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Robert Habeck und der Ukraine-Krieg: Er wird sich die Hände schmutzig machen


Robert Habeck
Er wird sich die Hände schmutzig machen

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold

Aktualisiert am 08.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Robert Habeck auf dem Rückflug aus Washington: Plötzlich geht es wieder um Kohlestrom und Atomkraft.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck auf dem Rückflug aus Washington: Plötzlich geht es wieder um Kohlestrom und Atomkraft. (Quelle: Britta Pedersen/dpa)

Robert Habeck wollte das Klima retten, dann platzte der Krieg dazwischen. Jetzt muss er Deutschland aus der Sackgasse führen. Nur wie? Und zu welchem Preis?

Der Mann, der das jetzt alles irgendwie hinkriegen muss, sieht ziemlich müde aus. Robert Habeck steht am Donnerstagmittag in einem abgedunkelten Raum des Wirtschaftsministeriums vor einer Kamera und verkündet mal wieder schlechte Nachrichten.

Am frühen Morgen erst ist der Vizekanzler aus Washington zurückgekehrt, nur um sich wenig später in Berlin die Sorgen der deutschen Wirtschaftsbosse anzuhören, von denen er nun in einer eilig einberufenen Pressekonferenz berichten wird. Es ist Krieg in Europa, keine Zeit, sich auszuruhen.

Habeck erzählt, dass Putins Krieg neben all dem Schrecken in der Ukraine auch für die deutsche Wirtschaft eine "erhebliche Belastung" darstelle. Doch die mieseste Nachricht ist das längst noch nicht.

Er wolle "einmal feststellen", erklärt Habeck, "und das sage ich mit großem Bedauern, und ich sage es nicht freudestrahlend: dass Deutschland von russischen Energieimporten abhängig ist." Habeck hält in diesem Satzungetüm mehrfach inne, schaut runter auf seinen Sprechzettel, befingert das Papier, steckt seine Hand kurz in die Tasche, nur um sie doch wieder aufs Pult zu legen.

Abhängig und erpressbar

Ihm ist das alles sichtlich unangenehm. Denn er weiß, was es heißt: Wer abhängig von russischer Energie ist, ist abhängig von Wladimir Putin, ist abhängig von einem Kriegstreiber. Und ist letztlich, so hart muss das sagen: erpressbar.

Robert Habeck ist sein Amt als Superminister für Wirtschaft und Klimaschutz vor nicht mal 100 Tagen angetreten, um die Lebensgrundlagen der Menschheit zu retten. Und zwar, indem sich Deutschland so schnell wie möglich von fossilen Energien verabschiedet. Doch Putins Krieg und Jahrzehnte fehlgeleiteter Wirtschaftspolitik führen nun dazu, dass selbst so schnell wie möglich nicht mehr schnell genug ist.

Deutschland läuft jetzt im Notfallmodus. Viele der gerade erst ausgefeilten Pläne für die große Transformation sind schon wieder Makulatur. Plötzlich redet man wieder davon, mehr Kohle zu verbrennen oder die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Alles steht auf dem Prüfstand. Eine wirklich gute Lösung für Habecks neue Dilemmata gibt es nicht. Er wird sich die Hände schmutzig machen müssen. Hilft ja nichts.

Das Gas-Drama

Deutschland steckt in einer Sackgasse, in die es sich selbst hineinmanövriert hat. Die Energiegeschäfte mit Russland wurden von den vergangenen Bundesregierungen bewusst ausgebaut, von Rot-Grün, Schwarz-Gelb und von der Großen Koalition. Was durch den Ausstieg aus Atom und Kohle im eigenen Land wegfiel, sollte so preiswert ersetzt werden.

Habeck kann gar nicht im Handumdrehen abwickeln, was in den vergangenen 20 Jahren strategisch aufgebaut wurde. Auch wenn er es gern würde.

