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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kriegsrecht-Chaos in Südkorea "Da demonstrierten seine Anhänger zu deutscher Technomusik"
Südkorea wird von turbulenten innenpolitischen Entwicklungen in Atem gehalten. Eine Expertin vor Ort ordnet ein, was dort gerade vor sich geht.
Südkorea steckt tief in der Krise. Erst hatte das Präsident des Landes, Yoon Suk Yeol, das Kriegsrecht ausgerufen. Dann zwang ihn die Opposition dazu, die Entscheidung zurückzunehmen. Seitdem sorgt sich das Land vor einem Machtvakuum.
Wie es nun weitergeht, erklärt Elisabeth Meissgeier. Die Expertin für südkoreanische Politik lebt seit Jahren in Seoul. Sie weiß nun, was es bedeutet, wenn plötzlich Militärhubschrauber über das eigene Haus fliegen, weil die Regierung im Chaos versinkt.
t-online: Frau Meissgeier, als Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol das Land mit seiner Ankündigung überrascht hat, war es mitten in der Nacht. Wie haben Sie davon erfahren?
Elisabeth Meissgeier: Über eine rote Eilmeldung auf X, früher Twitter. Ich wusste aber sofort: Das ist Quatsch, es gibt keinen Krieg. In Korea bekommt man bei jeder kleineren Gefahr – sei es ein kleines Erdbeben oder eine Rakete aus dem Norden – sofort Alarmmeldungen aufs Handy. Aber diesmal gab es keine einzige. Meine Vermutung war deshalb sofort: Es geht hier nicht um eine echte Bedrohung, sondern um eine politische Strategie von Präsident Yoon.
Zur Person
Elisabeth Meissgeier lebt seit 2021 in Seoul. Sie hat an Koreas Eliteuniversität Yonsei Globale Politik und internationale Beziehungen studiert, vorher bereits ein Auslandssemester an der Chung-Ang-Universität verbracht. Sie war für verschiedene politische Organisationen tätig, arbeitet nun für ein koreanisches Unternehmen.
Ist Ihr Umfeld auch so locker damit umgegangen?
Ja, zuerst schon. Mein koreanischer Freund hat nur geschrieben: "Mach dir keine Sorgen, das ist Unsinn. Ich gehe jetzt schlafen." Eine Freundin meinte, dass der Präsident vielleicht betrunken war. Schnell hat sich jedoch gezeigt, dass es trotzdem brenzlig wird: nicht wegen eines Krieges, sondern für die koreanische Demokratie.
Inwiefern?
Die Nationalversammlung wurde abgeriegelt, Soldaten haben sie blockiert. Deshalb konnten die Abgeordneten nicht abstimmen. Gleichzeitig hat Yoon weitreichende Einschränkungen angekündigt, ohne einen nachvollziehbaren Grund zu nennen. Während ich davon las, hörte ich viele Helikopter über meinem Haus. Die fliegen hier normalerweise nur bei Militärübungen. Das war bedrohlich. Da wusste ich: Die Situation ist außer Kontrolle geraten.
Vielen Südkoreanern scheint es ähnlich gegangen zu sein. Es gab schnell Massenproteste.
Ja, nach anfänglicher Resignation sind viele aktiv geworden. Während die Soldaten Parlamentarier blockierten, halfen Zivilisten, ihnen den Weg in die Nationalversammlung freizumachen. Sie haben nicht nur protestiert, sondern sind aktiv gegen die Soldaten vorgegangen.
Haben sie so schnell reagiert, weil die Angst vor Militärdiktaturen in Südkorea besonders groß ist? So eine gab es ja zuletzt in den Achtzigerjahren.
Definitiv. Die Demokratie in Korea ist sehr jung. Ist sie unter Beschuss, sind viele schnell in Alarmbereitschaft. Auch, weil sich viele noch an die brutale Unterdrückung erinnern, die es hier in den Siebziger- und Achtzigerjahren gab. Besonders ein Massaker in der Stadt Gwangju im Jahr 1980, bei dem Hunderte getötet wurden, ist ein nationales Trauma. Die Erinnerung treibt viele Menschen dabei an, zu sagen: "So etwas lassen wir nicht mehr zu."
Sobald die Abgeordneten es in das Parlament geschafft hatten, haben sie gegen das Kriegsrecht gestimmt. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Dass sogar Politiker aus Yoons eigener Partei dafür gestimmt haben, zeigt, dass die südkoreanische Demokratie ziemlich widerstandsfähig ist. Viele hätten dem Parlament so eine geschlossene Reaktion kaum zugetraut. Aber anscheinend ging es hier mehr darum, Schaden abzuwenden, als um Parteibuch und Karriere.
Wer ist Präsident Yoon überhaupt? Viele Deutsche hat seine Ankündigung ratlos zurückgelassen.
