"Verheerende Verluste" Russlands Armee steuert auf ein massives Personalproblem zu
Der Verlust an Nachwuchsoffizieren könnte der russischen Armee langfristig mehr schaden als getötete Generäle, so die britische Regierung. Und jetzt laufen auch noch die Verträge von Zeitsoldaten aus.
Im Krieg gegen die Ukraine hat die russische Armee nach britischen Erkenntnissen "verheerende Verluste" in ihrem Offizierskorps erlitten. Brigade- und Bataillonskommandeure würden sich an vorderster Front in Gefahr begeben, weil sie persönlich für den Erfolg ihrer Einheiten verantwortlich gemacht würden, so das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse.
Der russischen Armee fehlten außerdem qualifizierte Unteroffiziere, die bei westlichen Streitkräften diese Rolle erfüllten. Diese schweren Verluste hätten mehrere Folgen für die russischen Streitkräfte. So seien neu aufgestellte Bataillone wegen des Mangels an Nachwuchsführungskräften vermutlich weniger effektiv. Zudem bestehe die Gefahr, dass sich der Mangel an Disziplin und die schwache Moral unter den Soldaten noch verschärften. Es gebe glaubwürdige Berichte über vereinzelte Meutereien. Schließlich werde die Modernisierung der Armee weiter erschwert, hieß es aus London weiter.
Ukraine tötet weiteren russischen General
Ukrainische Soldaten haben nach eigenen Angaben in den vergangenen drei Monaten zwölf russische Generäle getötet. Zuletzt traf es den Generalmajor der russischen Luftwaffe, Kanamat Botaschew. Bei einem Luftangriff auf ukrainische Stellungen im Donbass am 22. Mai sei Botaschews Maschine von einer Stingerrakete getroffen worden, berichtete die ukrainische Nachrichtenagentur Unian unter Berufung auf die russische Luftwaffe. Der Pilot habe sich nicht mehr aus der Maschine befreien können. Der 63-Jährige war 2012 bereits entlassen, dann für den Krieg gegen die Ukraine wieder eingezogen worden. Sein Einsatz wird als Hinweis auf Russlands Probleme bei der Rekrutierung neuer Piloten gedeutet.
Ein weiterer Schlag gegen die Führungsriege der russischen Armee könnte der Ukraine am 27. Mai gelungen sein. Nach unbestätigten Berichten zerstörte ukrainische Artillerie an dem Tag einen russischen Kommandoposten im Donbass. In dem völlig zerstörten Gebäude hätten sich 20 hochrangige russische Offiziere aufgehalten, sagte der ukrainische Präsidentenberater Alexej Arestowitsch Unian. Weitere Details zu dem angeblichen Angriff nannte Unian nicht.
"Sobald die drei Monate um sind, bin ich hier weg"
Unklar ist auch, ob diese Aktion mit dem mutmaßlichen Tod von Oberstleutnant Alexander Dosjagajew im Zusammenhang steht. Der Kommandeur einer russischen Luftlandeeinheit sei vorige Woche getötet worden, wie die ukrainische Armee mitteilte. Zum näheren Umstand machte sie keine Angaben. Bei einem Wettbewerb der russischen Armee hatte Dosjagajew voriges Jahr den ersten Platz in der Kategorie "geflügelte Infanterie" belegt.
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Probleme hat die russische Armee aber nicht nur in den Offiziersrängen. Nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes SSU warten gerade viele russische Zeitsoldaten in der Ukraine auf das Ende ihrer drei Monate laufenden Verträge Ende Mai. Dann könnten sie die Armee legal verlassen. "Sie haben uns gesagt, dass niemand in die Ukraine kommen will, um uns zu ersetzen", zitiert der SSU einen russischen Soldaten aus einem abgehörten Telefonat mit einem Freund. "Sobald die drei Monate um sind, bin ich hier weg und such mir einen Job im zivilen Leben."
Die genaue Zahl der russischen Zeitsoldaten in der Ukraine ist nicht bekannt. Zuletzt häuften sich aber die Hinweise auf Rekrutierungsprobleme der russischen Armee. Diese wirbt teilweise mit finanziellen Versprechen um Zeitsoldaten, während manche Bewerber mit Druck oder unter falschen Vorwänden zum Kriegseinsatz genötigt werden. Auch die Anhebung des Höchstalters für russische Rekruten auf 40 Jahre könnte ein Zeichen des Personalmangels sein. Nach jüngsten ukrainischen Angaben sind seit Kriegsbeginn 30.350 russische Soldaten in der Ukraine getötet worden.