Verzweiflung in Kabul So ergeht es den zurückgelassenen Ortskräften in Afghanistan
Vor drei Wochen endeten die Evakuierungsflüge aus Afghanistan. Viele Helfer der Bundeswehr blieben zurück und fürchten nun die Rache der Taliban. Zwei Betroffene berichten von ihrer gefährlichen Lage.
Nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban brach am Flughafen der Stadt das Chaos aus. Viele Afghanen wollten aus Angst vor der Gewalt der Taliban das Land verlassen. Auch viele Ortskräfte, die zuvor mit der Bundeswehr zusammengearbeitet hatten und Rache fürchteten, sollten nach Deutschland ausgeflogen werden. Im Chaos am Flughafen blieben jedoch viele zurück. Immer noch sollen sie gerettet werden, doch niemand weiß wie.
Einer von ihnen ist Tawfiq Bashardost. Der frühere Bundeswehr-Übersetzer aus dem nordafghanischen Masar-i-Scharif wähnte sich schon fast in Sicherheit. Während der Evakuierungen im vergangenen Monat habe ihn die Bundeswehr angerufen und zu einem Treffpunkt in Kabul bestellt, sagt der 34-Jährige. Von dort aus hätte ein Fahrzeug ihn und seine Ehefrau zum Flughafen bringen sollen. Dort sprengte sich am selben Tag ein Selbstmordattentäter in die Luft. Die Evakuierung wurde abgesagt, die letzten Bundeswehr-Flieger hoben ohne Bashardost ab – der mit wachsender Verzweiflung in Kabul festsitzt.
Tausende warten auf ihre Evakuierung
Die Evakuierungsmission der Bundeswehr endete am 26. August, die der US-Streitkräfte wenige Tage später. Als die letzten US-Soldaten den Kabuler Flughafen verließen, war nach fast 20 Jahren auch der internationale Militäreinsatz in Afghanistan Geschichte.
Die große Mehrheit der Ortskräfte, die für deutsche Behörden dort gearbeitet haben, wurde nicht ausgeflogen. Wenn man die Angehörigen mitzählt, warten immer noch Tausende Afghanen darauf, nach Deutschland kommen zu können. Bis auf wenige Charterflüge wird der Flughafen Kabul aber weiterhin nicht angeflogen. Der Landweg in die Nachbarländer ist nicht nur potenziell gefährlich, sondern meist auch viel zu teuer.
"Sie kennen mein Gesicht"
Bashardost sagt, er habe fast zehn Jahre lang in Nordafghanistan für die Internationale Schutztruppe Isaf gearbeitet, die in der Region unter deutschem Kommando stand. In alten Empfehlungsschreiben der Isaf wird der Übersetzer als "klug, dynamisch, loyal und wirklich vielseitig" beschrieben. Bashardost sagt, Ende 2015 habe er wegen der immer schlechteren Sicherheitslage in Nordafghanistan gekündigt. Seine Familie sei damals schon von den Taliban bedroht worden, er sei in die Hauptstadt Kabul gezogen. Seit die Islamisten dort wieder an die Macht zurückkehrt sind, lebe er in Angst.
Die Übergangsregierung der Taliban hat eine Amnestie für ihre Gegner aus Kriegszeiten verkündet. Amnesty International wirft den Taliban aber gezielte Menschenrechtsverletzungen vor, darunter die Tötung von Zivilisten und sich ergebenden Soldaten. "Natürlich glaubt niemand den Versprechen der Taliban", sagt Bashardost. Er habe in seinem früheren Job für die ausländischen Truppen bei Verhören von gefangenen Taliban-Kämpfern übersetzt. "Sie kennen mein Gesicht."
Bashardost hat eine Notfallnummer von der Bundeswehr bekommen. Er hat außerdem eine E-Mail vom 6. September, in der die Bundeswehr versichert, dass Zusagen für eine Aufnahme in Deutschland ihre Gültigkeit behielten. "Das Bundesministerium der Verteidigung sucht nach Möglichkeiten, berechtigten Ortskräften der Bundeswehr die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen", heißt es in dem Schreiben. Eine Evakuierungsliste sei an die deutsche Botschaft in Taschkent im Nachbarland Usbekistan übergeben worden. Sollte Bashardost dort abgewiesen werden, solle er die Bundeswehr kontaktieren.
Kein Weg raus
Bashardost hat allerdings keine Ahnung, wie er und seine Ehefrau aus Afghanistan herauskommen sollten. Ein Visum für Usbekistan sei nur über Mittelsmänner erhältlich, die dafür 700 Dollar (knapp 600 Euro) verlangten, sagt er. Auch eine Reise nach Pakistan sei in der derzeitigen Lage mit extrem hohen Kosten verbunden. "Das kann ich mir nicht leisten", sagt der frühere Übersetzer, der derzeit in einem billigen Gästehaus in Kabul untergetaucht ist. Das Geld werde knapp, gerade erst habe er seinen Bruder anpumpen müssen.
Bashardost hegt keinen Groll gegen die Deutschen, die sich immerhin um die Evakuierungen bemühten. "Wir verstehen die Sicherheitsprobleme", sagt er. "Aber sie sollten zumindest wissen, dass unsere Leben in Gefahr sind."
Bundeswehr fühlt sich nicht zuständig
Wie Bashardost hängt auch Lutfullah Mashal in Kabul fest. Er hat von 2008 bis 2010 im nordafghanischen Feisabad für die Bundeswehr gearbeitet, die ihm "vorbildliche Dienstauffassung und großen Fleiß" bescheinigte. Danach wechselte er bis 2014 als Übersetzer zu den deutschen Polizeiausbildern in Feisabad. Der heute 34-Jährige hat eine Mail der Bundespolizei vom 20. August, in der steht: "Sie und Ihre Familie sind auf der Evakuierungsliste. Wegen der derzeitigen Situation können wir keinen Zugang zum Flughafen garantieren."
Bis zum Ende der Evakuierungsflüge sei er rund drei Dutzend Mal erfolglos in dem Chaos vor dem Flughafen-Tor gewesen, sagt Mashal. Die Bundeswehr fühle sich für ihn nicht zuständig, weil er zuletzt bei der Polizei war, die dem Bundesinnenministerium untersteht. In Telefonaten mit diesem Ministerium werde ihm und seiner Familie zwar weiterhin die Evakuierung versprochen, bis dahin werde ihm geraten, in Kabul zu bleiben. Vom Auswärtigen Amt habe er aber gehört, dass sein Name gar nicht auf der Evakuierungsliste stehe. Ihm sei nicht klar, wie sich die verschiedenen Regierungsstellen koordinierten.
Mashal wünscht sich mehr öffentlichen Druck auf die Bundesregierung, "um unsere Leben zu retten". Er glaubt, dass die Taliban Menschen wie ihn nicht antasteten, solange die internationale Aufmerksamkeit noch auf Afghanistan gerichtet sei – dass sie danach aber Rache verüben würden. Mashal sagt, wenn die Deutschen ihn nicht in den nächsten ein, zwei Monaten herausbringen würden, werde er sich mit seiner Familie irgendwie in den Iran durchschlagen. Von dort aus werde er dann versuchen, nach Deutschland zu gelangen – als Flüchtling.
- Nachrichtenagentur dpa