Ein Jahr nach Giftanschlag Merkel reist nach Moskau, Nawalny sitzt im Lager
Im August 2020 wurde Alexej Nawalny vergiftet, nun reist Angela Merkel zum Jahrestag nach Moskau. Ein heikler Besuch: Präsident Putin steht im Verdacht, den Anschlag befohlen zu haben.
Eigentlich wollte Alexej Nawalny am 20. August 2020 per Flugzeug vom sibirischen Tomsk nach Moskau reisen. Daraus wurde allerdings nichts, der Flieger landete außerplanmäßig in Omsk. Nawalny wurde ins Krankenhaus eingeliefert, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide.
Zwei Tage später wurde der russische Oppositionspolitiker und vehemente Kritiker von Präsident Wladimir Putin nach Deutschland ausgeflogen. Wo etwas später in der Berliner Charité die Ursache für Nawalnys Ringen mit dem Tod gefunden wurde: eine Vergiftung mit dem Kampfstoff Nowitschok.
Merkel im Kreml, Nawalny im Lager
Ein Jahr später hebt ein anderer Flieger in Deutschland mit dem Ziel Russland ab. Angela Merkel reist zum Gespräch mit Wladimir Putin, ausgerechnet am 20. August 2021, dem exakten Jahrestag des Nawalny-Attentats. Ein Thema wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Alexej Nawalny sein. Der Oppositionelle sitzt aufgrund einer umstrittenen Verurteilung in einem Straflager. Berichte über seinen schlechten Gesundheitszustand dort sorgen immer wieder für Beunruhigung.
Merkels Treffen mit Putin an diesem ersten Jahrestag der Vergiftung des wichtigsten Oppositionellen in Russland ist brisant. Denn Putin wird von Nawalny beschuldigt – und von anderen zumindest verdächtigt – den Mordanschlag beauftragt zu haben. Die Verwicklung des FSB in den Anschlag gilt durch journalistische Recherchen jedenfalls fast als gesichert. Zumal auch der andere wichtige russische Geheimdienst GRU vor wenigen Jahren mutmaßlich mit demselben Gift den ehemaligen Sowjetagenten Sergei Skripal vergiftete.
Auch Merkel hat offenbar keine Zweifel mehr. Zeitgleich ist immerhin ein Russe für einen vermutlich staatlich beauftragten Mord im Berliner Tiergarten angeklagt. Viele Oppositionelle und andere, die der Kreml als Verräter betrachtet, wurden mittlerweile Opfer von Anschlägen.
Schon vor einem Jahr sprach Merkel in Nawalnys Fall von "versuchtem Giftmord". Im Wortlaut sagte die Bundeskanzlerin damals: "Alexej Nawalny ist Opfer eines Verbrechens. Er sollte zum Schweigen gebracht werden und ich verurteile das auch im Namen der ganzen Bundesregierung auf das Allerschärfste." Weiter sagte sie: "Es stellen sich sehr schwerwiegende Fragen, die nur die russische Regierung beantworten kann und muss. Die Welt wird auf Antworten warten."
War es ein "Killerkommando"?
Zumal verschiedene Labore, neben dem der Bundeswehr etwa auch solche aus Frankreich und der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW), den illegalen Kampfstoff bei Nawalny nachgewiesen haben. Deutschland und die EU forderten Russland zur Aufklärung des Falls auf – und verhängten Sanktionen, um Druck aufzubauen.
Nur, dass dieser Druck bis heute keine Folgen gezeigt hat. Die russischen Behörden haben keinerlei Ermittlungen eingeleitet, der Kreml unter Putin weist alle Anschuldigungen zurück und dreht den sprichwörtlichen Spieß wie üblich um: Bis jetzt habe der Westen für seine "unentschuldbaren Anschuldigungen" keine Beweise vorgelegt. Ähnliche Formulierungen wählte Moskau stets auch in Bezug auf die Beeinflussung der US-Wahl und andere Sabotageakte, bei denen alle Spruen in den Kreml führten.
Im Vorfeld von Merkels Besuch in Russland wird die Rhetorik jetzt noch schärfer: Westliche Staaten versuchten, Nawalny in den Nachrichten zu halten, "mit dem Ziel, sich in die inneren Angelegenheiten unseres Landes einzumischen", verlautet es aus Putins Machtzentrum. Insbesondere Berlin lasse "keine Gelegenheit aus, den Hype um Nawalny" als Vorwand für "neue Angriffe auf uns" zu nutzen, heißt es ferner beim Außenministerium.
"Er tat, was er wollte"
Es dürfte daher ein interessantes Gespräch zwischen Merkel und Putin werden. Zumal Putin persönlich die Entwicklungen im Fall Nawalny wohl deutlich verfolgt hat, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. So habe der russische Präsident, angesprochen auf seinen Widersacher, beim Gipfel im Juni 2021 mit US-Präsident Joe Biden geantwortet: "Ich gehe davon aus, dass er das wollte." Gemeint ist, "dass er [Nawalny, Anmerkung der Redaktion] sich dafür entschieden hat, verhaftet zu werden", so Putin. "Er tat, was er wollte."
So wird Putin auch darüber informiert gewesen sein, dass Nawalny selbst Ende 2020 angab, einen mutmaßlichen Mittäter des Anschlags auf ihn ausgemacht zu haben. In einem Telefonat habe er den FSB-Mitarbeiter Konstantin Kudrjawzew entlarven können. So oder so, der Fall Nawalny wird weiterhin die deutsch-russischen Verhältnisse überschatten. Auf gemeinsame Wirtschaftsprojekte wie Nord Stream 2 hatten aber weder der Giftanschlag noch der mutmaßliche Auftragsmord in Berlin bislang Auswirkungen.
- Eigene Recherche
- ZDF: Nawalny: "Ich habe meinen Mörder angerufen"
- Süddeutsche Zeitung: Als Putin seinen Ärger nicht mehr verbergen kann
- Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und dpa