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Ukraine-Krieg: Ölembargo? Türkei und Ungarn bremsen aus


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"Ruchlos gepokert"
Europas Geiselnehmer


Aktualisiert am 02.06.2022Lesedauer: 7 Min.
Erdoğan und Orbán: Die Einheit des Westens scheint zu bröckeln – auch wegen Blockadehaltungen Ungarns und der Türkei.Vergrößern des Bildes
Erdoğan und Orbán: Die Einheit des Westens scheint zu bröckeln – auch wegen Blockadehaltungen Ungarns und der Türkei. (Quelle: gettyimages Cineberg (Hintergrund), Imago Sergey Karpuhin (Erdoğan), Imago Zheng Huansong (Orbán), Montage: ha/t-online)
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Es war das Mantra nach dem russischen Angriff auf die Ukraine: Der Westen steht zusammen. Doch nun stockt die Nato-Erweiterung, ein richtiges EU-Ölembargo gibt es vorerst nicht. Vor allem zwei Staaten bremsen.

Sie scheint zu bröckeln, die viel beschworene Einigkeit des Westens. Nur mit großer Kraftanstrengung haben sich die Mitgliedsstaaten in der vergangenen Nacht auf ein Ölembargo geeinigt, das auf Drängen Ungarns so löchrig ist, dass es den Namen Embargo nicht verdient.

Und auch in der Nato knatscht es. Auf dem ganz schnellen Weg sollten Finnland und Schweden dem Verteidigungsbündnis beitreten. Doch auch hier steht ein Land auf der Bremse. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan droht mit einem Veto, wenn er nicht bekommt, was er gern hätte.

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Es war das Mantra aus Reihen der EU und der Nato zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine: Der Westen stehe eng zusammen, Russland könne nur verlieren. Doch wird aus Worten auch Wirklichkeit?

Denn nicht nur Ungarn und die Türkei stehen im Fokus, auch Deutschland etwa wird von Bündnispartnern hinsichtlich der Waffenlieferungen massiv dafür kritisiert, das eine zu sagen und das andere zu tun. (Mehr dazu lesen Sie hier) Doch im Falle von Ungarn und der Türkei zeigen sich die Gräben besonders deutlich – auch, weil beide Staaten sich schon lange vor dem russischen Angriff immer weiter von der EU distanziert haben.

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis warf beiden Staaten jüngst in der "Bild" gar vor, damit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände zu spielen. "Sie helfen Herrn Putin sehr stark, durch Finanzierungen und indem sie die Möglichkeit verringern, die Region Baltikum besser abzusichern", sagte er und fügte hinzu: "Das wirft wieder die Frage auf, ob das Konsensprinzip in der Nato und in der Europäischen Union noch funktioniert."

Denn genau dieses Prinzip ermöglicht es überhaupt, dass ein einzelner Staat Entscheidungen blockieren kann – und sowohl die Türkei als auch Ungarn wissen es zu nutzen. Ein Überblick:

Ringen um das Ölembargo

Annalena Baerbocks Ankündigung war eine optimistische. Innerhalb weniger Tage werde sich die EU auf ein Ölembargo einigen, sagte die Außenministerin. Das war Mitte Mai. Wenige Tage später dann wählte Robert Habeck in etwa dieselben Worte. Aus Ungarn kamen hingegen ganz andere Töne. Fast zeitgleich zu Habeck betonte Ministerpräsident Viktor Orbán, er halte eine Einigung für unwahrscheinlich.

Zum großen Showdown kam es erst am Montag bei einem EU-Gipfel in Brüssel. Bis in die späte Nacht rangen die EU-Staaten um eine Einigung. Kurz nach Mitternacht dann der Kompromiss: Zunächst werden nur die Öllieferungen über den Seeweg eingestellt, durch die Pipelines hingegen darf weiter Öl fließen. Zeitlich befristet, heißt es, doch dagegen regt sich bereits erster Widerstand.

Davon profitiert vor allem Ungarn: Das Land bezieht zwei Drittel seines Öls aus Russland, hauptsächlich über die Pipeline "Druschba" (übersetzt: Freundschaft). Die EU rechnet dennoch damit, dass das Teil-Embargo erfolgreich sein werde, auch weil Polen und Deutschland trotz Pipelinezugang kein weiteres Öl beziehen wollen.

