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Widerstand im Ausland: Der lange Mittelfinger der Ukraine


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"Muss fast immer weinen"
Die Ukraine stellt Russland bloß

  • Theresa Crysmann
Von Theresa Crysmann, Scharm el-Scheich

Aktualisiert am 18.11.2022Lesedauer: 4 Min.
Eine Frau in der ukrainischen Stadt Mikolajew rettet einen Hund aus einem Gebäude, das mutmaßlich von einer russischen Rakete getroffen wurde.Vergrößern des Bildes
Eine Frau in der ukrainischen Stadt Mikolajew rettet einen Hund aus einem Gebäude, das mutmaßlich von einer russischen Rakete getroffen wurde. (Quelle: Cover-Images/imago-images-bilder)
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Russland versucht sein Nachbarland ins vergangene Jahrhundert zu bomben. Doch die Ukraine wehrt sich – auch weit abseits des Schlachtfelds. Sogar in Ägypten.

In der Wüste beginnt die heiße Phase. Es sind die letzten Stunden der Weltklimakonferenz in Ägypten und noch immer stocken die Verhandlungen. Vor allem die Reparationszahlungen für Klimaschäden und ein klares Stoppschild für Gas und Öl sind weiterhin alles andere als sicher.

In einer Ecke der eisgekühlten Messehallen gibt es jedoch schon einen klaren Erfolg. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes hat die Ukraine einen eigenen Pavillon beim UN-Klimagipfel. Wo andere Länder ihre Ausstellungsflächen für die vorgeblich nachhaltigen Seiten ihrer Unternehmen (Kuwait), Espresso-Ausschank (Italien) oder Kunst aus alten Plastiktüten (Türkei) nutzen, hat das kriegsgeplagte Land seine knapp 50 Quadratmeter dem russischen Terror gewidmet.

"Das Design unseres Pavillons erinnert an einen Raketenkrater", sagt Julia Solovey. Die Fläche, ein Symbol. Im Innern des architektonischen Einschlags ziehen sich 16 Reihen kleiner Kisten die Wand entlang. Eine Reihe für jeden Bodentyp, der sich zwischen Transkarpatien in der West- und dem Donezbecken in der Ostukraine findet.

Auch "Chornosem" ist dabei, der tiefbraune Boden, der das Land zur Kornkammer der Welt gemacht hat. Was damit passiert, wenn russische Phosphorbomben einschlagen, zeigen Fotos: Aus dem einst fruchtbaren Erdreich wird Stein.

"Wir zeigen, wie Russlands Terror das grüne Potenzial unseres Landes zerstört und uns die Fähigkeit nimmt, uns selbst und die Menschheit zu ernähren", sagt Solovey.

Vor Russlands völkerrechtswidrigem Angriff auf die Ukraine arbeitete sie als Kuratorin in Kiew, half dort unter anderem, das erste Wissenschaftsmuseum des Landes zu eröffnen. Jetzt leitet sie die Öffentlichkeitsarbeit von United24, der offiziellen Spendenkampagne des ukrainischen Präsidenten.

"Geh eine Meile in den Schuhen der Ukraine"

"Wir brauchen in der Ukraine gerade keine Ausstellungen. Es geht nur darum, die wertvollsten Kunstwerke vor den Russen zu schützen und zu überleben", sagt die 24-Jährige. Vor einem halben Jahr rief Selenskyj die Initiative ins Leben, da internationale Spenden wohl nur langsam in der Ukraine ankamen.

85 Prozent der insgesamt mehr als zwei Milliarden US-Dollar an Hilfen lägen weiterhin auf den Konten ausländischer NGOs, Stiftungen und Behörden, behauptet Solovey. Überprüfen lässt sich das nur schwer. Seit Beginn des direkten Fundraisings habe ihre Kampagne aber bereits mehr als 222 Millionen eingesammelt.

Das Geld geht in die Minenräumung, die Grundausrüstung ukrainischer Soldaten, medizinische Versorgung und zivile Nothilfe. Ein kleiner Teil fließt in den Wiederaufbau. Wie nötig gerade auch das ist, zeigen zwei Virtual-Reality-Headsets. "Geh eine Meile in den Schuhen der Ukraine", lädt das Schild daneben ein.

