"Putin-Versteherei" bei Lanz Söder verteidigt Russland-Politik, Experten kontern
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.War Bayerns Ministerpräsident bis vor wenigen Wochen zu russlandfreundlich? Markus Lanz lieferte sich mit Markus Söder einen Schlagabtausch über "Putin-Versteherei" und Energiepolitik.
Markus Söder war zu Markus Lanz' Talkshow zugeschaltet – und saß vor einer hübsch fotografierten Ansicht Münchens mit den Alpen sowie einem gut sichtbar platzierten Wappenlogo der bayerischen Staatsregierung im Hintergrund.
Lanz' Regie konterte mit im Hamburger Studio groß eingeblendeten Bildern von einem Söder-Putin-Handschlag und Filmaufnahmen, die frühere bayerische Ministerpräsidenten und CSU-Parteifreunde wie Horst Seehofer und Edmund Stoiber in enger Nähe zum russischen Staatschef zeigten. "Putin-Versteherei" (Lanz) war das Hauptthema der Sendung. Die anfängliche Schalte zu einer Reporterin im akut bedrohten Odessa stimmte darauf ein.
Die Gäste:
- Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident (zugeschaltet)
- Katrin Eigendorf, ZDF-Reporterin (zugeschaltet aus Odessa)
- Daniela Schwarzer, Politikwissenschaftlerin
- Sabine Fischer, Politikwissenschaftlerin
- Marcel Fratzscher, Wirtschaftswissenschaftler
ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf berichtete von einer "sehr angespannten" Lage in der Stadt, die in der Nacht zuvor erstmals Luftangriffe erlebt hatte und nun "Angriffe von der See", vom Schwarzen Meer aus, erwarte. Die Menschen seien entschlossen, den Kampf "bis zum Letzten" zu führen. Gefragt nach dem bislang am schwersten attackierten Mariupol, befürchtete Eigendorf, Putin wolle an der Stadt "ein Exempel statuieren" nach dem Muster des Holodomor, der Hungersnot in der Stalin-Zeit der frühen 1930er-Jahre, um die Ukrainer zu demoralisieren.
Im Gespräch mit Eigendorf irritierte Lanz mit der in Deutschland angeblich debattierten Idee, die ukrainische Regierung solle, um den Krieg zu verkürzen, ins Exil gehen. Woher hatte er diese Idee? Von seinem Podcast-Partner Richard David Precht, vermutete auf Twitter unter anderem ZDF-Kollege Jan Böhmermann.
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Überzeugender agierte Lanz dann im Streitgespräch über die bayerische Putin-Politik. Söder hatte sich noch kurz vor Beginn des russischen Angriffs für die Pipeline Nord Stream 2 und gegen einen Ausschluss Russlands aus dem Swift-Zahlungssystem ausgesprochen, leitete er ein. Das war ja zu dem Zeitpunkt auch die Haltung der Bundesregierung, entgegnete der Bayer und berief sich kurz darauf sogar auf Willy Brandt, der sich einst als SPD-Bundeskanzler erfolgreich bemühte, "einen vernünftigen Kontakt" zur Sowjetunion zu finden.
Als er selbst 2020 nach Russland eingeladen wurde, habe er "zurückhaltend" reagiert, sagte Söder, und erst mal Kanzlerin Merkel um Rat gefragt. Insgesamt sei es ja lange "immer wieder zumindest teilweise gelungen, Putin an den Tisch zu bekommen". Es könne sein, dass "vielleicht Corona etwas verändert hat" bei Wladimir Putin und seiner Zugänglichkeit – auf diese Söder-These ging Lanz nicht weiter ein.
