Streit um Nordirland-Regeln Boris Johnson gibt beim G7-Gipfel den Oberlehrer
Einer der Brexit-Knackpunkte war stets die Nordirland-Frage. Beim G7-Gipfel kocht das Thema erneut hoch. Während die EU auf gemeinsamen Absprachen beharrt, gibt Boris Johnson den Geographielehrer.
Der Streit zwischen der EU und Großbritannien über die Brexit-Sonderregeln für Nordirland trübt auch beim G7-Gipfel die Stimmung. EU-Spitzenvertreter drängten den britischen Premierminister Boris Johnson am Rande des Treffens in Carbis Bay mit deutlichen Worten zur Einhaltung von Absprachen. Der Regierungschef wehrte sich jedoch und wies die EU-Vertreter zurecht.
"Ich habe heute hier mit einigen unserer Freunde gesprochen, die offenbar missverstehen, dass das Vereinigte Königreich ein geeintes Land, ein geeintes Territorium ist. Das muss ich in ihre Köpfe bekommen", erklärte Johnson oberlehrerhaft. Aus seiner Sicht ist jetzt die EU am Zug. Brüssel müsse klar sein, "dass wir tun werden, was notwendig ist", sagte der Premier.
Was Johnson meinte: Um Druck auf Brüssel auszuüben, behält sich London einseitige Maßnahmen vor. Immer wieder brachte die britische Regierung dabei das Ziehen der vereinbarten Notfallklausel für die irische Grenze ins Spiel, den sogenannten Artikel 16. Das würde Kontrollen an der Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland auslösen. Ein solcher Schritt, so wird befürchtet, könnte den alten Konflikt auf der irischen Insel erneut aufleben lassen.
Die EU-Seite pochte in Carbis Bay hingegen auf die beiderseitigen Verabredungen. "Beide Seiten müssen das umsetzen, was wir vereinbart haben", teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem Gespräch mit Johnson mit. Die EU sei sich bei diesem Thema absolut einig. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron mahnte, dass Großbritannien das den Europäern gegebene Wort halten und den Rahmen des Brexit-Vertrags respektieren müsse.
Auf der irischen Insel ist eine Zollgrenze entstanden
Anlass des Streits ist das erst vor wenigen Monaten vereinbarte Nordirland-Protokoll, das zum Brexit-Vertrag gehört. Es soll Kontrollen an der Grenze von Nordirland zum EU-Staat Irland verhindern. Ziel war, neue Spannungen in der einstigen Bürgerkriegsregion zu vermeiden. Allerdings ist durch die Vereinbarungen nun eine Zollgrenze zum Rest des Vereinigten Königreichs entstanden, die zu Handelshemmnissen geführt hat. Infolgedessen kam es bereits zu Ausschreitungen meist protestantischer Anhänger der Union mit Großbritannien.
Aus EU-Kreisen hieß es, man habe sich schon sehr flexibel gezeigt. Ein EU-Beamter mahnte, die Rhetorik herunterzuschrauben und aktiv nach Lösungen im Rahmen des Nordirland-Protokolls zu suchen. Die EU wirft Großbritannien seit Monaten eine mangelnde Umsetzung von Brexit-Absprachen vor. So kritisiert Brüssel vor allem, dass Vereinbarungen zur Kontrolle des Warenverkehrs zwischen Nordirland und den anderen Teilen des Vereinigten Königreichs nicht eingehalten würden.
London hatte etwa ohne Absprache Übergangsfristen verlängert, während denen Lebensmittel aus Großbritannien bei Ankunft in Nordirland nicht kontrolliert werden. Die Regierung begründete den Schritt damit, die Versorgung in der britischen Provinz sei ansonsten gefährdet. Johnson hatte zu den Gesprächen mit den EU-Spitzen am G7-Gipfelort Carbis Bay extra seinen Brexit-Minister David Frost hinzugeholt.
Biden stellt sich hinter die EU
Die Gruppe der Sieben (G7) tagt noch bis zu diesem Sonntag. Dazu gehören die USA, Deutschland, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan. Auch die EU nimmt teil. US-Präsident Joe Biden, der irische Wurzeln hat, und der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau unterstützen die EU-Sicht, dass die Abmachungen eingehalten werden müsse.
Die Chefin der Welthandelsorganisation (WTO), Ngozi Okonjo-Iweala, rief die EU und Großbritannien zu einer Einigung auf. Sie hoffe sehr, dass es keinen Handelskrieg gibt. "Es ist zu teuer und auch nicht das, was die Welt derzeit braucht", sagte die WTO-Generaldirektorin.
- Nachrichtenagentur dpa