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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Endet der Krieg wirklich? Sieh her, Deutschland, es gibt Hoffnung!
Die israelische Regierung und die Terrororganisation Hamas einigen sich auf eine Waffenruhe. Doch die Lage bleibt gefährlich. Wer nun den Deal als politischen Erfolg für sich reklamieren möchte, handelt verantwortungslos.
Es sind Bilder, die uns bewegen sollten. In Israel umarmen sich die Angehörigen der von der Terrororganisation Hamas entführten Geiseln auf der Straße. Viele von ihnen lebten seit dem Terrorangriff der Islamisten gegen Israel am 7. Oktober 2023 in der Ungewissheit, ob ihre Liebsten überhaupt noch am Leben sind. Sie gingen im vergangenen Jahr auf die Straße, demonstrierten auch gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der einen Deal viel zu lange ablehnte.
Am Ende einigten sich die israelische Führung und die Hamas auf einen Kompromiss, die Waffenruhe und einen Geiseldeal. Endlich. In drei Phasen soll die Hamas alle israelischen Geiseln freilassen. Sie sollen gegen Hunderte palästinensische Gefangene ausgetauscht werden. Die israelische Armee soll sich außerdem stufenweise aus dem Gazastreifen zurückziehen. Der Krieg und das Sterben sollen enden.
Bei den Angehörigen der Geiseln in Israel mischt sich unbändige Freude mit der Angst, dass einige der Entführten nicht lebend aus dem Gazastreifen zurückkommen werden. Der Tod einiger Menschen wird also bald traurige Gewissheit werden.
Trotzdem ist das am Mittwochabend verkündete Abkommen ein Grund zur Freude, ein Hoffnungsschimmer für den Nahen Osten. Es ist ein Meilenstein für den Frieden in der gesamten Region, ein wichtiger erster Schritt zur Deeskalation der Lage – mehr jedoch nicht. Die Lage bleibt gefährlich. Für einige politische Akteure wie Trump kommt die gegenwärtige Selbstbeweihräucherung daher zu früh. Das ist heuchlerisch.
Denn zur Wahrheit gehört auch: Das Abkommen lag schon seit Mai 2024 auf dem Tisch. Es hätten viele Tausende Opfer verhindert werden können, wenn die Einigung früher gekommen wäre.
Brüchiges Abkommen bedeutet keine Sicherheit
Dass die Lage instabil bleibt, zeigte sich bereits am Donnerstagmorgen. Die Waffenruhe soll erst ab Sonntag gelten und die israelische Armee forcierte noch einmal ihre Angriffe im Gazastreifen, bei denen laut palästinensischen Angaben 40 Menschen ums Leben kamen. Noch ist das Sterben nicht vorbei.
Darüber hinaus erlebte auch der gerade geschlossene Deal wenige Stunden später gleich seine erste Krise. Netanjahu wirft der Hamas vor, ihre Zustimmung zu Teilen der Vereinbarung zu verweigern. Die Islamisten widersprechen dem.
Trotzdem verzögert das israelische Kabinett die Billigung des Deals, was auch innenpolitische Gründe haben könnte: Grund für die Verschiebung soll laut israelischen Medien sein, dass der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich Netanjahu noch nicht Bescheid gegeben habe, ob seine Partei aus Protest gegen das Abkommen die Regierung verlässt.
Es schien am Donnerstag innerhalb der israelischen Regierung nicht einmal Einigkeit darüber zu geben, ob das Abkommen angenommen werden sollte. Radikalere Kräfte innerhalb der Netanjahu-Regierung fordern noch immer die völlige Auslöschung der Hamas, was allerdings militärisch fast ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Das legt den Fokus auf ein zentrales Problem: Es gibt für den Nahostkonflikt noch keine längerfristige Lösung, die von allen Seiten akzeptiert wird. Es kann nur mit einer Zweistaatenlösung gehen, aber das lehnt Netanjahu aus machtpolitischen Gründen ab. Eine solche kann es auch nur ohne die Terrororganisation Hamas geben. Denn ihre Existenzgrundlage ist die Vernichtung Israels. Bereits kurz nach der Einigung am Mittwoch kündigte sie an, Rache zu üben. Gegenseitige Wut und gegenseitiger Hass bleiben groß.
Streit um Verdienste ist lächerlich
Doch einige wichtige politische Akteure lassen die notwendige Ernsthaftigkeit vermissen. Stattdessen ist in den USA bereits ein Streit darüber entbrannt, wer den diplomatischen Erfolg für sich reklamieren kann. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden gegen seinen baldigen Nachfolger Donald Trump. Trump feiert sich als großen Dealmaker, Biden nennt es einen "Witz", dass der Republikaner den Erfolg des Deals für sich reklamiert.
Der Versuch, den Deal als politischen Erfolg für sich zu reklamieren, ist verwerflich. Beide Seiten scheinen nun politisches Kapital aus der Waffenruhe ziehen zu wollen. Dieses egomanische Getue ist nicht nur unredlich, sondern vor allem gefährlich. Denn der Frieden könnte auch nach Sonntag jederzeit wieder kollabieren.
Keine Frage. Die Einigung ist ein diplomatischer Gemeinschaftserfolg. Maßgeblich waren daran die USA beteiligt – und zwar Biden und Trump. Letzterer hatte immerhin Netanjahu und die Hamas mit seiner Drohung unter Druck gesetzt. Er sagte, dass in Gaza die "Hölle" losbrechen würde, wenn es bis zu seinem Amtsantritt am 20. Januar keine Einigung gebe. Auch das zeigte offenbar Wirkung.
Darüber hinaus spielten Katar, Ägypten, aber auch die Türkei eine wichtige Rolle. Und ja, auch Deutschland bemühte sich diplomatisch. Das Auswärtige Amt hatte einen Sonderstab, der sich stetig für einen Geiseldeal einsetzte, und Außenministerin Annalena Baerbock erhielt Nachrichten von Angehörigen, die sich für diesen Einsatz bedankten.
Das zeigt: Internationale Zusammenarbeit ist ein zentraler Baustein für Frieden, und gleichzeitig hat der Westen hier mehr Schlagkraft entfaltet als etwa Russland oder China. Denn Wladimir Putin und Xi Jinping sind vor allem durch Untätigkeit aufgefallen.
Doch diesen Einfluss auf Israel und die Hamas müssen nun alle Akteure weiterhin nutzen, um langfristige Lösungen zu finden und den aktuellen Deal in einen langfristigen politischen Prozess zu überführen – auch in Zusammenarbeit mit Trump. Denn sonst sind Krieg und Gewalt eher zurück, als vielen Menschen in der Region lieb ist.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp