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Justin Trudeau und der Rücktritt: Vom Hoffnungsträger zur Enttäuschung


Kanadas Premier Justin Trudeau
Vom Hoffnungsträger zur Enttäuschung


06.01.2025 - 19:56 UhrLesedauer: 4 Min.
Justin Trudeau: Der liberale Politiker ist als kanadischer Premierminister zurückgetreten.Vergrößern des Bildes
Justin Trudeau: Der liberale Politiker ist als kanadischer Premierminister zurückgetreten. (Quelle: IMAGO/Spencer Colby)
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Für neun Jahre war Justin Trudeau kanadischer Premierminister. Er kam als Hoffnungsträger – und geht als Enttäuschung.

Bei seinem Amtsantritt galt er als absoluter Star der kanadischen Politik. Als Justin Trudeau im Oktober 2015 zum Premierminister Kanadas gewählt wurde, setzten viele Menschen ihre Hoffnungen in den damals 43-Jährigen. Manche Beobachter verglichen den Liberalen gar mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama.

In den zehn Jahren vor der Wahl Justin Trudeaus hatten die Konservativen Kanada regiert. Der junge Liberale war damals mit großen Worten und noch größeren Ansprüchen zur Wahl angetreten – und führte seine Partei zur absoluten Mehrheit. Den jubelnden Anhängern in seiner Heimatstadt Montreal rief er die Worte entgegen, die zum Mantra seines Regierungsstils werden sollten: "Sonnige Wege, meine Freunde. Sonnige Wege. Das ist, was positive Politik schaffen kann."

Hoffnung auf neue Ära

Trudeau versprach dem Land den Beginn einer neuen Ära: Kanada sollte sein Ansehen auf der Weltbühne zurückerlangen, er wollte sich für den Klimaschutz und die Versöhnung mit den indigenen Völkern im zweitgrößten Land der Erde einzusetzen. Außerdem plante er, Wissenschaftlern und Experten die Möglichkeit zu geben, sich vor Ministerinnen und Ministern zu äußern, die wirtschaftlichen Ungleichheiten in Kanada auszugleichen und die Mittelschicht zu vergrößern.

Gemeinsam mit seiner Frau, einer ehemaligen Journalistin, und den drei Kindern des Paares, zug Trudeau als 23. Premierminister in die Residenz der kanadischen Regierungschefs nach Ottawa. Die Familie hatte Promi-Appeal und war bei den Medien beliebt. Die perfekten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Regierungszeit.

Zahlreiche Herausforderungen

Doch Trudeau sah sich schon bald mit enormen Herausforderungen für die Regierung konfrontiert: die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und globalen Störfaktor; der Aufstieg eines neuen aggressiven Chinas unter Xi Jinping; die Neuverhandlung eines nordamerikanischen Freihandelsabkommens; die Verhaftung eines hochrangigen chinesischen Huawei-Managers auf kanadischem Boden, die zur willkürlichen Verhaftung von zwei Kanadiern und zu Handelsrepressalien durch China führte; die COVID-19-Pandemie; Russlands Einmarsch in der Ukraine und Krieg im Nahen Osten.

Aus den zahlreichen Krisen in Trudeaus Amtszeit folgten deutliche Anstiege der Energiepreise, Blockaden in den Lieferketten, eine Zunahme protektionistischer und nationalistischer Bestrebungen auf der ganzen Welt, hohe Inflation, Zinserhöhungen und eine Abneigung gegen etablierte Unternehmen überall.

Trudeau legte sich selbst Steine in den Weg

Doch abgesehen davon legte sich Trudeau auch selbst Steine in den Weg. Vor einer Abstimmung stieß der Premierminister eine Abgeordnete des Parlaments mit dem Ellbogen zur Seite. Außerdem erlitt sein Image Kratzer durch einen Skandal wegen unterdrückter Korruptionsermittlungen gegen eine kanadische Firma. Hinzu kamen Rücktritte von Ministerinnen und ein altes Foto, auf dem Trudeau mit geschwärztem Gesicht zu sehen war, was ihm Rassismus-Vorwürfe einbrachte.

Während all dieser Krisen und Probleme schwand die liberale Mehrheit im kanadischen Parlament. Zur Wahl 2021 wurde der Ton rauer, es gab immer mehr Beleidigungen und Drohungen gegen Politiker.

