstreckenraketen in der Regel maximal 3.000 Kilometer. Neben Südkorea könnte man mit letzteren auch amerikanische Flugzeugträger oder sogar den US-Militärstützpunkt in Guam treffen. Es ist aber wie gesagt noch unklar, was für das gestern getestete System zutrifft.
Aber die Westküste der USA wäre außer Reichweite.
Leider nein, das amerikanische Festland liegt schon eine ganze Weile in der Reichweite von Nordkorea. Das Land verfügt ja mittlerweile auch über Interkontinentalraketen, die womöglich sogar bis zur Ostküste reichen, also die ganzen USA abdecken könnten. Unklar ist aber, in welchem Umfang sie auch Atomsprengköpfe tragen können.
Die UN haben dem Land verboten, Raketen mit solchen Trägersystemen zu entwickeln. An einsatzfähigen Atomsprengköpfen wird es aber wohl nicht mangeln.
Das Atomprogramm von Nordkorea schreitet munter voran. Das lässt sich ziemlich eindeutig ableiten durch die Tests, die in den vergangenen 20 Jahren in dem Land durchgeführt wurden. Es gibt auch Fotos, die Kim Jong-un zeigen, wie er vor einer zweiteiligen Apparatur steht, die von außen einer Erdnuss gleicht. In Fachkreisen spricht man auch von der "Erdnuss des Todes", denn es handelt sich vermutlich um eine Wasserstoffbombe. Die Amerikaner oder Russen können auf eine Rakete bis zu zwölf ihrer nuklearen Sprengköpfe montieren. Bei den Nordkoreanern ist noch nicht ganz sicher, ob sie auch nur eine Bombe anbringen können. Es ist umstritten, wie weit sie bei der Miniaturisierung der Sprengköpfe gekommen sind.
Es gibt Stimmen, die die Gefahr deutlich geringer einschätzen. 2017 etwa explodierte bei einem Test eine Rakete bereits kurz vor dem Start. Auch wird daran gezweifelt, ob im Ernstfall viele der Waffen wirklich funktionieren. Geht es dem Land nicht häufiger um die Bilder als um die Tatsache, eine reale Bedrohung zu sein?
Natürlich erfüllen diese Bilder ihren Zweck. Damit meine ich nicht nur die Waffentests, sondern auch die jährlichen Militärparaden. Man will den USA zeigen: Wir sind wehrhaft. Gleichzeitig ist es genauso wichtig, auch dem eigenen Volk immer wieder zu verdeutlichen, dass man sich als mit den USA im Krieg befindlich betrachtet. Trotzdem: Wir haben häufig die Tendenz, Nordkorea eher zu belächeln.
Aber die Entwicklungen der letzten Jahre legen einen anderen Schluss nahe: Das nordkoreanische Rüstungsprogramm befindet sich in einer Phase, die China vor 30 oder 40 Jahren durchgemacht hat. Trotz großer Armut und katastrophalen politischen Bedingungen schreiten die militärischen Entwicklungen stetig voran. Das sind keine Pappmaschee-Raketen. Niemand sollte den Fehler machen, Nordkorea zu unterschätzen – trotz der vielen harten Sanktionen.
Dennoch gibt es vermutlich kein Land, das so stark von der Außenwelt isoliert ist. Ohne Partner ist es doch kaum möglich, in der Waffenentwicklung Fortschritte zu machen.
Die ersten Waffen wurden noch nach dem alten russischen SCUD-Design entwickelt. So fingen auch andere Länder an, etwa der Irak und Pakistan. Insbesondere bei Raketen gibt es inzwischen außerdem eine nordkoreanische Kooperation mit dem Iran. Die neuesten Waffensysteme hat Nordkorea allerdings weitgehend eigenständig produziert. Dazu muss man auch wissen, dass das Land inzwischen hochgradig darauf spezialisiert ist, Schlupflöcher in den Sanktionen zu finden.
Nach dem Test hat Nordkorea angekündigt, man wolle die Verteidigungskraft um das "Tausendfache" steigern. Südkorea nahm gerade erst ein U-Boot in Betrieb, das ballistische Raketen tragen kann. Erleben wir ein neues Wettrüsten in der Region?
Absolut, denn es handelt sich auch nicht um den einzigen Waffentest: Beide Länder haben in den vergangenen Wochen mehrmals Marschflugkörper und Raketen abgefeuert.
Trotzdem haben beide Länder zuletzt ihre Bereitschaft zu Gesprächen signalisiert: Kim Jong-uns Schwester hält ein Gipfeltreffen beider Länder für möglich, auch in Südkorea scheint man grundsätzlich dazu bereit. Sind die Tests vielleicht nur dazu da, um die eigene Stärke zu demonstrieren, ehe man sich am Verhandlungstisch trifft?
Es würde in jedem Fall dem Muster der Vergangenheit entsprechen. Das war schon unter Kim Jong-uns Vater so: Zuerst kommt es zu Provokationen, danach ringt man sich Kompromisse ab, bis diese irgendwann gebrochen werden. Es ist noch nicht lange her, da stand Kim Jong-un mit Donald Trump an der innerkoreanischen Grenze. Gerade befinden wir uns wieder in einer eher frostigen Phase. Ich glaube nicht, dass es in absehbarer Zeit zu einem tiefgreifenden Wandel kommt, wenn sich diese Abläufe wiederholen.
- Interview mit Frank Sauer am 29.9.2021