Teheran contra Riad Am persischen Golf droht ein atomares Wettrüsten
Saudi-Arabien und der Iran sind seit langem tief verfeindet. Unter einem US-Präsidenten Joe Biden dürfte der Konflikt eine neue Dynamik bekommen. Die Regierung in Riad denkt sogar laut über "die Bombe" nach.
Die Raketen kamen in den frühen Morgenstunden und versetzten Saudi-Arabien einen Schock, der bis heute nachhallt. Mehr als ein Dutzend Geschosse trafen im September vergangenen Jahres zwei der wichtigsten Ölanlagen des Golfstaats.
Für die Herrscher in Riad war schnell klar, dass hinter diesem Angriff nur der Erzfeind Iran stecken kann. Doch das ölreiche Königreich musste hilflos mit ansehen, wie seine Luftabwehr gegen die Raketen wirkungslos blieb.
Danach folgte für die saudische Regierung die nächste böse Überraschung. US-Präsident Donald Trump – eigentlich ein treuer Verbündeter Riads – drohte dem Iran zwar mit Vergeltung, verzichtete aber auf einen militärischen Gegenschlag.
Am Golf hat eine neue Zeit begonnen
Guido Steinberg, Golfexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, sieht in dem Zwischenfall einen Wendepunkt im Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Der ausgebliebene Gegenschlag habe die "iranische Stärke" und die "saudische Schwäche" gezeigt, schreibt er in seinem Buch "Krieg am Golf". Dort habe eine neue Zeit begonnen, in der die Kriegsgefahr größer geworden sei.
Spätestens mit dem Amtsantritt des gewählten US-Präsidenten Joe Biden im Januar wird der Konflikt eine neue Dynamik bekommen. Die neue Regierung in Washington dürfte von Donald Trumps hartem Kurs gegenüber dem Iran abrücken und etwa das Atomabkommen mit Teheran wiederbeleben wollen – zum Missfallen der saudischen Führung.
Das sunnitische Königreich sieht in dem schiitischen Rivalen eine existenzielle Bedrohung für seine eigene Sicherheit. Es wirft Teheran vor, sich in die Angelegenheiten der arabischen Welt einzumischen. So bekämpfen die Saudis im Bürgerkrieg des benachbarten Jemen die Huthi-Rebellen, hinter denen Riad den Iran am Werk sieht. Regelmäßig schießen sie Raketen in Richtung Saudi-Arabien ab. Erst am Samstag schickten die Huthis nach Angaben aus Riad eine Rakete nach Norden.
Reichert der Iran weiter Uran an, werden die Saudis reagieren
Steinberg und andere Beobachter halten ein neues Wettrüsten am Golf für möglich, Atomwaffen eingeschlossen. Sollten die Saudis das Gefühl bekommen, dass der Iran wieder Uran anreichere, dann würden sie darauf mit dem Ausbau eigener Militärkapazitäten reagieren, meint der US-Golfexperte Kristian Coates Ulrichsen. Im vergangenen Monat sagte der saudische Staatsminister für Auswärtiges, Adel al-Dschubair, der dpa, sollte eine iranische Atombombe nicht verhindert werden können, sei eine atomare Bewaffnung "definitiv eine Option".
Schon jetzt gehört Saudi-Arabien weltweit zu den größten Waffenkäufern. 2019 gab das Land nach Schätzungen des Friedensforschungsinstituts Sipri fast 62 Milliarden US-Dollar für Rüstung aus. Der Iran kam auf 12,6 Milliarden Dollar.
Auch Teheran zeigt sich gewillt, sein Militär auszubauen. Mitte Oktober endete das vom UN-Sicherheitsrat verhängte Waffenembargo. "Somit können wir im Rahmen internationaler Vorschriften wieder Waffen ein- und ausführen", sagte Irans Verteidigungsminister Amir Hatami. Für beides gebe es bereits zahlreiche Interessenten.
Iran braucht das Wohlwollen Chinas und Russlands
Einfach wird dies nicht. Die USA und Europa werden ungeachtet der UN-Entscheidung weiterhin keine Waffen an den Iran verkaufen. De facto blieben nur China und Russland, die gute politische sowie wirtschaftliche Beziehungen zu Teheran pflegen. Aber auch die melden wegen Irans Nahostpolitik Bedenken an, insbesondere angesichts der aggressiven Haltung gegenüber seinem anderen Erzfeind Israel. Daher gehen Beobachter davon aus, dass Peking und Moskau bei Waffendeals sehr vorsichtig vorgehen werden, um weder den Westen noch Israel und die arabischen Golfstaaten unnötig zu verärgern.
Russland sieht angesichts veralteter Waffen und Militärtechnik im Iran einen Milliardenmarkt – trotz der Konkurrenz aus China. Schon früher erhielt Teheran von Moskau Luftabwehrsysteme des Typs S-300. Mit Blick auf das Ende des UN-Waffenembargos sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow im September, es würden sich bald zusätzliche Möglichkeiten einer militärtechnischen Zusammenarbeit ergeben.
Kremlchef Wladimir Putin dürfte das auch bei seinen nicht seltenen Gesprächen mit dem iranischen Präsidenten Hassan Ruhani im Blick haben. "In den kommenden fünf Jahren kann Russland auf Lieferungen von Waffensystemen und Militärtechnik in den Iran hoffen – für etwa fünf Milliarden US-Dollar", sagte der russische Militärexperte Ruslan Puchow unlängst der Moskauer Zeitung "Nesawissimaja Gaseta".
Ausstieg aus Atomabkommen setzte Kettenreaktion in Gang
Das Ende des Waffenembargos stand im Zusammenhang mit dem 2015 unterzeichneten Atomabkommen zwischen dem Iran und den fünf UN-Vetomächten sowie Deutschland. Trump stieg 2018 nicht nur aus dem Deal aus, sondern verhängte auch neue Sanktionen gegen den Iran, die zu einer akuten Wirtschaftskrise im Land führten. Als Reaktion leitete auch Ruhani einen schrittweisen Ausstieg aus dem Abkommen ein. Seit Januar hält sich der Iran an keine seiner Verpflichtungen mehr – weder bezüglich eines Urananreicherungsgrads noch eines Uranvorrats.
Die Zukunft des Konflikts zwischen Saudi-Arabien und dem Iran wird auch maßgeblich davon abhängen, wie sich Biden zum Atomabkommen verhält. "Ein politischer Analphabet (Trump) hat mit einer Unterschrift den Deal verlassen, der Nächste (Biden) kann mit einer Unterschrift wieder in den Deal zurück", sagte Ruhani. Falls das nicht geschehe, werde das von Hardlinern im Parlament verabschiedete Atom-Gesetz umgesetzt. Es sieht vor, dass der Iran unbegrenzt Uran anreichert, lagert und sogar UN-Inspektionen einschränkt oder gar verbietet.
Ein einfaches Zurück zum alten Atomdeal scheint jedoch unwahrscheinlich. Die Saudis würden von den USA verlangen, bei neuen Verhandlungen anders als beim ersten Mal eingebunden zu werden, sagt Golfexperte Ulrichsen. Nach dem Willen Riads solle es dann nicht nur um das iranische Atomprogramm gehen, sondern auch um Teherans Unterstützung für bewaffnete Gruppen in der Region. "Das wird ein Abkommen fast unmöglich machen", prophezeit Ulrichsen.
- Nachrichtenagentur dpa