Schlagabtausch bei den UN Armenien: Aserbaidschan plant "ethnische Säuberungen"
Trotz Waffenstillstands bleibt die Lage in Bergkarabach weiterhin angespannt. Vor dem UN-Sicherheitsrat erhebt Armenien schwere Vorwürfe gegen sein Nachbarland.
Während der Sitzung des UN-Sicherheitsrats warf Armenien Aserbaidschan "ethnische Säuberungen" in Bergkarabach vor. Aserbaidschan verteidigte sein Vorgehen hingegen als "Anti-Terror-Maßnahme".
"Die Intensität und Grausamkeit der Offensive macht deutlich, dass die Absicht darin besteht, die ethnische Säuberung der armenischen Bevölkerung von Bergkarabach abzuschließen", erklärte der armenische Außenminister Ararat Mirzoyan. Laut Mirzoyan wurden mehr als 10.000 Menschen gewaltsam vertrieben, darunter Frauen, Kinder und ältere Menschen, die ohne Nahrung und andere Lebensmittel im Freien leben müssten. Tausende Familien seien auseinandergerissen worden.
Vorwüfe gegen internationale Gemeinschaft
Die Lage sei seit Längerem alarmierend gewesen. Die internationale Gemeinschaft habe sich aber geweigert, die Alarmzeichen ernst genug zu nehmen, beklagte der armenische Minister. Der UN-Sicherheitsrat habe in der Vergangenheit nicht angemessen reagiert. "Die Rechte und die Sicherheit des armenischen Volkes von Bergkarabach müssen angemessen berücksichtigt und international garantiert werden".
Aserbaidschan hingegen stellt sein Vorgehen als Kampf gegen Terroristen dar. So erklärte der aserbaidschanische Außenminister Jeyhun Bayramov: "Was Armenien der internationalen Gemeinschaft als Angriff auf friedliche Bewohner der Region Karabach in Aserbaidschan darzustellen versucht, sind in Wirklichkeit Anti-Terror-Maßnahmen Aserbaidschans", sagte er.
Es gebe Tausende Einheiten Armeniens in der Region. Diese seien mit schweren Waffen wie Panzern und anderen gepanzerten Fahrzeugen, Artilleriegeschützen, Mehrfachraketenwerfern, Mörsern sowie elektromagnetischen Waffen ausgestattet.
Diese Truppen hätten die Streitkräfte Aserbaidschans immer wieder beschossen, ihre Kampfstellungen befestigt sowie Schützengräben und Militärunterkünfte gebaut, sagte der Außenminister weiter. Bayramov hielt Fotos hoch, die seine Worte untermauern sollten. In der Folge sei es zum Angriff auf diese gekommen, wobei innerhalb von 24 Stunden mehr als 90 Außenposten, 20 Kampffahrzeuge, 40 Artilleriegeschütze, 30 Mörser und 2 Flugabwehrraketensysteme zerstört worden seien. Armenien allein trage die Verantwortung für die Vorfälle.
Keine EU-Erklärung wegen Blockade Ungarns
Baerbock, die sich wegen der UN-Generaldebatte in New York aufhielt, betonte: "Jetzt ist die Zeit zur Deeskalation". Zugleich warnte die Grünen-Politikerin davor, die armenische Demokratie zu destabilisieren, und forderte eine vollständige Einstellung der Militäraktionen. Man habe zwar die Berichte über einen Waffenstillstand zur Kenntnis genommen. "Was wir aber brauchen, ist ein völliges Ende der Gewalt." Aserbaidschan trage die Verantwortung, die Zivilbevölkerung von Bergkarabach zu schützen.
Eine Vertreibung oder erzwungene Abwanderung ethnischer Armenier aus Bergkarabach sei nicht akzeptabel. Zugleich dürfe die territoriale Integrität und Souveränität Armeniens und Aserbaidschans nicht infrage gestellt werden.
Aus deutschen Delegationskreisen in New York hieß es, es sei bedauerlich, "dass Ungarn als einziger Mitgliedstaat nicht bereit war, eine gemeinsame EU-Erklärung mitzutragen und diese blockiert hat." Es habe Diskussionen über Sanktionen gegeben, zu denen Deutschland durchaus bereit gewesen wäre.
Putin telefonierte mit beiden Staatschefs
Die Vereinten Nationen mahnten in der Sicherheitsratssitzung einen "echten Dialog zwischen der Regierung Aserbaidschans und Vertretern der Region" an. Oberste Priorität habe der Schutz der Zivilbevölkerung.
Russlands Vize-UN-Botschafter Dmitri Poljanski sagte, nun müsse "eine Wiederaufnahme der Kämpfe verhindert und die Situation wieder in eine politische Richtung gelenkt" werden. Die Präsidenten von Aserbaidschan und Armenien hätten sich in Telefonaten mit Kremlchef Wladimir Putin zu einer Deeskalation verpflichtet.
Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte die auf seinem Staatsgebiet gelegene, mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach seit Dienstagmorgen mit Raketen und Artillerie angegriffen, um sie zu erobern. Am Mittwoch gaben die militärisch unterlegenen Armenier auf.
Viele von ihnen befürchten nun, aus ihrer Heimat vertrieben oder – wenn sie bleiben – zum Ziel aserbaidschanischer Gewalt zu werden. Durch die Kämpfe der vergangenen Tage wurden laut armenischen Medien mindestens 200 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt. Lesen Sie hier mehr zu den Hintergründen des Konflikts.
- Nachrichtenagentur dpa