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Joe Biden in Berlin | Ukraine-Treffen: Sie gehen auf dem Zahnfleisch


Ukraine-Dilemma
Putin holt tief Luft


Aktualisiert am 18.10.2024 - 10:38 UhrLesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident setzt darauf, dass er im Ukrainekonflikt den längeren Atem hat.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident setzt darauf, dass er im Ukraine-Konflikt den längeren Atem hat. (Quelle: IMAGO/Mikhail Metzel/Kremlin Pool/imago-images-bilder)

US-Präsident Joe Biden trifft bei seinem Besuch in Berlin die Regierungschefs von Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Dabei geht es vor allem um weitere Unterstützungen für die Ukraine. Aber im Westen herrscht wachsende Kriegsmüdigkeit.

Weltweit gibt es in Armeen Codes, die kein Soldat gern verwendet. "Verschossen!", rufen etwa Bundeswehrsoldaten, wenn sie keine Munition mehr haben. Es ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit, besonders in Situationen, in denen man angegriffen wird.

Verschossen. Neben der täglichen Konfrontation mit dem Schrecken des Krieges – Verletzungen und Tod – haben ukrainische Soldaten im Kampf gegen Russland immer wieder mit Munitionsproblemen zu kämpfen. Der ukrainische Soldat Victor beschrieb im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters die Lage wie folgt: "Ich sehe meine Freunde, was mit ihnen passiert ist, wogegen wir kämpfen. Es ist die Hölle, es ist schlimmer als die Hölle."

Trotzdem hat es das westliche Bündnis seit Beginn der russischen Invasion bisher kaum geschafft, die ukrainischen Verteidiger über einen längeren Zeitraum mit ausreichend Munition zu versorgen, um zumindest annähernd eine Feuergleichheit herzustellen.

Video | US-Präsident Biden in Berlin gelandet
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Quelle: reuters

Aber wird sich das noch ändern?

US-Präsident Joe Biden trifft bei seinem Deutschland-Besuch am Freitag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und den britischen Premierminister Keir Starmer. Die Europäische Union als Staatenbund ausgeklammert, kommen in Berlin also die Regierungschefs der drei größten Geldgeber für die Ukraine zusammen – und Frankreich. Dementsprechend wird es bei dem Treffen im sogenannten Quad-Format einerseits um weitere Hilfspakete gehen. Andererseits sucht der Westen auch nach einem neuen Kurs.

Denn eines liegt auf der Hand: Der innenpolitische Druck auf viele westliche Staaten ist immens, die Ukraine-Unterstützung geht auf dem Zahnfleisch und Kriegsmüdigkeit ist an einigen Stellen eingetreten. So wie bisher wird es nicht weitergehen können.

"Siegesplan" erhöht Druck

Vor diesem Hintergrund hat auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in dieser Woche seinen sogenannten "Siegesplan" im ukrainischen Parlament vorgestellt. Die darin geäußerten Bitten an den Westen waren keine Überraschung, sie liegen schon seit Monaten auf dem Tisch. Die Ukraine strebt eine Nato-Mitgliedschaft an, sie bittet um deutlich mehr Unterstützung mit Waffen, Munition und militärischem Gerät. Und sie möchte westliche Waffen auch gegen weiterreichende Ziele in Russland verwenden dürfen.

Damit reagiert die ukrainische Führung auf die zunehmende Kriegsmüdigkeit im Westen. Denn laut Selenskyj könnte die ukrainische Armee, sollten alle Bitten seines "Siegesplanes" erfüllt werden, Kremlchef Wladimir Putin binnen des kommenden Jahres an den Verhandlungstisch zwingen und aus einer Position der Stärke heraus den Krieg beenden.

Dabei ist völlig unklar, ob diese Prognose wirklich realistisch ist. Aber Selenskyj hat mit seiner Werbetour für den Plan vor allem eines geschafft: Der Ball liegt nun wieder beim Westen und westliche Regierungen können nun entscheiden, ob sie genug Anstrengungen unternehmen möchten, damit die Ukraine als Staat überlebt. Das setzt zusätzlich die Europäer unter Druck, weil Russland auch die Sicherheit anderer Länder auf dem Kontinent bedroht.

Putin setzt auf russisches Durchhaltevermögen

Trotzdem gilt es nicht als besonders wahrscheinlich, dass der ukrainische Präsident kurzfristig einen größeren Teil seines Plans erfüllt sehen wird. Im Gegenteil: Auch in Berlin wird es bei dem Treffen zunächst einmal darum gehen, die kurzfristige Verteidigungsfähigkeit der Ukraine aufrecht zu halten. Sie braucht Munition, neue Panzer und Fahrzeuge, um die Brigaden auszurüsten, die schon ausgebildet wurden.

