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Israel-Gaza-Konflikt | Angriff auf Flüchtlingslager: Blanker Horror


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Krieg im Nahen Osten
Es droht die nächste große Eskalation


28.05.2024Lesedauer: 5 Min.
Rafah: Bei einem Luftangriff hat die israelische Armee ein Flüchtlingszeltlager getroffen.Vergrößern des Bildes
Rafah: Bei einem Luftangriff hat die israelische Armee ein Flüchtlingszeltlager getroffen. (Quelle: Jehad Alshrafi/ap)
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Der israelische Luftangriff auf ein Flüchtlingslager im Gazastreifen entsetzt die Weltöffentlichkeit. Die Kriegstaktik von Benjamin Netanjahu bringt nicht nur Zivilisten in Lebensgefahr, sondern schadet auch dem eigenen Land.

Viele Monate gab es international Warnungen und Mahnungen an Israel, doch am Sonntagabend wurden die schlimmsten Befürchtungen vieler Kritiker Realität. Ein israelischer Luftangriff traf ein Flüchtlingslager in Rafah, einem Ort, an dem sich Zivilisten in Sicherheit vor den Kämpfen bringen wollten.

Die palästinensische Gesundheitsbehörde spricht von mindestens 45 Todesopfern und 249 Verletzten – darunter hauptsächlich Minderjährige und Frauen. Diese Angaben können nicht unabhängig geprüft werden, aber der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach am Montag von einem "tragischen Fehler".

In sozialen Medien kursierten verstörende Videos, die zeigten, wie verkohlte Leichen aus brennenden Zelten geborgen wurden. Der palästinensische Rettungsdienst berichtete von "Horrorszenen", Krankenwagen hätten viele Tote und Verletzte transportiert.

Video | Arzt schildert schreckliche Szenen aus Rafah
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Quelle: reuters

Fest steht: Es ist der blanke Horror, besonders für palästinensische Zivilisten im Gazastreifen. In Rafah harren noch immer Zivilisten aus, sie wissen nicht wohin. Viele sollen aber auch bereits aus der Stadt geflohen sein, während die israelische Armee am Dienstag mit Panzern in Richtung Stadtzentrum vorrückte.

Die israelische Führung erklärte, dass bei dem Luftangriff "zwei wichtige Hamas-Terroristen" getötet worden seien. Doch selbst, wenn das stimmt, mildert das die große internationale Wut und die Empörung nicht. Denn dadurch verschärft Israel selbst den Eindruck, dass es im Kampf gegen den Terror über Leichen von Zivilisten geht.

Das bringt Netanjahu und die israelische Führung international immer weiter ins Abseits. Die Lage verschärfte sich zuletzt weiter, auch die Krise zwischen Israel und Ägypten spitzt sich zu. Mit diesem Vorgehen schadet Israel nicht nur sich selbst, es bringt auch die gesamte Nahost-Region an den Rand einer großen Eskalation.

Video | Israel: Hamas-Stellung in Rafah angegriffen
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Quelle: reuters

Israelische Kriegsziele in Gefahr

Die Bilder der brennenden Zelte aus dem Flüchtlingslager in Rafah werden immer mehr zum Symbol, dass die israelische Kriegstaktik in ihrer jetzigen Form nicht funktioniert. Auch die israelische Kommunikation nährt Misstrauen. Zunächst hatte das israelische Militär Kritik an dem Luftangriff zurückgewiesen. Man habe zuvor im Süden des Gazastreifens Vorkehrungen getroffen, um das Risiko für Zivilisten zu verringern, hieß es. Es sei präzise Munition eingesetzt worden, man habe die Region aus der Luft überwacht und tue alles, um Zivilisten zu schonen, ließ das Militär die Öffentlichkeit wissen.

Das alles war falsch. Die Rolle rückwärts und das Eingeständnis von Netanjahu kam am Montag erst, als die Bilder der Katastrophe schon um die Welt gingen.

Erst am Freitag hatte der Internationale Gerichtshof (IGH) Israel dazu verpflichtet, seinen Militäreinsatz in Rafah zu beenden. Die Begründung: Es dürften keine Bedingungen geschaffen werden, "die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza führen könnten". Die Entscheidungen des obersten Uno-Gerichts sind bindend, aber die israelische Führung hat sich dennoch dafür entschieden, in Rafah weiter vorzurücken. Eine Ohrfeige für die Uno-Richter.

Damit verbraucht Israel zunehmend die Solidarität, die es von vielen Staaten nach dem verheerenden Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem 1.200 israelische Staatsbürger getötet wurden, zugesprochen bekommen hatte. Israel hat das Recht, sich zu verteidigen, das hatten in den vergangenen Monaten viele westliche Staaten betont. Das Problem: Die Verhältnismäßigkeit sehen viele Regierungen schon lange nicht mehr gegeben. Die Vereinten Nationen gehen von über 20.000 Todesopfern im Gazastreifen aus, andere nicht überprüfbare Zahlen liegen noch deutlich darüber.