Dann kam der sogenannte "Freedom Convoy". Im Jahr 2022 blockierten LKW-Fahrer in einem riesigen Protestkonvoi die kanadische Hauptstadt Ottawa und die kanadisch-amerikanischen Grenzübergänge. Die Polizei war nicht in der Lage, den Konvoi zu räumen, weil Zuständigkeiten nicht geklärt werden konnten.

Trudeau hatte die Demonstranten zuvor als eine Randgruppe abgetan. Um die Trucker räumen zu lassen, berief er sich auf den "Emergencies Act" – eine Art Notstandsgesetz, das dem Staat weitreichenden Einfluss erteilte und Bürgerrechte wie die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit außer Kraft setzte. Trudeaus Einsatz dieses Gesetzes wurde zwar durch eine erste Untersuchung für legitim erklärt, doch ein Bundesgericht erklärte die Anwendung des Gesetzes später für verfassungswidrig.

Hat Trudeau zu lange gewartet?

Kritiker forderten den Rücktritt des einst so beliebten Premierministers schon lange. Die Tageszeitung "Toronto Star", die in der linken Mitte des politischen Spektrums zu verordnen ist, kritisiert, dass Trudeau mit seinem Rücktritt so lange gewartet hat. "Die Liberalen haben nur wenig Zeit, um einen neuen Vorsitzenden zu wählen", heißt es dort. "Aber da es vielleicht nur noch wenige Wochen bis zum nächsten Wahlkampf sind und die Konservativen in der öffentlichen Meinung 20 Punkte Vorsprung haben, ist es zweifelhaft, dass sich noch viel ändern kann." So würde Trudeau mit seinem späten Rücktritt den Konservativen die nächste Regierung quasi schenken.

Hinzu kommt, dass sich Trudeau keinen Nachfolger in der Partei herangezogen hat. Bis zu sechs Politikerinnen und Politiker könnten sich um das Amt des Parteivorsitzenden streiten – einige Beobachter sehen sogar die Gefahr der Parteispaltung.

Bislang war es Trudeau immer gelungen, die Bildung verschiedener Fraktionen innerhalb der Liberalen Partei Kanadas zu verhindern. Wer hart arbeitete, konnte sich einen Namen innerhalb der Fraktion machen. So schaffte es Trudeau, ein großes Maß an Disziplin in der eigenen Partei zu schaffen – die auch dann hielt, als die öffentliche Unterstützung für ihn im vergangenen Jahr abnahm.

Politische Krise

2024 verlor er allerdings zwei kritische Wahlen in urliberalen Wahlbezirken. Ein Desaster für den Premierminister, das kritische Stimmen in seiner Partei lauter werden ließ. Die politische Krise des Justin Trudeau kulminierte im Dezember 2024, als Chrystia Freeland zurücktrat. Die Finanzministerin und stellvertretende Regierungschefin galt zuvor als wichtige Verbündete und enge Vertraute des Premierministers.

In einem offenen Brief prangerte sie zeitlich zu ihrem Rücktritt die Entscheidungsfindung des Premierministers in einer Zeit wirtschaftlicher Bedrohung angesichts des von Donald Trump heraufbeschworenen Zollkriegs an. Mit ihrem Rücktritt warf Freeland die Wirtschaftsprognose aus der Bahn. Am selben Tag folgte auch noch der Rücktritt des Wohnungsbauministers Sean Fraser, die Rufe nach einem Ende von Trudeaus Legislatur wurden lauter.

Trudeau hinterlässt ein schwieriges Erbe

Mit seinem Rücktritt hinterlässt Justin Trudeau der Liberalen Partei Kanadas ein äußerst schwieriges Erbe. Er war während seiner bisherigen Laufbahn ein Politiker, der vor allem mit seinem Charisma überzeugte – und das kein Mitglied aus seiner bisherigen Regierung in diesem Maße hat.

Was die Zukunft für Kanada bereithält, ist ungewiss. Das riesige Land muss eine neue Führung finden – eine, die es gegen Attacken wie die des designierten US-Präsidenten Donald Trump verteidigen kann. Der spricht in den verschiedenen sozialen Medien immer wieder davon, Kanada zum 51. Bundesstaat der USA zu machen. Auch wenn diese Aussicht unrealistisch erscheint: Sie zeigt, wie wichtig es für Kanada ist, einen Premierminister zu haben, der die Interessen des Landes mit Stärke nach Außen vertritt.

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