Ungarn ist nicht das einzige Land, das ein Embargo lange ablehnte. Deutschland etwa sperrte sich über Wochen, um zunächst Alternativen zu finden. Vor etwa einem Monat dann verkündete Wirtschaftsminister Robert Habeck, dass ein Ölembargo nun bald möglich wäre. Bedenken hatten auch Österreich, Slowakei, Spanien, Italien und Griechenland angemeldet.

Forderungen, auf die sich die EU nicht einlassen kann

Im Mai allerdings nahm die Diskussion dann Fahrt auf, Ungarn sperrte sich weiter – und setzte die EU mit aggressiver Rhetorik und hohen Forderungen unter Druck. Der Vorschlag aus Brüssel komme einer Atombombe gleich, die auf die ungarische Wirtschaft abgeworfen werde, sagte Orbán etwa Anfang Mai. Sein Außenminister Peter Szijjarto forderte später von der EU 15 Milliarden Euro, sollte ein Ölembargo kommen, um die ungarische Energie-Infrastruktur zu modernisieren.

Das ist nicht nur eine gewaltige Summe. Es war auch aus politischen Gründen offensichtlich, dass sich die EU nicht darauf einlassen kann. Denn die Staatengemeinschaft verweigert Ungarn derzeit die Zahlungen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds, solange das Land nicht mehr Garantien vorlegt, dass die Gelder tatsächlich korrekt verwendet werden und nicht versickern. Die Sorgen sind nicht unbegründet: Das Land gehört zu den korruptesten der EU. Der litauische Außenminister Landsbergis warf Orbán daraufhin Blockade vor, sagte am Rande eines Treffens mit seinen EU-Kollegen: "Die ganze Union wird von einem Mitgliedstaat als Geisel genommen."

Ungarn als Geiselnehmer? Landsbergis traf damit einen Nerv, vor allem bei anderen osteuropäischen Staaten der sogenannten Visegrád-Gruppe. Dieses nicht formelle Bündnis aus Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn pflegt normalerweise einen engen Austausch, galt als enger Zusammenschluss der vier Staaten innerhalb der EU. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine aber knatscht es gewaltig. Während Polen Russland vor allem als Gefahr für Europa ansieht, bemühte sich Ungarn um immer enger werdende Beziehungen, will sich als Brückenkopf profilieren.

Zwar verurteilte Orbán den Krieg, trug die Schritte der Nato und der EU vor allem zu Beginn mit. Nach innen kommunizierte er, dass er sein Land aus dem Krieg heraushalten wolle, die Interessen Ungarns müssten im Vordergrund stehen. Gleichzeitig lief in den regierungsnahen Medien ein zumindest teilweise kremlfreundliches Programm. Es sei schwer, Orbáns Haltung zu verstehen, kommentierte Polens Staatspräsident Andrzej Duda im März und kündigte an: "Diese Politik wird Ungarn sehr, sehr teuer zu stehen kommen."

"Wir können nicht zulassen, dass das ungarische Volk den Preis für den Krieg zahlt"

Dass Orbán sich so vehement gegen Energieimporte stellt, hat auch innenpolitische Gründe. Nicht nur ist das Land abhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen und hat kaum Alternativen. Die Verbraucherpreise niedrig zu halten, war zudem eines von Orbáns wichtigsten Wahlkampfversprechen vor seiner Wiederwahl im April.

Die ungarische Regierung bietet ihren Bürgern mit die niedrigsten Energiepreise der EU. Zudem setzt das Land auf russische Investitionen, etwa bei dem Megaprojekt Paks II. Das Atomkraftwerk an der Donau wird derzeit mithilfe der russischen Agentur für Atomenergie Rosatom ausgebaut, zwei neue Reaktorblöcke entstehen. Nicht nur die Technologie und Brennstoffe kommen aus Russland, sondern auch ein großer Teil der Finanzierung.

Darauf zu verzichten, ist für die Regierung keine Option. Sie stellte schon kurz nach Kriegsausbruch klar, dass sie nicht daran denke, diese Verbindung nach Russland zu kappen. "Wir können nicht zulassen, dass das ungarische Volk den Preis für den Krieg zahlt, der über die Grenze tobt", sagte Außenminister Szijjarto damals.

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In der EU und unter den Mitgliedsstaaten gibt es Verständnis dafür, dass Ungarn nicht so schnell vom russischen Öl loskommt – wie andere Staaten auch. So wird etwa auch die Slowakei vorerst von der Pipeline-Ausnahme profitieren. Ärger herrscht allerdings über die Kompromisslosigkeit, mit der das Land auftritt. Orbán dürfe der EU "nicht auf der Nase herumtanzen", sagte etwa der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber den Sendern RTL und ntv.