Das geht vielen Koreanern ganz genauso. Yoon ist ein unkonventioneller Politiker. Oft sagt er überraschende Dinge, kommuniziert schlecht. Er hält nur wenige Pressekonferenzen ab, setzte sich dafür ein, nur ausgewählte Journalisten zuzulassen. Kritische Medien will er finanziell benachteiligen. Viele Menschen sehen ihn als autoritär.
Warum ist er diesen Schritt gegangen?
Seine Zustimmungsrate ist extrem niedrig, auch aufgrund solcher überraschenden Aktionen und eines mutmaßlichen Korruptionsskandals um seine Frau. Seine Ziele konnte er deshalb innenpolitisch kaum noch durchsetzen. Die Verhandlungen über einen neuen Haushalt scheiterten, die Opposition blockiert ihn. Offenbar hielt er das Kriegsrecht für den letzten Ausweg. Warum er das aber genau getan hat, weiß niemand so wirklich.
Yoon warf seinen Gegnern Nähe zu Nordkorea vor. Ist da etwas dran?
Nein, mir sind zum jetzigen Stand keine handfesten Beweise für Yoons Äußerungen bekannt. Anderen so etwas vorzuwerfen, ist in Südkorea eine Art politische Allzweckwaffe: Die Sorge vor unserem Nachbarn ist sehr groß. Aber niemand glaubt Yoon, zumindest in meinem Bekanntenkreis.
Welche Auswirkungen haben seine Taten in Bezug auf Nordkorea?
Das Verhältnis zum Nachbarland ist nun viel angespannter. Die Vorgängerregierung von Ex-Präsident Moon Jae In stand für eine versöhnliche Haltung gegenüber Nordkorea. Yoon will das Gegenteil. Es gibt kaum noch Drähte über die Grenze. Nordkorea droht dem Süden immer wieder, startet Spionagesatelliten, soll Müllballons über die Grenze geschickt haben.
Ist die Regierungskrise in Südkorea ein Sicherheitsrisiko, weil Nordkorea und seine Verbündeten China und Russland sie für sich nutzen könnten?
Tatsächlich beobachten die USA und andere westliche Länder die Situation deshalb sehr genau. Ich glaube aber, dass Nordkorea gerade zu sehr mit Krisen im eigenen Land zu tun hat, um ein mögliches Machtvakuum in Südkorea auszunutzen. China würde da Stand jetzt auch nicht mitmachen. Russland hat mit dem Krieg in der Ukraine auch keine Kapazitäten offen.
Wie geht es für Yoon jetzt weiter?
Die Opposition hat seine Amtsenthebung beantragt. Ich denke, dass er das politisch nicht überleben wird. Dann müsste es innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen geben.
Hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass es zu solchen Zuständen kommt?
Das Land ist tief gespalten. Zwischen den zwei großen Parteien gibt es so starke Differenzen, dass sie bei vielen Themen kaum noch zusammenarbeiten können. Yoon ist zwar meiner Meinung nach kein Antidemokrat. Aber er hat vor einigen Jahren eine populistische Bewegung gestartet. Die Demonstrationen seiner Anhänger haben mich anfangs sehr irritiert: Da versammelten sich Leute, demonstrierten zu deutscher Technomusik und riefen, dass sein Amtsvorgänger ins Gefängnis muss. Und tatsächlich sind fast alle südkoreanischen Präsidenten irgendwann im Gefängnis gelandet. (Lesen Sie hier mehr dazu.) Dass die Lage aber unter Yoon so eskaliert, hat mich also eigentlich nicht überrascht.
Am Tag nach dieser Krisennacht ist für Sie ein normaler Arbeitstag gewesen. Haben Sie Unterschiede gemerkt?
Die Situation war heute überall Thema. Eine Freundin hat zu mir gesagt: Letztens hast du noch von der Regierungskrise in Deutschland erzählt, jetzt ist es hier genauso. Es gibt eine unterschwellige Anspannung, auch weil überall Soldaten in der Stadt aufgetaucht sind. Viele haben panisch Vorräte gekauft: Reis, Wasser, Erste-Hilfe-Sets. Der Absatz in kleineren Supermärkten ist deswegen durch die Decke gegangen.
Glauben Sie, dass die Demokratie in Südkorea langfristig stabil bleibt?
Ich glaube ja. Auch wenn viele Koreaner im Alltag wenig über Politik sprechen: Hier sind insgesamt alle sehr politisch. Das beginnt im Kleinen: Koreaner vernetzen sich über soziale Medien, um Petitionen zu starten. Auch wenn ich als Ausländerin diplomatisch bleiben möchte und Hemmungen habe, an Demonstrationen teilzunehmen: Als ich die Proteste sah, hatte ich Tränen in den Augen. Dass die Menschen hier so schnell reagiert haben, macht mir Hoffnung darauf, dass Südkoreas Demokratie stabiler ist, als es viele vermutet haben.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Meissgeier.
- Interview mit Elisabeth Meissgeier