Am dramatischsten ist die Lage beim Gas: Ein gutes Viertel seines Energiebedarfs deckt Deutschland mit Erdgas ab und mehr als die Hälfe davon, aktuell 55 Prozent, kommt aus Russland. Bei der Steinkohle sind es 50 Prozent, beim Öl 35 Prozent.

Kohle und Öl gäbe es auch anderswo auf der Welt, doch beim Gas klafft eine Lücke, wenn die Lieferungen aus Russland ausfallen. Deutschlands Eigenheime werden mit Gas beheizt, die Industrie braucht es für ihre großen Anlagen.

Der Druck wächst

Habeck lehnte bei seinem müden Auftritt am Donnerstag einen Importstopp ausdrücklich ab. Andernfalls sei der "soziale Frieden im Land gefährdet". Doch mit den Bildern des brutalen Angriffskrieges auf die Ukraine wächst von Tag zu Tag der Druck auf ihn, die Verbindungen nach Russland zu kappen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert aus dem Bunker in Kiew nun Tag für Tag ein Embargo von Europa. CDU-Politiker wie Norbert Röttgen verlangen von der Bundesregierung den sofortigen Stopp.

Das Ziel: Putin und seine Kriegsmaschinerie schwächen. Immerhin geht ein Viertel seiner Energieausfuhren nach Deutschland. Für ihn würde das Ende dieser Geschäfte ebenfalls teuer. Selbst wenn er am Montagabend daran erinnern ließ, dass auch Russland die Lieferungen drosseln könnte.

Auch in der Ampelkoalition gibt es jetzt erste Stimmen, die sich für ein Embargo aussprechen, etwa die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Und SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte t-online: "Ich will nichts ausschließen, aber man muss sehr genau überlegen, wann man diese Karte spielt." Die Entscheidung liege in den Händen der Bundesregierung, der er vertraue.

Ansage vom Bundeskanzler

Weil Habecks Aussage verpuffte und die Gerüchte über ein Embargo die Gaspreise verrückt spielen ließen, sprach Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag ein Machtwort: Ohne Russland könne die Versorgung Europas mit Energie für die Mobilität, die Stromversorgung und die Industrie im Moment nicht gesichert werden. Man suche nach Alternativen. "Das geht aber nicht von heute auf morgen."

Dahinter verbergen sich zwei Fragen: Welche kurzfristigen Alternativen, die alle mit Nachteilen behaftet sind, wollen wir uns zumuten? Und wie will man den ohnehin schon ambitionierten Umbau zu erneuerbaren Energien überhaupt noch beschleunigen? Über diese Fragen gibt es schon jetzt Streit in der Ampel.

SPD-Mann Miersch mahnt jetzt "maximale Geschwindigkeit beim Ausbauen" an. Nur wie? "Der entscheidendste Punkt ist, dass wir jetzt in allen Fachgesetzen den erneuerbaren Energien einen Vorrang im Sinne der öffentlichen Sicherheit einräumen müssen. Andere Rechtsgüter müssen dafür nach hinten treten."

Miersch schwebt ein "Zukunftspakt" mit den Ländern und Gemeinden vor, der konkrete jährliche Ausbaumengen für Wind- und Solarenergie enthält. "Es geht angesichts der aktuellen Lage nicht mehr, dass Länder wie Bayern sich wegducken."

Auch FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler will jetzt schneller mehr. "Dafür müssen wir die Genehmigungsverfahren wie geplant rasch beschleunigen und die Länder müssen deutlich mehr Flächen ausweisen", sagt er t-online. Vielleicht mit etwas weniger Klagemöglichkeiten gegen Windräder – und mehr öffentlichem Druck auf die Markus Söders dieser Republik.

Reichen die 200 Milliarden?

Die Grünen glauben allerdings nicht, dass das ausreicht. Deshalb haben sie sich in den vergangenen Tagen auf allen Ebenen dafür eingesetzt, dass es nicht nur mehr Geld für Verteidigung gibt, sondern auch für Klimaschutz.

