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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte Masala zu Prigoschin "Putin scheint reinen Tisch gemacht zu haben"
Ein Flugzeug ist in Russland abgestürzt, Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin befindet sich mutmaßlich unter den Toten. Hat Wladimir Putin Rache an dem Aufrührer genommen? Experte Carlo Masala analysiert die Lage.
Im Juni 2023 rebellierte Jewgeni Prigoschin gegen den Kreml, zwei Monate später ist der Anführer der Wagner-Söldner mutmaßlich bei einem Flugzeugabsturz umgekommen. Beobachter hatten schon lange vermutet, dass Russlands Machthaber Wladimir Putin mit seinem früheren Vertrauten abrechnen würde. Was spricht aber für ein Attentat auf Prigoschin? Und wie könnte Putin davon profitieren? Diese Fragen beantwortet der Politikwissenschaftler Carlo Masala.
t-online: Professor Masala, seit seiner missglückten Revolte galt der Söldnerführer Jewgeni Prigoschin im Prinzip als toter Mann. Hat Wladimir Putin nun mutmaßlich Rache genommen?
Carlo Masala: Prigoschin war für Putin ein Verräter – und stand selbstverständlich auf der Abschussliste. Denn der Wagner-Chef hat an Putins Macht gerüttelt. Vieles spricht also für eine Abrechnung.
Putin hat sich allerdings Zeit damit gelassen, die Revolte der Wagner-Söldner begann am 23. Juni 2023.
In einem Interview wurde Putin einmal gefragt, ob er verzeihen könnte. Im Prinzip ja, so lautete seine Antwort. Aber nicht alles und nicht jedem: Verrat kann Putin nicht ungestraft lassen. Seine Geduld bei der Liquidierung von Missliebigen hat er wiederum oft demonstriert. Erinnern Sie sich, wie Putin mit Dissidenten umging, die ins Exil gegangen waren und sich nach Jahren im Ausland relativ sicher gefühlt haben? Irgendwann hat Putin dann trotzdem seine Schergen geschickt.
Carlo Masala, Jahrgang 1968, lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Der Politikwissenschaftler sitzt im Beirat der "Zeitschrift für Internationale Beziehungen", zugleich diskutiert er regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik. Am 10. Oktober 2023 erscheint sein neues Buch "Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende"
Nun könnte Putin allerdings etwas weniger geduldig gewesen sein. Das Flugzeug, in dem sich Prigoschin befunden haben soll, stürzte auf den Tag genau zwei Monate nach dem Beginn der Wagner-Revolte ab.
Das Datum ist in der Tat auffällig – und nicht nur das. Kurz zuvor ist General Sergei Surowikin offiziell von seiner Aufgabe als Chef der russischen Luft- und Raumfahrttruppen entbunden worden. Surowikin galt als Prigoschin-Vertrauter und ist seit sechs Wochen nicht mehr gesichtet worden. Parallel erfolgte dann der Abschuss oder die Explosion der Maschine, in der Prigoschin saß. Das hat eine hohe Symbolik. Putin scheint reinen Tisch gemacht zu haben.
Sie sprechen von Abschuss?
Es gibt verschiedene Mutmaßungen, die Wahrheit werden wir auch niemals erfahren. Ich habe mir allerdings die Bilder angeschaut: Man sieht ein brennendes Flugzeug, Fotos von Teilen weisen die typischen Schäden durch Raketen auf. Alles deutet auf einen Abschuss durch die russische Luftverteidigung hin. Die offizielle Version des Kremls wird aber anders lauten.
Normalerweise mordet das Putin-Regime allerdings subtiler.
Putin hat auf jede Subtilität verzichtet, richtig. Normalerweise "fallen" Kritiker aus dem Fenster oder bekommen einen "Herzinfarkt" – obwohl sie gerade Anfang 40 sind. Hinter solchen Ausreden kann sich das Regime besser verstecken.
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Nun wollte Putin aber anscheinend eine unmissverständliche Botschaft senden.
Das liegt wahrscheinlich in dem Schock begründet, den die Revolte der Wagner-Söldner auslöste. Putin stand in diesem Moment relativ schwach da, er war ziemlich blamiert. Vor weiteren Schritten musste er also zunächst seine Macht konsolidieren.
Dabei richtete sich Prigoschins Aufstand gar nicht gegen Putin an sich.
Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow waren Prigoschins Gegner. Letzteren gefangen zu nehmen hatte sich Prigoschin bei seiner Besetzung Rostows am Don übrigens erhofft. Aber Gerassimow war schon weg, deswegen setzte Prigoschin mit seinen Söldnern zum Marsch auf Moskau an. Das war aber eher eine Verzweiflungstat.
Die den Kreml gleichwohl ziemlich nervös machte.
Die Wagner-Söldner fuhren mit 80 gepanzerten Fahrzeugen bis auf gut 200 Kilometer an Moskau heran. Gepanzerte Fahrzeuge, wohlgemerkt, keine Panzer. Mit so was macht man in Moskau keinen Putsch. Allerdings hoffte Prigoschin darauf, dass sich ihm zwischenzeitlich Teile von Armee und Sicherheitsapparat anschließen würden.
Was nicht geschah.
Richtig. Aber hören Sie sich noch mal die Rede an, die Putin an diesem Tag gehalten hat. Er warnte seine Streitkräfte deutlich davor, irgendwelche Dummheiten zu machen. Also hatte Putin entweder konkrete Informationen, dass sich Teile der Armee auf Prigoschins Seite schlagen könnten. Oder er hatte einfach grundsätzlich Angst davor. So oder so: Putin stand ziemlich blank da.
Eine Pattsituation: Prigoschin war zu schwach, um in Moskau einzudringen, Putin sich seiner eigenen Leute unsicher. Eine Lösung fand sich im belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko, der Prigoschin und den Wagner-Söldnern Aufnahme versprach.
Welche Rolle Lukaschenko tatsächlich gespielt hat, können wir nicht sagen. Möglicherweise war er wirklich ein Vermittler, möglicherweise aber auch nur Spielfigur, um das zu präsentieren, was Putins Apparat mit Wagner ausgehandelt hatte.
Nun blieb Prigoschin allerdings alles andere als unsichtbar, wie man es angesichts seiner gescheiterten Rebellion hätte annehmen können. Hätte er nicht eine Vergeltung seitens des Kremls erwarten müssen?
Prigoschin wähnte sich auf bestimmte Weise wohl sakrosankt, weil Teile der russischen Politik und des russischen Sicherheitsapparats dem Konstrukt Wagner durchaus nicht ablehnend gegenüberstehen. So herrschte eine Art Schwebezustand zwischen beiden Seiten, den Putin nun mutmaßlich beendet hat.
Wie geht es mit den Wagner-Söldnern in der Zukunft weiter?
Genau weiß es niemand. Wir haben aber die Bilder gesehen, wie den Meuterern in Russland damals das schwere Gerät weggenommen worden ist. Das hat nun die Nationalgarde. Über was genau Wagner noch verfügt, wissen wir nicht. Aber es ist sicher nicht mehr die Schlagkraft von früher.
Was ist mit den Söldnern in Afrika?
Angeblich sind Wagner-Söldner im Kongo und in Mali, diese unterstehen mittlerweile offiziell dem russischen Verteidigungsministerium. Die Truppe, die mit Prigoschin nach Belarus gegangen war, geht dort wiederum wieder raus. Es ist eine schwer durchschaubare Situation. Aber ich gehe nicht davon aus, dass wir jetzt eine zweite Meuterei oder gar einen Putschversuch durch diese Kräfte erleben werden.
Professor Masala, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Carlo Masala via Telefon