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Nahostkonflikt: So könnte die Spirale der Gewalt endlich enden


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Konflikt im Nahen Osten
So könnte die Spirale der Gewalt enden

MeinungVon Julius von Freytag-Loringhoven, Jerusalem

Aktualisiert am 19.05.2021Lesedauer: 5 Min.
Gaza: Der Weg zum Frieden sei kompliziert, aber möglich, sagt Experte Julius von Freytag-Loringhoven im t-online-Gastbeitrag.Vergrößern des Bildes
Gaza: Der Weg zum Frieden sei kompliziert, aber möglich, sagt Experte Julius von Freytag-Loringhoven im t-online-Gastbeitrag. (Quelle: Khalil Hamra/ap)
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Tausende Raketen schoss die Hamas auf Israel ab, die Reaktion bestand in Luftangriffen. Ein Frieden ist aber nach wie vor möglich im Nahen Osten, sagt Julius von Freytag-Loringhoven im Gastbeitrag.

Nach rund 3.400 auf Israel abgefeuerten Raketen mit zehn Toten (nach israelischen Angaben) und israelischen Luftangriffen auf mehr als 800 Ziele im Gazastreifen mit 212 Toten (nach palästinensischen Angaben) scheint am 9. Tag des Konflikts eine Waffenruhe absehbar. Nach Einschätzung von Militärexperten hat Israel in einer Woche gezielter Luftschläge so viele taktische Ziele in Gaza erreicht, wie nach sieben Wochen einer verlustreichen Bodenoffensive im Jahr 2014.

Waffenfabriken, Kommandostrukturen und Raketenstellungen der Islamisten unter Hamas und Islamischem Dschihad sind weitestgehend zerstört. Und auch deren Bunkersystem scheint seine defensive Wirkung verloren zu haben. Leidtragend ist vor allem wieder die Zivilbevölkerung im Gazastreifen, denn die Strukturen der Islamisten befinden sich inmitten dichtbevölkerter Zentren. Tote unter der Zivilbevölkerung gehören so schon lange zum strategischen Kalkül der Islamisten.

Sicherheit durch Stärke?

Nach einer Welle von Unruhen in Jerusalem hatte die Hamas mit ihrem Raketenterror versucht, die politische Führungsposition als "Stimme aller Palästinenser" einzunehmen. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit holte sie so das Zentrum der Aufmerksamkeit von Jerusalem an die Küste, und von berechtigten Anliegen der palästinensischen Bevölkerung auf die Bühne der Gewalt.

Julius von Freytag-Loringhoven leitet das Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Jerusalem.

Mit der neuen Bedrohung konnte die Regierung unter Benjamin Netanjahu leichter umgehen, denn sie ist geübter in militärischer Taktik als am Verhandlungstisch. Der israelische Journalist Akiva Bigman beschreibt in seinem Buch von 2020 "Die Netanjahu-Doktrin" eine rote Linie in der Politik des Premierministers. Sie folgt der Logik, Sicherheit allein durch die Maximierung eigener Stärke, und eben ohne Zugeständnisse an die Palästinenser, zu erreichen.

Netanjahu bekämpfte die Schaffung eines palästinensischen Staates, förderte völkerrechtswidrigen Siedlungsbau und forderte zuletzt die – ebenso völkerrechtswidrige – Annexion von Teilen des Westjordanlandes. Hatte Netanjahu in den Neunzigerjahren die Friedensverhandlungen mit Konzessionen an die Palästinenser als Illusion bezeichnet, darf man heute berechtigt fragen, ob seine Doktrin nicht auch einer Illusion aufgesessen ist.

Übergriffige Polizei

Denn wenn der Gefechtsrauch erst einmal verzogen ist, werden die tiefen strukturellen Probleme wieder sichtbar, die die Unruhen in Jerusalem ausgelöst hatten. Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 weitete Israel – völkerrechtlich umstritten – sein Staatsgebiet auf das arabisch geprägte Ost-Jerusalem aus. Aber bis heute besitzen die arabischen Einwohner Ostjerusalems nicht mehr als ein leicht entziehbares Wohnrecht. Das wurde im Zusammenhang mit der drohenden Räumung arabischer Häuser – zugunsten jüdischer Siedler – im Ostjerusalemer Stadtteil Scheich Dscharrah deutlich.