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Denn auch die professionellen Ausrechner im Wirtschaftsministerium glaubten nicht, dass das sonst alles zu finanzieren wäre. Herausgekommen sind am Wochenende 200 Milliarden Euro bis 2026. Was gewaltiger klingt, als es faktisch ist. Denn der allergrößte Teil des Geldes war ohnehin schon eingeplant.

Die Grünen aber geben sich trotzdem erst mal betont zufrieden. "Es ist ein riesiger Erfolg von Klimaminister Habeck", sagt Klimapolitikerin Lisa Badum t-online.

Doch ob das am Ende wirklich ausreicht? Ganz so sicher ist man sich da dann doch nicht – und fordert mehr Spielraum im Haushalt ein. "Es ist weiterhin wichtig, dass die Schuldenbremse ausgesetzt wird, das ist aufgrund der vielen Krisen das Gebot der Stunde", sagt Badum.

Und da beginnen die Konflikte dann wieder. Denn die FDP und ihr Finanzminister Christian Lindner wollen die Schuldenbremse bislang um jeden Preis einhalten. Der Ukraine-Krieg verlange "noch einmal eine stärkere Prioritätensetzung", hatte er kürzlich gesagt. Was auf Deutsch heißt: eher weniger Geld als mehr.

Der Stoff, aus dem grüne Albträume gemacht sind

Doch selbst wenn der ohnehin ambitionierte Ausbau der Erneuerbaren sich mit dem neuen Geld noch irgendwie beschleunigen lässt: Für die nächsten Monate, in denen Putin die Lieferungen drosseln oder stoppen könnte, bringt das alles nichts. Und dann?

"Wir können diese Krise nicht mit den Mitteln bekämpfen, die uns da hineingeführt haben", sagt Grünen-Politikerin Badum. Heißt: Bitte keine "irreführenden Debatten über Atomkraft oder Kohle", sondern Energiewende first.

Doch die Front in der traditionellen Anti-Atom-Partei bröckelt längst: Auch den Grünen ist klar, dass die Mittel der Vergangenheit wieder da sind. Um Kohlekraftwerke als Notreserve wird man nicht mehr herumkommen. Habecks Wirtschaftsministerium bereitet das längst vor und kauft gerade auf dem Weltmarkt nicht nur ohne Ende Gas und Öl ein, sondern auch Kohle. Es ist der Stoff, aus dem grüne Albträume gemacht sind.

Atomkraft? "Keine Denkverbote"

Und die Albträume könnten noch übler werden. Denn auch über Atomkraft wird im Wirtschaftsministerium längst wieder diskutiert. Wenn Robert Habeck in den vergangenen Wochen selbst danach gefragt wurde, waren seine Antworten deutlich wortreicher als das schlichte "Nein", das man von einem Grünen erwarten würde.

Die Kurzfassung: "Ideologisch" dürfe man das in dieser Situation nicht ausschließen. "Wenn es helfen könnte, muss man sich damit auseinandersetzen." Nur für den möglichen Engpass im Winter 2022/2023 helfe es eben nicht – "nach allem, was ich weiß". Eine generelle Absage war das nicht, auch wenn viele Grüne seine Worte so verstehen wollten. Der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, sagte der "Süddeutschen Zeitung" schon, er sehe das wie Habeck: "Es darf keine Denkverbote geben."

Inzwischen scheint zumindest Habeck für sich eine Entscheidung getroffen zu haben. "Eine minimale Mehrproduktion an Strom für maximal hohe Sicherheitsrisiken"? Er sei zu der Überzeugung gekommen, sagte er am Dienstagmorgen bei RTL/n-tv, "dass dieser Weg der falsche ist". So richtig ausgeschlossen aber, das ist in diesen Tagen gar nichts mehr.

Mitarbeit: Bastian Brauns

Verwendete Quellen
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