Söder: "Wir haben viele Partner mit schwierigen innenpolitischen Verhältnissen"
Stattdessen fragte der Moderator, ob bei der deutschen und der bayerischen Russland-Politik "die Wirtschaft über der Moral" stand. Neben Söder hatte auch Edmund Stoiber den russischen Präsidenten getroffen. "Wir sind keine NGOs in der Politik", entgegnete Söder. Die Politik müsse so lange wie möglich mit allen im Gespräch bleiben und sich sowohl für "unsere Werte" als auch "für unsere Interessen", nämlich als Exportland, einsetzen: "Wir haben in der Welt viele Wirtschaftspartner, die außerordentlich schwierige innenpolitische Verhältnisse haben", wie China und Saudi-Arabien, argumentierte Söder. Und von der Exportwirtschaft hingen sowohl "unser Wohlstand" als auch die "soziale Symmetrie" ab.
Wissenschaftlerin: Modernisierung Russlands Fehleinschätzung
Das war eine fokussierte Diskussion, in der beide Seiten teilweise deutlich unterschiedliche Ansichten darlegten. Die Wissenschaftler im Studio trugen jeweils konstruktive Aspekte bei. Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik etwa sagte, dass Russland unter Putin "über 15 Jahre immer autoritärer" geworden sei. So lange seien deutsche Regierungen der "Fehleinschätzung, dass Modernisierung mit Russland möglich sei", aufgesessen und hätten Staaten wie Moldau und die Ukraine "zweitrangig" behandelt.
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"Naive Hoffnung, Globalisierung würde Krieg verhindern"
"Das Handeln Deutschlands gerade in der Außenwirtschaftspolitik hat Putin stark gemacht", sagte Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. In der "naiven Hoffnung, Globalisierung und Handeln miteinander würden einen Krieg unmöglich machen", habe es trotz des Kriegs in der Ukraine 2014 keine Kehrtwende gegeben. Überhaupt setze deutsche Wirtschaftspolitik zu oft auf kurzfristige Profite statt auf langfristige Interessen.
Selbst nach der Erfahrung 2014 habe die Politik keine Worst-Case-Szenarios entwickelt, kritisierte Daniela Schwarzer. Künftiges Ziel müsse es sein, "dass wir außenpolitisch souverän handeln können", auch gegenüber China. Ja, "China braucht uns weniger als Russland uns braucht" und wisse eher noch besser, "wie es den Westen abhängig macht", ergänzte Fratzscher später.
AKWs als Brückentechnik weiterlaufen lassen
Söder gab sich konsensorientiert, berief sich wiederholt auf Kanzlerin Merkel (zu der er in ihrer Amtszeit nicht immer das beste Verhältnis hatte) und die sozialliberale Koalition der 1970er-Jahre, mit der seine CSU auch nichts am Hut hatte. Sicher sei mit dem russischen Angriff die zuvor gepflegte Form der Diplomatie gescheitert, "aber am Ende wird es irgendeine Form der Diplomatie wieder geben müssen". Und als es um Energiepolitik ging, plädierte der Ministerpräsident dafür, vorhandene Kohle- und Kernkraftwerke für drei Jahre als "Brückentechnik" weiterlaufen lassen, um von Energieimporten unabhängiger zu werden.
Zum Argument, sein Bayern sei bei erneuerbaren Energien "die Nummer eins in Deutschland", das Söder routiniert einflocht, gab es einen aufschlussreichen Schlagabtausch: Die Nummer eins sei Bayern allenfalls "in absoluten Zahlen" dank seiner Größe und Einwohnerzahl. In relativen Zahlen, also pro Einwohner gemessen, sehe das anders aus, widersprach Lanz, nachdem er dazu offenkundig zwischendurch gebrieft worden war. Das blieb ungeklärt, legte aber zumindest offen, wie in Talkshows eben argumentiert wird.
Nachdem Söder sich eine Viertelstunde vor Schluss ausklinkte, blieb es eine bemerkenswert konzentrierte Sendung. Und fast blieb für wichtige Themen – Fratzschers formulierte Sorge, dass die Bedeutung Russlands und der Ukraine als Weizenexporteure für Millionen Menschen weltweit in diesem Jahr verschärfte Armut und Hunger nach sich ziehe – zu wenig Zeit. Auch das kommt in Talkshows ja eher selten vor.
- Markus Lanz vom 15. März 2022