Die Tour führt nach Kiew, nach Mikolajew, Saporischschja, Tschernihiw, Charkiw und in andere Orte, die vom russischen Militär entstellt worden sind: zerfetzte Mehrfamilienhäuser, ausgebrannte Autos, zerstörte Brücken, leergebombte Wohnungen, Trümmerhaufen mit zerbrochenen Tellern, zerfledderten Büchern, das Inventar eines längst vergangenen Alltags. Dazu melancholisches Klavierspiel.

"Wenn ich diese Aufnahmen sehe, muss ich fast immer weinen", sagt Solovey. Für insgesamt zwei Wochen betreut die junge Kuratorin den ukrainischen Pavillon in der ägyptischen Wüste. Danach geht es zurück nach Kiew, "ich fühle mich nirgendwo mehr zu Hause als dort". Es sei ihr schwergefallen, überhaupt zur Klimakonferenz zu kommen.

"Die Ukraine zu verlassen, ist ein ganz eigenartiges Gefühl: Im Ausland läuft alles normal weiter, obwohl ich innen drin wie verbrannt bin", sagt sie und atmet tief durch. "Ich habe vor allem Angst, dass etwas passiert, während ich weg bin". Ihr Partner hat früher als Anwalt gearbeitet, nun ist er an der Front.

Der Schutz eines Baumes habe ihm vor Kurzem das Leben gerettet, erzählt sie. Ob der mit Granatsplittern gespickte Eichenstamm aus der Nähe von Irpin auch jemanden decken konnte? Sie und ihr Team haben ihn von dort mit nach Ägypten gebracht. Sie streicht über ein Metallstück, das sich besonders tief in die Rinde gegraben hat, "wenn man sich vorstellt, dass das eigentlich im Körper eines Menschen stecken sollte", sagt sie leise.

In der Nähe des Baumstammes, an den Headsets, bei den Bodenproben, überall kleben Sticker, die zum Spenden per QR-Code aufrufen. "Es ist keine Option, dass wir den Krieg verlieren", ist Solovey überzeugt. Sie hilft, diesen Wunsch wahrzumachen, indem sie die Spendentrommel rührt.

Auch Barbra Streisand unterstützt

Wenn sie nicht gerade die kleine Ausstellung auf dem Klimagipfel betreut, verantwortet sie das Botschafter-Programm der Spendenkampagne. Die Band Imagine Dragons konnte Solovey ebenso gewinnen wie Sängerin Barbra Streisand, den US-Astronauten Scott Kelly, den Star-Wars-Schauspieler Mark Hamill, den Designchef der Modemarke Balenciaga, Demna Gvasalia, und einige weitere berühmte Namen.

Während Solovey durch den Pavillon führt, bringen ihre Kollegen ein Plakat mit einem Zitat von Präsident Selenskyj an: "Die Ukraine kann und – da bin ich mir sicher – wird zu einem Zentrum grüner Energie in Europa werden." Gerade für die Produktion von grünem Wasserstoff seien die Bedingungen ideal. "Um dieses Potenzial nutzen zu können, müssen wir aber zuerst die Gültigkeit des Völkerrechts wiederherstellen, unser gesamtes Gebiet von den russischen Besatzern befreien und langfristigen Frieden schaffen", steht dort schwarz auf gelb.

Zwar hat Russland auf der diesjährigen Klimakonferenz keinen eigenen Stand, eine Delegation der Regierung ist allerdings vor Ort. Man darf davon ausgehen, dass diese einen weiten Bogen um den Pavillon der Ukraine macht, die auf sie wie ein besonders langer Mittelfinger wirken muss.

"Wir sind nicht bereit, in Angst zu leben", sagt Solovey. "Das mag in Russland der Normalzustand sein, aber nicht in der Ukraine."

Verwendete Quellen
  • Besuch des ukrainischen Pavillons auf der Welklimakonferenz in Scharm el-Scheich
  • Gespräch mit Julia Solovey
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