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Ukraine-Krieg | Schlacht um Kiew: "Putin hat ein Blutbad angekündigt"


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Schlacht um Kiew
"Putin hat ein Blutbad angekündigt"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 03.03.2022Lesedauer: 6 Min.
Charkiw: Ein ukrainischer Soldat inspiziert ein beschädigtes Militärfahrzeug.Vergrößern des Bildes
Charkiw: Ein ukrainischer Soldat inspiziert ein beschädigtes Militärfahrzeug. (Quelle: dpa)

Die Kämpfe in der Ukraine spitzen sich weiter zu. Russland bombardiert große Städte und will Kiew einkesseln. Wie lange kann die ukrainische Armee die Angreifer noch abwehren? Ein Überblick über die Kriegslage.

Russland hat bei seinem Überfall auf die Ukraine seine Strategie verändert. Die großen ukrainischen Städte stehen unter heftigem Artilleriebeschuss und der russische Präsident Wladimir Putin nimmt nun offenbar auch Tausende Opfer in der Zivilbevölkerung in Kauf.

Doch die ukrainische Armee leistet heftige Gegenwehr und bislang ist es den russischen Truppen nicht gelungen, die Hauptstadt Kiew einzukesseln. Auch Charkiw wurde noch nicht gestürmt. Das liegt einerseits an der Widerstandskraft der ukrainischen Verteidigung, aber auch an strategischen Fehlern der russischen Armee in der Planung dieses Krieges.

Trotzdem rückt die russische Armee weiter vor, wenngleich langsamer, als viele Experten erwartet haben. Wie lange kann die ukrainische Armee Kiew im Häuserkampf verteidigen? Und kann Russland in einen Waffenstillstand gezwungen werden? Gustav Gressel, Russland- und Militärexperte bei der internationalen Denkfabrik "European Council on Foreign Relations", gibt im Interview mit t-online einen Überblick zur aktuellen Lage.

Russland verschärft die Angriffe auf die großen Städte in der Ukraine. Wie kritisch ist es derzeit?

Sehr kritisch. Im Süden ist Cherson in der vergangenen Nacht gefallen und die russische Armee hat damit einen ersten sicheren Übergang über den Fluss Dnipro. Das bringt die Ukraine in Bedrängnis, weil die Russen jetzt in Richtung Norden oder auch in Richtung Odessa vorstoßen können. Im Osten ist Mariupol eingekesselt und die Lage dort wird auch immer dramatischer.

Gustav Gressel ist Senior Policy Fellow beim European Council On Foreign Affairs in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Russland, Osteuropa und bewaffnete Konflikte.

Aber die größten Städte, Kiew und Charkiw, konnte die russische Armee bisher nicht einnehmen.

Kiew ist noch nicht umzingelt. Es gab schwere Gefechte und obwohl die russische Armee dort ihre stärksten Truppenkonzentrationen hat, kommt sie dennoch nicht voran. Das ist zumindest ermutigend. Dagegen ist Charkiw im Nordosten schwerem Artilleriebeschuss ausgesetzt, aber wir wissen aktuell noch nicht, ob die russische Armee schon versucht hat, die Stadt zu stürmen. Was wir aber sicher sagen können: Es kommen nun entscheidende Tage für die Ukraine auf uns zu.

Die größeren Städte werden immer mehr mit Raketen und aus der Luft beschossen. Kann die Ukraine dem etwas entgegensetzen?

Immer weniger. Die ukrainische Flugabwehr hat länger funktioniert als gedacht. Die Munition wird jedoch knapp, und der Westen liefert zwar Flugabwehrraketen, aber die haben eine begrenzte Reichweite. Für eine effektivere Abwehr von russischen Raketen und Kampfflugzeugen bräuchte die Ukraine beispielsweise Munition für das Flugabwehrsystem S-300, die geht zur Neige. Außerdem hat die ukrainische Luftwaffe nur noch wenige Kräfte, ihr geht der Sprit aus, weil Russland vor ein paar Tagen Treibstoffdepots angegriffen hat. Es gibt noch Luftkämpfe, aber für die Ukraine wird Widerstand immer schwieriger.

Welche Waffensysteme aufseiten der Ukraine sind in diesem Konflikt besonders wirkungsvoll?

Eine der wirkungsvollsten Waffen, um russische Nachschubkonvois auszuschalten, ist der BM-27-Raketenwerfer. Das ist ein wichtiges Kampfmittel der Ukraine, aber auch hier geht die Munition aus. Ansonsten machen auf ukrainischer Seite die türkischen Drohnen und die Panzerabwehr aus Großbritannien oder den USA einen guten Job. Aber eines ist klar: Hier rückt die größte Armee Europas heran und sie aufzuhalten ist bei Weitem kein einfacher Job. Was die Ukraine bisher leistete, ist überraschend. Aber die russische Überlegenheit bei militärischem Gerät ist noch immer erheblich.

Trotzdem tun sich Putins Truppen extrem schwer. Was macht die russische Armee falsch?

Die russische Armee begeht viele dumme Fehler. Am Anfang hatte sie einen falschen Plan von diesem Krieg, weil sie die Geschlossenheit der Ukrainer unterschätzt hat. Taktisch verhalten sich die russischen Truppen oft sehr passiv und verstoßen gegen einfache Regeln der Kriegskunst.

Zum Beispiel?