Netanjahu hat bisher keines seiner Kriegsziele erreicht: Wenn die israelische Armee vorrückt, legen Hamas-Terroristen ihre Waffen nieder, mischen sich unter die Zivilisten. Außerdem werden weder Zivilisten geschützt noch Verhandlungserfolge bei der Freilassung der israelischen Geiseln erzielt. Hunger und eine prekäre humanitäre Versorgung lösen zudem immer wieder internationale Kritik aus. Bislang kann Israel nur als Erfolge präsentieren, Hamas-Generäle und weitere Terroristen getötet und Waffenlager und Tunnel der Islamisten zerstört zu haben. Aber schafft das wirklich nachhaltigen Frieden?

Bundesregierung übt zurückhaltende Kritik

Zweifel daran sind durchaus berechtigt. Denn in den vergangenen Monaten hat sich schon gezeigt, dass Gebiete von der Hamas im Gazastreifen erneut besetzt werden, wenn die israelische Armee wieder abzieht. Deswegen löst Netanjahus Kriegsstrategie auch bei seinen engsten Partnern mittlerweile Kopfschütteln aus, besonders nach Angriffen wie auf das Flüchtlingslager in Rafah.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass es im Zusammenhang mit dem Angriff einen Fehler der israelischen Seite gegeben habe. Man wolle den Vorfall weiter prüfen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin. "Erst mal untersuchen, was genau passiert ist, und dann urteilen. Und nicht anhand von Bildern sofort ein Urteil fällen." Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) hätten immer wieder deutlich gemacht, "dass sich Israel bei seiner gerechtfertigten Verteidigung gegen die Terrororganisation Hamas an das Völkerrecht zu halten hat. Und das gilt in allen Fällen." Ähnlich hatte sich auch die US-Regierung geäußert.

Fest steht aber: Andere Länder äußern deutlicher ihre Empörung. Etwa Frankreich. So reagierte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron empört auf den Angriff in Rafah. "Diese Operationen müssen aufhören", schrieb Macron auf der Plattform X. Es gebe keine sicheren Zonen für palästinensische Zivilisten in Rafah. Macron rief zu einer sofortigen Feuerpause und zu einer vollständigen Einhaltung des internationalen Rechts auf. Macron sieht sich als die zentrale Führungsfigur in der EU und weiß, dass die Mehrheiten in Europa aktuell gegen Israel sind. Deutlich wird das auch an anderer Stelle: Am Dienstag erkannten Norwegen, Irland und Spanien offiziell Palästina als Staat an. Auch das ist eine deutliche Botschaft an Netanjahu, der eine Zweistaatenlösung ablehnt.

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Wie reagiert Ägypten?

Noch größer ist die Wut in der muslimischen Welt. Israels "absichtliche Bombardierung der Zelte der Geflüchteten" stelle einen "neuen und eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht" dar, kritisierte das ägyptische Außenministerium am Montagmorgen. Jordanien verurteilte die "eklatante Missachtung der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs" scharf. Das Außenministerium in Amman bezeichnete den jüngsten Angriff als "abscheuliches Kriegsverbrechen der israelischen Besatzungstruppen im Gazastreifen".

Vor allem in Ägypten liegen die Nerven blank. Seit Beginn des Kriegs im Gazastreifen hat das Land Militär an der Grenze zusammengezogen. Von dort gelangen Hilfslieferungen in den Gazastreifen, und in den ägyptischen Krankenhäusern in Grenznähe werden palästinensische Zivilisten behandelt. Auch dort ist die humanitäre Lage prekär, wovon sich t-online im Januar 2024 selbst ein Bild machen konnte.

Die Wut auf Israel in der ägyptischen Bevölkerung – angesichts dieser Lage – nimmt immer weiter zu. Die Menschen üben Druck auf die autoritäre Führung aus, und die wendet sich wiederum wütend an den Westen, Netanjahu endlich zum Einlenken zu bewegen. Bislang ohne Erfolg. Am Montag starb dann noch ein ägyptischer Soldat bei einem Schusswechsel mit der israelischen Armee, weitere Soldaten sollen verletzt worden sein.

Beide Staaten werfen sich seither gegenseitig vor, zuerst geschossen zu haben. Die Lage ist schon jetzt explosiv. Am Dienstag warf der palästinensische Zivilschutz Israel auch noch vor, einen weiteren tödlichen Angriff auf ein Flüchtlingslager nahe Rafah geflogen zu haben – mit 21 Todesopfern. Sollten sich diese Angaben bestätigen lassen, droht Netanjahus Argumentation zusammenzubrechen, dass es sich bei der ersten Attacke um einen einmaligen Fehler gehandelt hat.

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