Ein Teil der Familien, die in Scheich Dscharrah ihre Häuser aufgeben sollen, hatten 1948 ihre eigenen Häuser im Westteil der Stadt an jüdische Israelis verloren. Während sie keine rechtlichen Ansprüche auf ihre ehemaligen Häuser haben, droht ihnen mit der bevorstehenden Räumung auch der Entzug eines Bleiberechts in ihrer Heimatstadt, da dieses an eine Wohnadresse geknüpft ist. Um eine weitere Ausweitung des Streites um diese Nachbarschaft zu verhindern, bedarf es einer Lösung für den bis heute ungeklärten Rechtsstatus der palästinensischen Bewohner Ostjerusalems.

Ein zweiter Auslöser der Unruhen war der ungeschickte bis übergriffige Einsatz der Jerusalemer Polizei im Umgang mit der palästinensischen Bevölkerung während des Ramadan. Anders als in den vorangehenden Jahren sollte plötzlich der Platz vor dem Damaskus-Tor zur Altstadt von Menschenansammlungen geräumt werden. Diese Entscheidung führte zu Unruhen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und wurde schnell zurückgenommen.

Wahlen könnten der Schlüssel sein

Aber schon kurze Zeit später verschob sich der Konflikt um die Bewegungsfreiheit auf den Tempelberg bis zur al-Aqsa-Moschee, was zusätzlich als Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gesehen wurde. Die folgenden Zusammenstöße und Verhaftungen nahm die Hamas zum Anlass für ihre folgenschwere Antwort der Gewalt. Große Bemühungen scheinen notwendig, um die Rechte und Belange der palästinensischen Bevölkerung in Jerusalem zukünftig besser wahrzunehmen und zu schützen.

Einen dritten Auslöser für Frustration in der palästinensischen Bevölkerung wird in der Absage der für kommendes Wochenende geplanten Wahlen gesehen. Es scheint plausibel, dass Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, nach einem Grund für ihre Absage gesucht hatte, nachdem seinen Anhängern eine große Wahlniederlage drohte. Diesen Grund bekam er mithilfe der Netanjahu-Regierung.

Weil diese nicht aktiv die im Oslo-Friedensprozess vereinbarten Wahlstationen in Ostjerusalem ermöglichte, konnte die Wahl formal leicht auf unbestimmte Zeit "bis zur Lösung dieser Frage" vertagt werden. Hier könnte Israel mit einem aktiven Einsatz für die Durchführung der Wahl auch zur Demokratisierung in den Palästinensischen Gebieten und damit zu neuen – legitimeren – Verhandlungspartnern beitragen.

Alternativen müssen geschaffen werden

Die Diskriminierung der arabischen Bevölkerung – trotz großer Integrationsleistungen in den letzten Jahren – fand dazu auch in den letzten Tagen erstmals eine laute Stimme bei Demonstrationen in israelischen Städten. Traurigerweise glitten, vergleichbar mit einigen "Black Lives Matter"-Demonstrationen in den USA, diese teilweise aus Frustration in Gewalt ab.

Verantwortungsbewusst verurteilte aber hier die Regierung die Gewalt in einem Atemzug mit ebenso angestiegener Gewalt religiöser Nationalisten gegen Araber. Als langfristige Antwort spricht aktuell glücklicherweise die Mehrzahl israelischer Politiker von vertieften Bemühungen um die Integration der arabischen Bevölkerung, während nur die Politiker von Rechtsaußen die Ausweisung ihrer Mitbürger fordern.

Hinter all diesen Auslösern schwelt im Hintergrund der grundlegende Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Denn bis heute kennen wir nur die einmal verhandelte und nie verwirklichte Antwort einer Zweistaatenlösung, um ein langfristig stabiles Zusammenleben zweier gleich großer Bevölkerungsgruppen zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer zu ermöglichen.

Die Herrschaft des israelischen Militärs im Westjordanland wird von den Palästinensern als unerträglich wahrgenommen, von jüdischen Siedlern als notwendig und von der Mehrzahl der israelischen Bevölkerung als Übel, zu dem sie keine Alternativen sieht, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Der Friedensprozess der Neunzigerjahre war durch den vom damaligen Palästinenserführer Jassir Arafat genehmigten Bombenterror in der zweiten Intifada erstickt und von Politikern wie Netanjahu begraben worden.

Man kann hoffen, dass im heutigen ernsten Moment eine neue Bemühung um ein friedliches Auskommen jenseits von Stärkedemonstrationen entstehen kann. Wichtig kann dabei werden – über Oslo hinaus – auch Menschenrechte und Demokratie als festen Pfeiler eines solchen Prozesses zu bestimmen – wie im Helsinki-Friedensprozess mit der Sowjetunion. Ein erster Anstoß für einen solchen Prozess könnten nachgeholte Wahlen in den Palästinensischen Gebieten werden, die mithilfe Israels auch in Ostjerusalem ermöglicht würden.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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