Sie lassen beispielsweise Nachschubkonvois mit Treibstoff und Munition zu dicht aufeinander auffahren und sie verteilen diese Konvois nicht auf mehrere Straßen. So navigieren sie beispielsweise mit Papierkarten und kommunizieren mit Funkgeräten, die Sie in jedem Baumarkt kaufen können. Aus einem Sammelsurium an Versäumnissen, Dummheiten und schlechter Führung entstehen dann so lange russische Konvois.

In der Tat wurde in den vergangenen Tagen immer von dem riesigen Konvoi berichtet, der aus Russland in Richtung Kiew unterwegs ist. Was steckt dahinter?

Zum größten Teil ist das Nachschub. Russland hat mit einem Blumenfeldzug gerechnet und deswegen sind Einheiten mit wenig Treibstoff, Munition und Verpflegung in den Krieg gegangen. Sie haben offenbar gedacht, dass sie nicht schießen müssen. Deswegen sehen wir sehr viele Lastwagen mit Treibstoff und auch viele Planwagen, die Munition führen. Es ist anzunehmen, dass ein Großteil dieses Konvois Munition für die Schlacht um Kiew transportiert – vor allem für die Artillerie.

Wir müssen leider damit rechnen, dass Putin Kiew verstärkt von der Artillerie beschießen lässt. Hat das einen militärischen Nutzen oder ist das nur Terror gegen die Zivilbevölkerung?

Beides. Natürlich kann man die Infanterie durch starken Beschuss dazu zwingen, ihre Stellungen aufzugeben und Schutzräume aufzusuchen. Aber Russland beschießt auch bewusst zivile Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser, um die Zivilbevölkerung zu zermürben. Der Artilleriebeschuss hat demnach auch einen Terrorwert.

Man befürchtet in Kiew nun das Schlimmste – Einkesselung, massiver Beschuss und Tausende Opfer. Welche Eskalationsstufen sind jetzt noch denkbar?

Ich fürchte, dass genau das auf uns zukommen wird. Wir haben in der Vergangenheit oft gesehen, wie Russland solche Schlachten um große Städte schlägt – etwa im syrischen Aleppo. Und es bleibt dabei: Kiew ist das Hauptziel des russischen Angriffs und deshalb müssen wir ein derartiges Szenario in der ukrainischen Hauptstadt erwarten. Die Kämpfe können dann aber Wochen andauern.

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Sie denken, dass die Ukraine die Stadt so lange halten kann?

Eine so große Stadt wie Kiew lässt sich gut verteidigen und die Ukrainer sind entschlossen, das auch zu tun. Ich bin mit Zeitprognosen aber immer vorsichtig, denn im Krieg kann viel passieren. Aleppo hat mehrere Monate durchgehalten, wenngleich die russische Kräftekonzentration im Raum Kiew viel größer ist.

Und in Aleppo gab es am Ende auch ein Blutbad.

Putin hat schon ein Blutbad angekündigt. Er will die Ukraine "entnazifizieren" und hinter dieser perfiden Darstellung steckt die Auslöschung der intellektuellen und politischen Eliten. Das Blutbad ist ohnehin programmiert – entweder durch die Polizei oder das Militär. Die Ukrainer stehen mit dem Rücken zur Wand.

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Wie ist die Verteidigung in Kiew aufgestellt?

Es gibt verschiedene Verteidigungsringe und um Kiew herum noch mechanisierte Reserven, die bei einem russischen Angriff eingreifen können. Zum Teil haben sie schon sehr tapfere, aber auch sehr blutige Versuche unternommen, Gegenangriffe zu starten, um eine Einkesselung zu verhindern. Da gibt es noch viel Dynamik in der Schlacht.

Hat die Ukraine eine Chance, Russland militärisch in einen Waffenstillstand zu zwingen?

Es ist jetzt ein Abnutzungskrieg und die Ukraine muss weiter verteidigen. Es ist ähnlich wie im Winterkrieg in Finnland 1939: Wenn es dem Diktator reicht und Verluste in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag stehen, wird sich Putin auch mit weniger zufriedengeben als mit der totalen Unterwerfung der Ukraine. Wenn man das mit Stalin erreicht hat, wird das eventuell auch mit Putin möglich sein. Aber der Weg dahin ist mit Blut gepflastert.

Russland muss gerade heftige Sanktionen hinnehmen, Putin macht trotzdem weiter. Meinen Sie, dass der russische Präsident noch empfänglich für Rationalität ist?

Mit seinen Großmachtfantasien lebt er – was die Ukraine angeht – schon lange in seiner eigenen Welt. Er träumt von russischer Vorherrschaft, aber das träumte er schon immer. Er ist nicht komplett durchgedreht, sondern Putin entscheidet in seiner Welt rational. Der Präsident hat aber eine Weltsicht, die man nur versteht, wenn man Benito Mussolini liest.

Muss Putin bei diesem Krieg denn die Gegenwehr in Russland fürchten?

Die Russinnen und Russen, die momentan auf die Straße gehen, gehören zum jungen und intellektuellen Teil der Bevölkerung. Hinzu kommen die, die hart von den Sanktionen getroffen werden – Unternehmer. Eine Veränderung in Russland kommt aber nur, wenn sie aus dem Militär- und Sicherheitsapparat kommt. Weder Oligarchen noch Zivilgesellschaft haben in Russland das Gewicht, um Putin zum Umdenken zu zwingen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Gustav Gressel am Donnerstagmorgen
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