Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Russische Bedrohung Dann würde Putin Deutschland wieder ernst nehmen
Russland bedroht Europa, eine "Zeitenwende" hat Olaf Scholz deswegen ausgerufen. Es ist aber noch ein weiter Weg, bis die Bundeswehr wieder "abschreckend" wirken wird. Was zu tun ist, beschreiben Christina Catherine Krause und Amelie Stelzner-Doğan von der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Die Bedrohungslage hat sich für Deutschland grundlegend geändert. Seit dem 24. Februar 2022 gilt es, im Verbund mit Nato und Europäischer Union die Ukraine im Kampf gegen die russische Aggression (militärisch, humanitär und finanziell) zu unterstützen, Russlands Angriffsfähigkeit durch Sanktionen zu schwächen, Abhängigkeiten abzubauen sowie die nötigen Verteidigungsfähigkeiten (wieder)zuerlangen.
Dafür wurden im vergangenen Jahr wichtige Wegmarken erreicht: Die EU verabschiedete am 24. März 2022 den strategischen Kompass, und am 29. Juni nahm die Nato das neue strategische Konzept an. Beide Dokumente erklären die von der Russischen Föderation ausgehenden Gefahren als die unmittelbar größten. Sie definieren jedoch auch andere Bedrohungen. Während EU und Nato klar in der Analyse und Aufgabenbeschreibung sind, bedarf es dringend der Unterfütterung und Ausführung auf nationaler Ebene.
Christina Catherine Krause ist Leiterin der Abteilung Internationale Politik und Sicherheit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Amelie Stelzner-Doğan ist dort Referentin für Bundeswehr und Gesellschaft und verantwortet das Projekt "Bundeswehr der Zukunft". Die KAS ist eine der CDU ideell nahestehende Denkfabrik, die sich unter anderem für die europäische Verständigung einsetzt.
Der Bundeskanzler hat im letzten Jahr wiederholt die Herstellung einsatzfähiger Streitkräfte versprochen und Deutschlands Anspruch, Garant europäischer Sicherheit zu werden, formuliert. Diese Ziele sind jedoch in weiter Ferne, und die Zeit drängt: Der Kreml zeigt, dass er bereit ist, die eigenen revisionistischen Machtansprüche mit ruchloser Gewalt und Methoden hybrider Kriegsführung zu verfolgen.
Zu unserem Schutz brauchen wir daher eine Bundeswehr, die echtes Abschreckungspotenzial entfaltet. Unsere Armee muss also materiell, strukturell und personell so ausgestattet werden, dass sie im Ernstfall kaltstartfähig ist und in einem großen Konflikt fähig ist, durchzuhalten und zu siegen. Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen, muss die Devise sein.
Geld allein ist keine Lösung
Doch der Weg ist noch weit: Seit Ende des Kalten Kriegs wurde die Bundeswehr sukzessive klein gespart. Das Narrativ, ausschließlich von Freunden umgeben zu sein, war weit verbreitet – nicht nur in Deutschland. Lagen die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik im Jahr nach der Kuba-Krise (1963) bei 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so sank der Anteil in den 1990er-Jahren auf unter zwei Prozent. 2014 war der Verteidigungsetat mit knapp 32,4 Milliarden Euro (1,14 Prozent des BIP) am niedrigsten.
Die Organisation, Ausstattung und Logistik der Bundeswehr wurde seit den 1990er-Jahren auf Krisenmanagement-Einsätze wie in Afghanistan oder Mali ausgelegt. Das bedeutete eine Fokussierung auf leicht verlegbare Streitkräfte für längere Friedenseinsätze anstelle des Vorhaltens von einsatzfähigen Großverbänden zur Landes- und Bündnisverteidigung. Nun muss der Schwenk zurück erfolgen.
Im aktuellen Haushalt bekommt die Bundeswehr 50,1 Milliarden Euro – etwas weniger als 2022. Kombiniert mit dem Anteil aus dem Sondervermögen sind für dieses Jahr 58,5 Milliarden Euro eingeplant. Das entspricht 1,62 Prozent des BIP. Gelder für Forschung und Technologie werden vernachlässigt. Das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels der Nato, zu dem sich Deutschland bereits 2014 verpflichtet hat, ist somit erneut nicht in Sicht. Geld allein löst die Herausforderungen zwar nicht, aber eine der Sicherheitslage angepasste finanzielle Ausstattung unserer Armee ist die Grundlage für unsere Wehrhaftigkeit.
