Kundus von Taliban erobert Außenamt: Lage in Afghanistan verschlechtert sich rasant
Die Taliban haben Kundus eingenommen. Damit fällt die vierte Provinzhauptstadt innerhalb von drei Tagen in Hand der Islamisten. Das Auswärtige Amt will nun den Asyllagebericht aktualisieren.
Das Auswärtige Amtes sieht eine zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan. Nach der Übernahme der Provinzhauptstadt Kundus durch die Taliban sagte ein Ministeriumssprecher am Sonntag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, die Situation entwickle sich rasant. Bereits in der Vergangenheit sei der so genannte Asyllagebericht aktualisiert worden, falls dies erforderlich war. "Auch mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen wird derzeit eine Aktualisierung des Asyllageberichts vorbereitet."
Der Asyllagebericht dient als Hilfe bei der Entscheidung in Asylverfahren und bei Abschiebungen. Die Bundesregierung hatte zuletzt deutlich gemacht, dass für sie ein genereller Abschiebestopp für Menschen aus Afghanistan derzeit nicht infrage kommt.
Der aktuelle Asyllagebericht des Auswärtigen Amts stellt zwar eine stärkere Gefährdung bestimmter Gruppen durch den Vormarsch der Taliban fest, aber keine generelle Gefährdung von Rückkehrern. Er bildet allerdings den Stand im vergangenen Mai ab – also kurz vor dem Beginn des Abzug der ausländischen Truppen.
Kundus nach heftigen Kämpfen gefallen
Am Sonntag haben die militant-islamistischen Taliban die Provinzhauptstadt Kundus im Norden des Landes eingenommen. Die Stadt sei am Sonntag nach heftigen Kämpfen gefallen, bestätigten drei Provinzräte sowie ein Bewohner der Deutschen Presse-Agentur. Auch ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP meldete: "Kundus ist gefallen. Die Taliban haben alle wichtigen Gebäude der Stadt unter ihre Kontrolle gebracht." In den vergangenen Tagen hatten die Islamisten drei weitere Provinzstädte erobern können. In Deutschland ist Kundus vor allem bekannt, weil die Bundeswehr jahrelang in der Nähe ein großes Feldlager hatte.
Kundus wurde seit langem von Taliban-Kämpfern belagert. In den vergangenen zwei Tagen hätten die Islamisten ihre Angriffe intensiviert, sagten die Provinzräte. Abgesehen von einer Militärbasis rund drei Kilometer vom Stadtzentrum und dem Flughafen kontrollierten die Taliban nun die ganze Stadt. Dorthin seien Regierungsvertreter geflüchtet. Die Menschen in der Stadt hätten weder Wasser noch Essen. Sie hielten sich in ihren Häusern versteckt.
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Mit der Eroberung der rund 380.000 Einwohner starken Stadt brachten die Taliban innerhalb von drei Tagen vier Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle. Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan Anfang Mai laufen mehrere Offensiven der Taliban. Erst konnten sie vor allem im ländlichen Raum massive Gebietsgewinne verzeichnen. Sie kontrollieren mittlerweile mehr als die Hälfte der rund 400 Bezirke des Landes und auch mehrere Grenzübergänge. Zuletzt verlagerten sich die Kämpfe zunehmend in die Hauptstädte der 34 Provinzen.
Nirgendwo fielen mehr deutsche Soldaten
Während des Krieges in Afghanistan war die Bundeswehr rund ein Jahrzehnt lang in Kundus stationiert. Von 2003 bis 2013 überwachten deutsche Soldaten vom Feldlager Kundus die Sicherheit im Norden des Landes. Hier lieferten sich deutsche Soldaten stundenlange Gefechte mit den Taliban. Nirgendwo in Afghanistan fielen mehr Deutsche als in Kundus und der Nachbarprovinz Baghlan. Im Vorjahr waren im "Camp Pamir" noch etwa 100 deutsche Soldaten stationiert.