Es geht also erst einmal darum, die ukrainische Armee durch den Winter zu bringen.

Darüber hinaus offenbart sich ein riesiges Dilemma, das aktuell immer sichtbarer wird. In einigen westlichen Staaten erhöhen die Bevölkerungen und russlandfreundlichen Parteien den innenpolitischen Druck auf die Regierungen, dass dieser Krieg möglichst bald ein Ende findet. Das Problem: Ein Kriegsende liegt nicht in ihrer Hand, denn Wladimir Putin möchte weiterkämpfen, weil er natürlich auch die gegenwärtige Schwäche des Westens sieht.

Der russische Präsident holt tief Luft und geht noch immer davon aus, dass er den längeren Atem hat. Dieser Plan könnte tatsächlich aufgehen, was wiederum damit zu tun hat, dass sich viele westliche Demokratien momentan in einer politischen Phase der Defensive befinden.

Westliche Demokratien in der Defensive

Bei dem Treffen im Quad-Format steht lediglich die Ukraine-Unterstützung von Großbritannien auf einem stabilen Fundament. Die USA befinden sich aktuell in der heißen Phase des Wahlkampfes und sollte der ehemalige US-Präsident Donald Trump erneut ins Weiße Haus einziehen, könnte er die Ukraine zu einem schlechten Friedensdeal zwingen.

Denn eines ist klar: Ohne die Amerikaner hätten die europäischen Nato-Staaten nicht die militärischen Kapazitäten, um diese Lücke zu füllen. Doch selbst wenn Vizepräsidentin Kamala Harris die US-Präsidentschaftswahl am 5. November gewinnt, wird sich die Unterstützung der Amerikaner wahrscheinlich weiter abschwächen.

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Denn die US-Regierung hat bisher laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft 100 Milliarden Euro für die Unterstützung der Ukraine ausgegeben und ein Großteil der Amerikaner sieht diesen Krieg nicht als amerikanisches Problem und weiß teilweise gar nicht, wo die Ukraine liegt. Es ist ein großer Teil der US-Gesellschaft, der sein Land nicht mehr in der Rolle des Weltpolizisten sehen möchte. Ein anderer Teil nimmt die geopolitische Rivalität mit Russland nicht wirklich ernst, sondern möchte sich auf den Konflikt mit China konzentrieren.

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Innenpolitische Lage ist kompliziert

Deswegen sehen es Experten als durchaus wahrscheinlich, dass Biden in Berlin versuchen wird, ein Stück Verantwortung für die Ukraine an die Europäer abzugeben. Aber auch das ist ein Problem.

Denn auch die zentralen Führungsmächte innerhalb der Europäischen Union sind innenpolitisch in einem desolaten Zustand. In Deutschland rettet sich die Ampel noch in das letzte Jahr der Legislatur, der Bundestagswahlkampf 2025 wird bald beginnen. In einer Zeit, in der Deutschland wirtschaftlich angeschlagen ist und in der sich die Bundesregierung nur schwer auf einen Haushalt verständigen kann, sind keine großen Sprünge bei der Unterstützung der Ukraine wahrscheinlich.

Ähnlich kompliziert ist die innenpolitische Lage in Frankreich. Nachdem Macron im Sommer vorgezogene Parlamentswahlen ausgerufen hatte, haben diese vor allem die politischen Ränder gestärkt. Nun regiert seit Ende August ein fragiles Mitte-rechts-Bündnis, nach Monaten des innenpolitischen Stillstandes, der natürlich auch für die Ukraine spürbar war.

Keine Frage. Natürlich würde Biden in den letzten Monaten seiner Präsidentschaft gern die Weichen in Richtung Kriegsende stellen. Das gilt auch für Scholz, der sich im EU-Wahlkampf schon als Friedenskanzler inszenieren wollte. Im Ukraine-Konflikt den Weg für eine Verhandlungslösung zu pflastern, der die Souveränität der Ukraine wahrt, wäre ein massiver Pluspunkt im Wahlkampf. Doch Scholz musste erleben, dass sein Gesprächsangebot vom Kreml schlichtweg abgelehnt wurde.

Das zeigt vor allem eines: Der Westen müsste zunächst einmal die Kraft aufbringen, die Ukraine so weit zu stärken, dass sie auf Augenhöhe verhandeln kann. Putin weiß, dass ihm die gegenwärtige Schwäche der westlichen Demokratien in die Karten spielt. Deshalb wartet er ab, ob die Verbündeten der Ukraine ihren Kurs korrigieren können – oder eben nicht.

Verwendete Quellen
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