Russland attackiert die europäische Friedensordnung und damit auch die Bundesrepublik. Das Bewusstsein, dass wir direkt bedroht sind, muss endlich in der Politik und der breiten Gesellschaft ankommen. Die Regierung muss die Aufgabe der nationalen Sicherheitsvorsorge ernst nehmen – und die Verteidigungsfähigkeit, mit der Bundeswehr als zentralem Akteur, umfassend und gesamtgesellschaftlich auf der Grundlage eines gemeinsamen, stets aktuellen Lagebildes denken.
An vielen Stellen muss justiert werden
Konkret bedeutet dies erstens, dass die Politik eine strategische Vorausschau und Planbarkeit für alle Akteure sicherstellen muss. Dafür sollte die Bundesregierung klar definieren, was die deutschen Ziele und Prioritäten sind, und die nationale Sicherheitsstrategie (endlich) vorlegen.
Zweitens muss die Bundesregierung für die Rüstungsindustrie Planungssicherheit schaffen. Nur so können Produktionslinien aufgebaut und kann genügend Personal eingestellt werden, um das benötigte Material schnell zu liefern. Neben Ersatzteilen fehlt insbesondere Munition. Der Munitionsgipfel im November 2022 hätte längst zu einem Umdenken der Bundesregierung führen müssen, aber unsere Wehrindustrie, vor allem die mittelständischen Unternehmen, werden immer noch nicht als förderungswürdig angesehen.
Zum Dritten muss das Beschaffungswesen besser funktionieren: Bereits heute kann Zeit gewonnen werden, wenn pragmatische Lösungen gesucht und marktverfügbare Produkte beschafft werden. Für kürzere Beschaffungsverfahren braucht es aber vor allem ein starkes politisches Signal für die beteiligten Behörden, dass sie beispielsweise Rückendeckung für beschleunigte Analyseverfahren haben.
Als vierter Punkt stellt sich die Frage der Interoperabilität: Deutschland muss ein verlässlicher Anlehnungspartner für die Verbündeten in Nato und EU sein. Das Konzept der "Framework Nation" darf sich aber nicht auf die Bündnisverpflichtungen beschränken. Die Bundesrepublik sollte auch rüstungsindustriell als Rahmennation auftreten, um dem aktuellen Trend entgegenzuwirken, innerhalb des Bündnisses immer mehr unterschiedliche Waffensysteme zu betreiben und zu entwickeln.
Wie beispielsweise bei der Parallel-Entwicklung von Kampfjets der sechsten Generation mit dem "Future Combat Air System" (durch Deutschland, Frankreich und Spanien) und "Tempest" (unter britischer Führung). Berlin muss sich für rüstungsindustrielle Standardisierungen einsetzen, auch um die technische Führbarkeit der verschiedenen Armeen innerhalb der Nato sicherzustellen.
Die Bundeswehr braucht, fünftens, entsprechendes Personal mit agilen Führungsstrukturen. Zur angestrebten Soll-Größe von 203.000 Soldatinnen und Soldaten fehlen rund 20.000. Dem Nachwuchsproblem kann durch ein gut durchdachtes Konzept eines allgemeinen verpflichtenden Gesellschaftsjahrs begegnet werden. So wird der Personalmangel im zivilen (Pflege, Blaulichtorganisationen) und militärischen Bereich (Bundeswehr, Reserve) gemeinsam gedacht. Das ist besonders wichtig, da für den Verteidigungsfall eine starke militärische Reserve benötigt wird. Sie stellt die benötigten Aufwuchsfähigkeiten der Bundeswehr sicher und ist auch die Schnittstelle zur Gesellschaft.
Jetzt wäre die Zeit
Nachhaltige und erfolgreiche Landes- und Bündnisverteidigung hängt nicht alleine von unserer Armee ab. Die Bundeswehr ist Teil einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung, zu der wir bereit sein müssen. Dazu gehört auch, dass unsere Bundeswehr wieder tief in der Gesellschaft verankert wird. Die Bedrohungslage Deutschlands hat sich längst verändert, jetzt gilt es, die richtigen Schlüsse zu ziehen, damit die Bundeswehr schnellstmöglich wieder verteidigungsfähig wird und damit auch die zugesagten Nato-Verpflichtungen erfüllen kann.
Obwohl tiefgreifende Reformen nötig sind, ist mit den bestehenden Strukturen, Regeln und Gesetzen bereits viel zu erreichen. Für eine einsatzfähige Bundeswehr und resiliente Gesellschaft braucht es vor allem den Willen in Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Die Voraussetzungen dafür sind so gut wie nie: Der Zuspruch in Gesellschaft und Bundestag ist groß!
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