Sabotage-Vorwürfe Deutsche Wahlbeobachter in der Türkei offenbar behindert
Bewaffnete Polizisten und Blockaden: Die Berichte von Wahlbeobachtern der Linken-Partei zeichnen ein ungutes Bild. Ein Grünen-Politiker fürchtet noch mehr Autokratie.
Die ganze Welt schaut auf die Wahlen in der Türkei. Noch bevor alle Stimmen ausgezählt waren, wurden erste Unregelmäßigkeiten gemeldet. Regierung und Opposition überziehen sich mit gegenseitigen Vorwürfen der Sabotage – und Wahlbeobachter berichten in den sozialen Medien von möglichen Wahlmanipulationen und blockierten Auszählungen.
Die Meldungen von Gesandten der Linken-Partei, die vor Ort sind, zeichnen ein ungutes Bild: Linken-Chefin Janine Wissler meldete der Nachrichtenagentur AFP, dass Wahlbeobachter einer Delegation der Partei durch bewaffnete Polizisten am Betreten der Wahlbüros gehindert worden seien. Die in den kurdisch geprägten Gebieten im Osten des Landes eingesetzten Beobachter aus Deutschland berichteten generell von einer hohen Präsenz bewaffneter Polizisten und Soldaten.
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Hohe Präsenz von bewaffneten Polizisten und Soldaten
Hakan Tas, Wahlbeobachter im Auftrag der Linken, erklärte, dass nicht nur deutschen, sondern auch türkischen unabhängigen Wahlbeobachtern der Zutritt zu Wahlbüros verweigert wurde. Polizei und Militär hätten sich dadurch über die Vereinbarung mit der Wahlkommission hinweggesetzt, sagte er telefonisch der Nachrichtenagentur AFP. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die die Türkei-Wahl mit insgesamt 400 Experten überwachen, seien in den Kurdengebieten kaum vertreten gewesen, fügte Tas hinzu.
Tas berichtete zudem von vorwiegend durch Anhänger der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP ausgelösten Auseinandersetzungen in und vor einigen Wahlbüros, die zu deren vorübergehenden Schließungen führten, woraufhin "die ohnehin schon sehr langen Schlangen vor den Wahlbüros noch länger wurden", sagte Tas.
Die Linken-Delegation war mit 19 Wahlbeobachtern auf Einladung der linksgerichteten, türkischen Yesil Sol Partisi vor Ort. Schwesterpartei der Linken in der Türkei ist die pro-kurdische Oppositionspartei HDP.
Frank Schwabe, der für den Europarat die Wahl beobachtete, sagte der ARD, im Großen und Ganzen sei alles gut gelaufen. "Aber es gibt durchaus auch den ein oder anderen Fall, wo man genauer hinschauen muss."
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Regierung und Opposition werfen sich gegenseitig Sabotage vor
Die Berichte von unabhängigen Wahlbeobachtern sind besonders brisant: Denn es zeichnet sich ein Streit um die Wahlergebnisse ab. Keiner der Kandidaten hat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, für die beiden führenden Bewerber geht es wahrscheinlich am 28. Mai in eine Stichwahl (hier lesen Sie mehr zu den vorläufigen Ergebnissen).
Der AKP-Sprecher Ömer Celik warf der CHP um Kılıçdaroğlu Sabotage vor. Der CHP-Politiker Ekrem Imamoglu beschuldigte indes staatliche Stellen, falsche vorläufige Zahlen zu verbreiten, die die Werte von Amtsträger Recep Tayyip Erdoğan schönten. Beide Seiten erklärten jeweils, sich bei den Abstimmungen vorn zu sehen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan beschuldigte die Opposition, die Ergebnisse der Wahl voreilig bekannt geben zu wollen. Er sprach von einem "Raub des nationalen Willens". Zudem rief er dazu auf, die ungezählten Wahlurnen nicht aus den Augen zulassen. Ein ähnlicher Aufruf war zuvor auch von Herausforderer Kılıçdaroğlu gekommen.
Grünen-Politiker Hofreiter zeigt sich besorgt
Grünen-Politiker Anton Hofreiter zeigte sich schon am Abend angesichts der Zwischenergebnisse der Wahlen besorgt. "Wenn sich das Ergebnis bestätigt, dass Erdoğan erneut die Wahl gewinnt, müssen sich Europa und Deutschland darauf einstellen, dass die Türkei weiter Richtung Autokratie rutscht", sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag t-online.
Die Wahl in der Türkei gilt als richtungsweisend und wegen der zu erwartenden innen- und außenpolitischen Auswirkungen als eine der weltweit wichtigsten in diesem Jahr. Seit der Einführung eines Präsidialsystems vor fünf Jahren hat der 69 Jahre alte Erdoğan so viel Macht wie noch nie. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern bei einer Wiederwahl Erdoğans vollends in die Autokratie abgleiten könnte. Auch international wird die Abstimmung in dem Nato-Land aufmerksam beobachtet.
- Eigene Recherchen
- Anfrage an Anton Hofreiter
- Nachrichtenagentur AFP