Neben den massiven militärischen Fortschritten in Kundus haben die Taliban drei weitere Provinzhauptstädt erobert. Sar-i Pul in der gleichnamigen Provinz ist an die Islamisten gefallen, bestätigten die Provinzräte Asadullah Churam und Mohammed Nur Rahmani der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag.
Die Lage in der Stadt Sar-i Pul mit geschätzt 180.000 Einwohnern ähnelt der in Kundus. Provinzräten zufolge haben die Islamisten seit Sonntagmorgen (Ortszeit) die wichtigsten Regierungsgebäude unter ihrer Kontrolle. Die Sicherheitskräfte hätten sich in der Nacht schwere Gefechte mit ihnen geliefert. Als allerdings der zweite Polizeibezirk fiel, hätten sie ihre Posten verlassen und sich in eine Militärbasis einen Kilometer vom Stadtzentrum zurückgezogen. Auch Regierungsvertreter befänden sich nun in dieser Militärbasis. Die Taliban feuerten Mörsergranaten auf sie.
Leichen liegen in den Straßen von Sar-i-Pul
Der Provinzrätin Massuma Schadab zufolge liegen mehrere Leichen in den Straßen. Es traue sich aber niemand, diese zu bergen. Sar-i Pul hat geschätzt 180.000 Einwohner. Die Provinz, in der Ölvorkommen gefördert werden, grenzt unter anderem im Osten an die Provinzen Balch mit der Hauptstadt Masar-i-Scharif und im Norden an die Provinz Dschausdschan. Die Regierung halte in der Provinz nur noch den Bezirk Balchab, sagten die Provinzräte weiter.
Am Freitag war schon die kleine Provinzhauptstadt Sarandsch in Nimrus an der iranischen Grenze praktisch kampflos an die Taliban gefallen. Am Samstag folgte die Stadt Schiberghan in Dschausdschan im Norden, Machtsitz des umstrittenen ehemaligen Kriegsfürsten und Ex-Vizepräsidenten Abdul Raschid Dostum, eine führende Anti-Taliban-Figur.
Nach Angaben des afghanischen Verteidigungsministeriums fliegen die USA, die ihren Abzug aus Afghanistan praktisch abgeschlossen haben, weiter Luftangriffe in dem Land. Ein Taliban-Treffen in der Stadt Schiberghan sei mit B-52-Bombern angegriffen worden, teilte ein Sprecher auf Twitter mit. Die US-Militärmission in Afghanistan endet am 31. August. Der Abzug ist amerikanischen Angaben zufolge zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen.
Seit dem Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen Anfang Mai haben die Taliban in mehreren Offensiven massive Gebietsgewinne verzeichnet. Sie eroberten zudem mehrere Grenzübergänge. Die US-Militärmission in Afghanistan endet am 31. August. Der Abzug ist US-Angaben zufolge zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen.
Abschiebestopp nach Afghanistan gefordert – Bartsch: "Mehr als bitter"
In den sozialen Netzwerken sammelten sich nach dem Fall von Kundus rasch betroffene Nachrichten von Nutzern. "Für viele Menschen in dieser tollen Stadt, für viele Freunde und Bekannte wird es jetzt sehr dunkel", schrieb der Autor Hasnain Kazim. Vertreter von Hilfsorganisationen forderten einen Abschiebestopp nach Afghanistan.
Dietmar Bartsch, Co-Vorsitzender der Linken im Bundestag, twitterte, dass der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan kein Erfolg gewesen sei. Nach zehntausenden zivilen Opfern und 59 toten Bundeswehr-Soldaten sowie Milliarden-Kosten stürmten die Taliban nun fünf Wochen nach dem Bundeswehr-Abzug Kundus. "Mehr als bitter", so Bartsch.
- Nachrichtenagentur AFP, dpa
- Twitterprofil von Hasnain Kazim und Dietmar Bartsch