Bundeswirtschaftsminister Habeck zeigte sich am Dienstag enttäuscht. Er sei nicht glücklich mit dem Embargo-Kompromiss. Und er fand harte Worte für Orbán. Dieser habe "ruchlos" für seine eigenen Interessen gepokert. Sein Fazit: Unter dem "Gewürge" hätten vor allem die europäische Kraft und die Entschlossenheit Europas gelitten.

Ringen um den Nato-Beitritt

In der Nato hält sich Orbán mit solchen Spielchen zurück, doch dort gibt es jemanden, der die Rolle des bockigen Blockierers seit langer Zeit mit vielleicht noch größerer Inbrunst spielt: der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan.

Aktuell stoppt Erdoğan den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens, den der Rest des Verteidigungsbündnisses vor dem Hintergrund von Putins Krieg in Rekordtempo über die Bühne bringen will. Bei der Nato heißt es wieder einmal 29 gegen 1.

Erdoğan gibt an, es gehe ihm darum, dass die beiden nordeuropäischen Staaten als "Gästehäuser" für die kurdische Miliz PKK wirkten – was er nicht akzeptieren könne. Die PKK gilt nicht nur in der Türkei, sondern auch in der EU als terroristische Organisation, weil sie auch zivile Ziele angreift. Schweden hat die Türkei nach Angriffen auf Kurdengebiete mit einem Embargo auf bestimmte Waffen und Technik belegt.

Doch Erdoğan geht es um mehr: Er will, dass auch syrische Kurdenmilizen wie die YPG als Terrorgruppen gebrandmarkt werden – für den Westen sind das allerdings wichtige Verbündete im Kampf gegen den immer noch existenten "Islamischen Staat".

Tatsächlich ist Erdoğans Taktik nur schwer zu übersehen: Er will Zugeständnisse der westlichen Staaten erpressen und damit als knallharter Verhandler in der Heimat punkten – 2023 sind schließlich wieder Wahlen, und seine Autorität ist infolge der Wirtschaftskrise erschüttert. In dieser Hinsicht erzielte er bereits einen Erfolg: Eine Delegation der nordeuropäischen Beitrittsländer muss nach Ankara reisen, um zu beschwichtigen.

Erdoğan blockiert immer wieder

Westliche Diplomaten gehen davon aus, dass Erdoğan nicht nur eine Distanzierung von Kurdengruppen verlangt, sondern auch wieder in ein Programm zum Erwerb hochmoderner F-35-Kampfflugzeuge aus den USA aufgenommen werden will. Man hatte die Türkei hinausgeworfen, nachdem Erdogan trotz vehementer Kritik der Verbündeten Raketensysteme in Russland erworben hatte. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nannte Erdoğans aktuelles Gebaren deshalb kürzlich "Basar-Mentalität".

Es ist nicht das erste Mal, dass Erdoğan seine Rolle als Verhinderer ausreizt. 2009 etwa blockierte er zwischenzeitlich die Nominierung des Dänen Anders Fogh Rasmussen als Nato-Generalsekretär wegen dessen Rolle beim Streit um Mohammed-Karikaturen vier Jahre zuvor. Auch die geplante Kooperation von Nato und Israel legte der Mann aus Ankara jahrelang auf Eis. Und immer wieder fordert er Zugeständnisse in der Kurdenfrage, bevor er eine Blockade aufgibt.

Erdoğan kann das tun, weil er weiß, welche Bedeutung sein Land für die Nato hat. Schon 1952 trat das Land als Bollwerk gegen die Sowjetunion bei, und bis heute ist die Lage an Mittelmeer und Schwarzem Meer ein großer strategischer Pluspunkt für die Nato. Zu Beginn des Ukraine-Kriegs ließ Erdoğan die Meerengen Bosporus und Dardanellen für russische Kriegsschiffe sperren.

Wegen dieser wichtigen Rolle ist die Entrüstung über Erdogans neuerliche Blockadehaltung bei westlichen Diplomaten zwar groß, doch nicht viel kleiner dürfte der Drang sein, einen Deal zu schließen, damit die Norderweiterung doch noch rasch über die Bühne gehen kann. Die Methode Erdoğan könnte zumindest kurzfristig wieder einmal zum Erfolg führen.

Verwendete Quellen
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