Brutales Vorgehen der Sicherheitskräfte Offenbar Schüsse bei Protesten im Iran – Polizeichef entlassen
Im Südosten Irans gehen Sicherheitskräfte mit großer Härte gegen Demonstrierende vor. Einwohner befürchten, dass es erneut Todesopfer gegeben hat.
Im Südosten Irans sind Sicherheitskräfte Berichten zufolge gewaltsam gegen protestierende Menschen vorgegangen. In weiten Teilen der Großstadt Sahedan sollen nach dem Freitagsgebet Schüsse gehört worden sein, berichteten Augenzeugen. Die Einwohner der Stadt befürchteten viele Todesopfer.
Auch die in den USA ansässige Nachrichtenagentur Human Rights Activist News Agency (Hrana) berichtete auf Twitter, dass Spezialeinheiten hart gegen Demonstrierende vorgegangen seien und auf die Menge geschossen haben.
In sozialen Medien wurden Videos blutiger Szenen geteilt, in denen auch automatisches Gewehrfeuer zu hören war. Die Echtheit der Aufnahmen zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
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Die staatliche Nachrichtenagentur Irna machte "Randalierer" für die Unruhen verantwortlich und erklärte, sie hätten Reifen in Brand gesetzt. Sahedan sei im allgemeinen ruhig. Bereits vor vier Wochen waren Sicherheitskräfte in der Stadt gewaltsam gegen Proteste vorgegangen.
Ungewöhnliche Entlassung eines Polizeichefs
Zuvor war der Polizeichef Sahedans nach Kritik entlassen worden. Medien erklärten, die Entlassung sei Ergebnis einer Untersuchung nach den Protesten vom 30. September in der Stadt. Nach dem Freitagsgebet vor vier Wochen sollen in Sahedan Dutzende Menschen von Sicherheitskräften getötet worden sein. Der Sicherheitsrat der Provinz Sistan-Balutschistan, deren Hauptstadt Sahedan ist, sagte den "unschuldigen Opfern" von tödlichen Auseinandersetzungen Entschädigungen zu, wie Irna am Freitag berichtete.
Ausgelöst wurden die Proteste im September durch Berichte über die mutmaßliche Vergewaltigung eines Mädchens durch einen Polizisten. Offiziell sprachen die Behörden von einem Angriff auf eine Polizeistation und bezeichneten die Teilnehmer der Proteste als "Terroristen". Der Polizeichef habe den Angriff nicht verhindern können, lautete die Kritik.
Die ungewöhnliche Entlassung hatte jedoch auch Spekulationen ausgelöst, dass die Polizeiführung den harten Kurs abgelehnt haben könnte. Auch ein einflussreicher sunnitischer Geistlicher in Sahedan, Maulawi Abdulhamid, kritisierte jüngst den Kurs der politischen Führung in dem mehrheitlich schiitischen Land. Weitere örtliche Geistliche sollen sich seiner Kritik angeschlossen haben.
Regime macht westliche Geheimdienste verantwortlich
Auslöser der systemkritischen Massenproteste im Iran war im vergangenen Monat der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Die Frau starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.
Das iranische Regime in Teheran machte für die Proteste erneut westliche Geheimdienste verantwortlich. In einer am Freitag in den Staatsmedien veröffentlichten Erklärung beschuldigte Irans Geheimdienst die CIA, den britischen Geheimdienst GCHQ sowie den israelischen Mossad, hinter den jüngsten Protesten zu stecken. Auch die Konzerne der Sozialen Medien Facebook, Instagram, Whatsapp und Twitter seien Teil einer Verschwörung.
Bereits in den vergangenen Wochen hatte Irans Führung den Westen und Medien im Ausland dafür verantwortlich gemacht, die Proteste anzuheizen. Die Vorwürfe wurden oft von Drohungen begleitet, den Kurs gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten zu verschärfen.
Regierungsanhänger demonstrieren nach IS-Attacke
Unterdessen demonstrierten Regierungsanhänger bei staatlich organisierten Protesten nach dem Anschlag vom Mittwoch in der Millionenstadt Schiras. Bei dem Anschlag, den die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) für sich reklamierte, wurden 13 Menschen getötet und Dutzende verletzt. Teheran gibt seinen Erzfeinden USA und Israel sowie den Demonstranten eine Mitschuld an der Attacke und kündigte Rache an. Viele Iraner befürchten, dass Sicherheitskräfte nach dem Anschlag noch härter bei Demonstrationen durchgreifen.
Spanischer Fußballfan weiter vermisst
Das spanische Außenministerium äußerte sich am Freitag zu dem Fall eines vermissten Fußballfans, der von seiner Heimat aus zu Fuß auf dem Weg zur Weltmeisterschaft in Katar war und vermutlich im Iran verschwunden ist. Santiago Sánchez Cogedor hatte sich zuletzt auf Instagram am 1. Oktober aus dem Nordirak an der Grenze zum Iran gemeldet. Man wisse nicht, wo der Spanier sei, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Die spanische Botschaft in Teheran stehe mit den iranischen Behörden und den Angehörigen in Spanien im Kontakt.
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Damit dementierte sie Medienberichte, ihr Haus habe eine Festnahme des 40-Jährigen im Iran bestätigt. Die Nachrichtenagentur Europa Press und andere spanische Medien berichteten jedoch unter Berufung auf die Mutter des Vermissten, ihr Sohn sei im Iran im Gefängnis. Es gehe ihm gut und der spanische Botschafter in Teheran wolle ihn im Gefängnis besuchen. Die Botschaft bemühe sich um die Freilassung. Vor wenigen Wochen hatten die Sicherheitsbehörden die Festnahme mehrerer europäischer Staatsbürger im Zusammenhang mit den Protesten gemeldet.
In der Hauptstadt Teheran waren in der Nacht zu Freitag wieder zahlreiche Menschen auf den Straßen. Vielerorts solidarisierten sich Bewohner auch von den Balkonen mit den Demonstrantinnen und Demonstranten, wie Augenzeugen berichteten. Sicherheitskräfte sollen daher Berichten zufolge auch auf Wohnungen geschossen haben. Neben Protestslogans riefen einige Leute auch nach einem Referendum. Viele Menschen fordern jedoch weiterhin den Sturz des Systems. Es gilt als äußerst unwahrscheinlich, dass Irans Führung Zugeständnisse macht und gesellschaftliche Lockerungen beschließt.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP